Ein starker Con-Reader

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Ralf Boldt (Hrsg.): Hauptsache gesund! Science-Fiction-Geschichten zum MediKonOne 2016. AndroSF 57. Murnau 2016. 392 S.
Paperback: ISBN 978 3 95765 57 3. 10,90 Euro.
Hardcover (limitiert): ISBN 978 3 95765 58 0. 17,90 Euro.
eBook: ISBN 978 3 7396 4061 7. 5,49 Euro.
Für Mitglieder des Science-Fiction-Clubs Deutschland war das Buch im Mitgliedsbeitrag enthalten.


Krankheitsbedingt musste ich in der letzten Tagen zu Hause bleiben und hatte viel Zeit, wenn auch nicht immer die nötige Energie, zum Lesen. Wie’s die Vorsehung/der Zufall so wollte, lag die Anthologie »Hauptsache gesund!«, herausgegeben von Ralf Boldt, oben auf dem Lesestapel. Das Buch hat mir gut gefallen. Ob es mir bei der Genesung geholfen hat, vermag ich nicht zu sagen.

»Hauptsache gesund!« vereint 41 Science-Fiction-Kurzgeschichten von 41 Autoren. Das sie einende Band ist Medizin. Die Anthologie ist anlässlich des MediKon One im August in Oldenburg erschienen. Der Medikon ist ein Treffen des Science-Fiction-Fandoms (Jahrestreffen des Science-Fiction Clubs Deutschland) verbunden mit einem medizinischen Programm am Klinikum Oldenburg, denn der Organisator und Herausgeber der Anthologie ist aktiv im Fandom und IT-Mann an dem Krankenhaus. Mehr zum Medicon gibt’s auf dieser Website.

Auf jede Geschichte gesondert einzugehen, verbietet sich aus Zeitgründen (Platz ist dagegen im WWW kein Problem). Da lese ich lieber drei andere Bücher.

Was mir gefallen hat, war die große Vielfalt der behandelten Themen. Es geht darin um Geburt und Tod, um seltene Krankheiten und merkwürdige Therapien, um die Tücken des Gesundheitssystems und was nicht alles. Überschneidungen gibt es kaum, was möglicherweise an der Auswahl durch den Herausgeber liegt. Denn an der Ausschreibung für das Projekt hatten sich offenbar mehr als 100 Autoren beworben. Schon allein diese Zahl ist beeindruckend. Es gibt so viele (gute) Autoren, die Science-Fiction schreiben können, die man aber nicht ohne Weiteres wahrnimmt. Kein Wunder also, dass auch mir der überwiegende Teil der Namen nicht geläufig ist. Andererseits fehlen die Namen »der üblichen Verdächtigen« aus der Szene fast völlig.

Eine Ausnahmen ist Frank Lauenroth, der für seine Kurzgeschichten schon zweimal für den Deutschen Science-Fiction-Preis nominiert wurde (und ihn dieses Jahr sogar noch bekommen kann, denn die Entscheidung ist noch nicht entfallen). Seine Kurzgeschichte »Tubes, Inc.« zählt für mich zu den besten der Anthologie. Darin geht es um eine Technologie, die Menschen räumlich versetzen kann, ein Thema, das in der Science-Fiction immer wieder aufgegriffen wurde und wird (Beamen bei Star Treck, Transmitter bei Perry Rhodan). Die Geschichte, die eine Gerichtsverhandlung wiedergibt, ist durchdacht und gut aufgebaut (man erkennt den routinierten Schreiber), streift ethische Fragen im Umgang mit Technik und hat ein überraschendes, aber konsequentes Ende.

»Der Hygieneunfall« von Andrea Thamm bekommt bei mir auch jede Menge Punkte. Es geht um eine Architektin, die ihr Lebenswerk zerstört, weil sie merkt, dass sie damit ihren Lebenstraum und ihre Sehnsüchte vernichtet hat. Die Story hat eine ausgeprägte poetische Ader, deshalb wäre »Die Regentänzerin« ein besserer Titel gewesen als das sperrig-bürokratische »Der Hygieneunfall«.

Schon aus eigener Betroffenheit muss ich auf »Vom Fax gezeichnet« hinweisen. Diese Story von Goetz Markgraf fängt damit an, dass sich ein Mann, der in einer Gesellschaft ohne Krankheiten lebt, einen Schnupfen einfängt. Diese Idee wird mit einem ordentlichen Schuss Humor (der Arzt in der Geschichte, heißt Dr. Herbert W.Franke) immer weitergedreht. Den Schluss fand ich nicht überzeugend, des Rätsels Lösung ist arg konstruiert.

Am Manko eines aufgesetzten Schlusses, einer Pointe, die sich nicht aus der Geschichte selbst entwickelt, leiden einige Geschichten. Zum Beispiel die Story, die das Buch nach fast 400 Seiten schließt, »Fehlerhafte« von Doreen Doose. Die Autorin behandelt darin das Thema Geschlechteridentität in einer Gesellschaft, in der das Geschlecht erst mit 20 Jahren festgelegt wird. Der/die Protagonist/in droht daran zugrundezugehen, dass sich das falsche Geschlecht ausbildet. Das ist sehr emotional und mit viel Einfühlungsvermögen geschrieben. Am Ende entwickelt sich alles zum Guten, aber wie das genau passiert ist, erfahren Protagonistin und Leser nur aus zweiter Hand. Weil sich das Ende nicht aus der Geschichte entwickelt, ist es beliebig und mindert den guten Gesamteindruck.

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer guter Storys, die erwähnenswert sind, aber bei dieser kleinen Auswahl soll es bleiben.

Einige der 41 Geschichten sind aber einfach an mir vorbeigerauscht, ohne einen besonderen Eindruck zu hinterlassen. Ein oder zwei habe ich überhaupt nicht verstanden, bei »Der Lieblingsberg« von Irina Wöhnl nicht einmal den überwiegenden Teil der Sätze. Bei »Die Birken schämten sich für die dünnen nackten Umrisse ihrer Geister« müsste ich raten, was gemeint ist, und in solchen Fällen neige ich zu der Annahme, dass mit derartigen Phrasen nur Bedeutung simuliert werden soll.

Das Fazit: ein starker Con-Reader.

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