Am Tag, als die Mauer fiel

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Der Titel eines Doors-Stückes als Aufforderung an der Berliner Mauer – irgendwann Ende der 1970er Jahre aufgenommen.

Die Frage ist heute (9. November 2014, am 25. Jahrestag) unvermeidlich:

Wo warst du, als die Mauer fiel?

Ich war zu Hause vor dem Fernseher, wie seit Wochen an den Abenden vorher. Denn es war eine spannende Zeit, die alle in Atem hielt.

Wir wohnten in einem alten Haus in der Parkstraße in Leer zur Miete und hatten zwei kleine Kinder. Max war gerade ein halbes Jahr alt. Wir hatten die Ereignisse in den DDR aufmerksam verfolgt wie wohl jeder andere halbwegs politisch interessierte Mensch in jenen Tagen.

Wie dieser Abend genau gelaufen ist, weiß ich nicht mehr. Der 9. November 1989 war ein Donnerstag. Ich habe damals wie heute als Lokalredakteur bei der Ostfriesen-Zeitung gearbeitet. Meinem Artikelarchiv entnehme ich, dass ich mir abends einen Vortrag von Dr. Rolf Bärenfänger über die Ausgrabung des ehemaligen Prämonstratenserklosters Barthe im Heseler Wald angehört habe. Ich werde also die Tagesschau und das Heute-Journal an diesem Abend verpasst haben, in denen unter anderem über die Pressekonferenz mit Günter Schabowski und dem ominösen Zettel mit den Regelungen über die Reisefreiheit berichtet wurde.

Bis zu den Tagesthemen war ich aber wieder zu Hause, denn ich erinnere mich gut an Reporter Robin Lautenbach, der einsam und allein an einem Grenzübergang stand und auf ausreisende DDR-Bürger wartete, die nicht kamen, während woanders schon die Massen strömten. Ich habe mich daran immer mit einer gewissen Schadenfreude erinnert, weil Fernsehfritzen unter Kollegen für ihre wichtigtuerische Art berüchtigt sind. Da freut es einen halt, wenn denen mal gezeigt wird, dass die Welt sich nicht um sie dreht.

Soweit meine Erinnerung. Bekanntlich trügt die, und so ist es auch in diesem Fall, wie ich anhand einer Internetrecherche feststellte. Die Details in meinem Gedächtnis stimmen nicht mit der Wirklichkeit überein. Robin Lautenbach stand im Trenchcoat vor meinem geistigen Auge, aber tatsächlich trug er einen dunkelblauen Blouson oder Mantel und einen weinroten Pulli, wie dieses Youtube-Video beweist (ab 2:12 min). Außerdem wartete er nicht irgendwo in der Pampa, sondern am Grenzübergang Invalidenstraße und am Brandenburger Tor in Berlin. Möglicherweise gehört der Trenchcoat zu einem anderen Reporter und einem anderen Beitrag Tage später über die Vorkommnisse an der innerdeutschen Grenze. Von Massenandrang konnte zunächst auch keine Rede sein – weder an der Invalidenstraße noch anderswo. Das kam erst später.

Was mir bisher nicht so bewusst war, ist der Umstand, dass der Mauerfall in der Nacht zum 10. November 1989 »eine von den Medien verbreitete Fiktion« war, die die Massen mobilisierte und dadurch zur Realität wurde, wie es in einem Bericht des Tagesspiegels vom 8. November 2011 heißt. Erst die verkürzende und unzutreffende Berichterstattung in den westdeutschen Medien – Presseagenturen, Hörfunk und Fernsehen – über die Schabowski-Bekanntmachung, die zuvor live im Fernsehen der DDR übertragen worden war, und die hineininterpretierte sofortige Maueröffnung setzten im Laufe des späten Abends – nach den Tagesthemen – die Ostberliner in Bewegung.

Es war zwar in dem Beschluss, den Schabowski verlesen hatte, von Reisefreiheit die Rede. Aber das hieß noch lange nicht, dass die Grenze einfach aufgemacht werden sollte. Tatsächlich hätten die Leute, die nach West-Berlin oder in die BRD wollten, ein Visum gebraucht (was genau Schabowski dort verkündete, weiß das Bundesarchiv). Aber die Erwartungen waren so hoch, dass die Macht des Faktischen siegte. Noch in der selben Nacht fingen die Leute an, die Mauer zu demolieren. Der Mauerspecht war geboren.

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Die Maueröffnung war natürlich auch in den Tagen danach das Thema Nummer 1. Ich habe in der darauffolgenden Woche für die OZ einen Bericht darüber geschrieben, wie Kommunen im Landkreis Leer die Auszahlung des Begrüßungsgeldes regeln wollten. Ältere werden sich erinnern, dass jedem DDR-Bürger bei einem Besuch in der Bundesrepublik ein Begrüßungsgeld in Höhe von 100 Mark zustand (während wir Westdeutschen umgekehrt in der DDR jeden Tag 25 DDR-Mark im Verhältnis 1:1 gegen harte D-Mark eintauschen mussten). Man rechnete für das zweite Wochenende nach dem Mauerfall (18. und 19. November) mit einem wahren Ansturm aus dem Osten. Die Post, Sparkassen, Banken und Rathäuser hatten extra am Sonnabend und Sonntag geöffnet, um das Begrüßungsgeld auszahlen zu können. In Ostfriesland sah man der Angelegenheit ganz entspannt entgegen. Niemand rechnete damit, dass Trabbis gleich geschwaderweise hier einfallen würden. Wie es tatsächlich gewesen ist, weiß ich nicht. Das müsste man in der Ausgabe vom 20. November 1989 nachlesen. Ich hatte offenbar keinen Dienst an jenem Wochenende, sonst hätte ich darüber bestimmt etwas in meinem Unterlagen.

Jahrelang hatte ich auch ein Foto von einem der ersten Trabis, derin Leer gesichtet wurde, und das deshalb in der Ostfriesen-Zeitung abgedruckt wurde, im Schreibtisch, kann es aber nicht mehr finden. Womöglich ist es bei einem meiner Umzüge von einem Büro ins andere abhanden gekommen.

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