Die Vielstimmigkeit der norddeutschen Phantastik

Das erste »Multivers«-Festival in Bremen konnte ich mir nicht entgehen lassen. Ich verbrachte ein paar kurzweilige Stunden mit Steampunk, Zombie-Horror und Cyberpunk.

Steampunk unter freiem Himmel: Yvonne Tunnat eröffnete die Lesung im Park mit ihrer Kurzgeschichte aus einer demnächst erscheinenden Anthologie.

Das Wetter an diesem Juli-Abend war nicht gerade das beste für eine Freiluftveranstaltung. »Das es in Bremen so windig ist, steht in keinem Reiseführer«, beklagte sich die Frau, die mich auf den letzten 250 Metern zu dem Event begleitete, für das ich mich am Sonnabendnachmittag (9. Juli 2022) in Leer den Zug gesetzt hatte. Das Event war das »Multivers«, eine Open-Air-Lesung mit sechs Autorinnen und Autoren der Phantastik-Szene. Die Location war das »Kukoon im Park« in den Neustadtswallanlagen in der Bremer Neustadt.

Das »Multivers«, organisiert von Aiki Mira und Janika Rehak, versprach »Neues aus der Independent-Literaturszene« und »die Vielstimmigkeit der Phantastik« mit Autorinnen und Autoren aus Norddeutschland. Als Science-Fiction-Fan, Gelegenheitsautor und -veranstalter (»Hinterm Mond«) war das wegen der geografischen Nähe ein Pflichtbesuch. Außerdem war es eine gute Gelegenheit, einige Bekannte wiederzusehen und neue Kontakte zu knüpfen. Die deutsche Phantastik-Szene ist vielfältig, aber gut überschaubar. Man läuft sich doch irgendwie ständig über den Weg. Als »Überraschungsgast« wurde ich nett empfangen und verbrachte ein paar kurzweilige Stunden im Park (es war nur etwas kalt). Tempus fugit.

Aiki Mira hat ihren ersten Roman veröffentlicht: »Titans Kinder«.

Außer Aiki und Janika, die den Abend unterm Zeltdach moderierten, waren Christian Günther, Yvonne Tunnat, Lena Richter und Laura Müller-Hennig beteiligt (biografische Angaben zu ihnen finden sich in der Veranstaltungsankündigung). Sie präsentierten ein breites thematisches und stilistisches Spektrum. Es reichte von einigen Miniaturen (Laura Müller-Hennig) über Kurzgeschichten (Yvonne Tunnat, Christian Günther) bis zu Romanauszügen (Aiki Mira, Lena Richter, Janika Rehak). Es gab eine Space-Utopie, Zombies, Steampunk, Cyberpunk. Manches war bereits veröffentlicht, anderes kommt noch auf den Buchmarkt. Dem Anspruch, »die Vielstimmigkeit der Phantastik« der Phantastik abzubilden, wurde der Abend auf jeden Fall gerecht. Es machte Appetit auf mehr.

Das Publikum, zwei, drei Dutzend Leute, sparte nicht mit Beifall. Schade war, dass sich keine Diskussion zwischen Autorinnen und Publikum entwickelte.

Das »Multivers«-Team (von links): Yvonne Tunnat, Christian Günther, Laura Müller-Hennig, Lena Richter, Aiki Mira und Janika Rehak.

Das »Multivers« in Bremen soll kein Einzelfall bleiben. »Wir wollen das zu einer regelmäßigen Einrichtung an verschiedenen Orten machen«, kündigten Aiki und Janika am Ende an. Next stop? Vielleicht Hamburg. Das wäre für mich eine Tagesreise mit Übernachtung.

Links zu den Büchern

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Pandemie und Krieg verderben die Leselaune

Der Verlag Peter Hopf hat die Neuauflage alter Science-Fiction-Heftromane als Taschenbuch eingestellt. Für manche ärgerlich, aber kein ungewöhnlicher Vorgang.

Das sind acht von elf Taschenbücher der »Hopf Autorenkollektion« des Verlags Peter Hopf.

Der Verlag Peter Hopf hat seine Autorenkollektion und die Hans-Kneifel-Gedenkedition mit Heftromannachdrucken deutscher Autoren aus den 60er-,70er- und 80er-Jahren eingestellt. Als Grund nannte der Verleger, dass »die Abonnementszahlen so deutlich zurückgegangen [sind], dass sich viele Projekte nicht mehr kostendeckend herstellen lassen«, das Ganze als Folge von Kaufzurückhaltung wegen Corona und des Ukrainekriegs. Die Mitteilung erreichte die Öffentlichkeit vergangene Woche. So mancher reagierte betroffen darauf.

Da nicht jeder das Angebot des Verlags kennt, hier einige Fakten. In der Gedenkausgabe zum zehnten Todestag von Hans Kneifel, der 2012 starb, sollten in drei Taschenbüchern die sechs Romane der Allround-Service-Kurzserie von 1970 in einer auf 222 Exemplare limitierten Neuausgabe erscheinen. Das klappte mit Band 1 (»Shindana – Welt aus Eisen«), der Rest wurde (vorerst) gecancelt.

In der »Hopf Autorenkollektion« sind in elf Taschenbüchern jeweils zwei Heftromane von fünf Autoren – Hans Kneifel, Hubert Haensel, Peter Griese, Falk-Ingo Klee und Uwe Anton – »behutsam überarbeitet« in gehobener Ausstattung neu herausgegeben worden. Weitere waren geplant. Die jüngsten Romane (z. B. »Friedensmusik« von Falk-Ingo Klee) sind etwa 40 Jahre alt, der älteste von Hans Kneifel (»Das Logbuch der Silberkugel«) erschien 1962 (das ist immerhin aus einer Zeit, als Kneifel noch nicht Romane wie am Fließband rausgehauen hat). Alle vertretenen Autoren gehören ins PERRY-RHODAN-Umfeld, alle Romane sind im Original in einer der drei TERRA-Reihen erschienen).

Alt, aber keine Klassiker

»Das Logbuch der Silberkugel« – das Original von 1962

Zu den einzelnen Romanen kann ich mich inhaltlich nicht äußern; ich habe keinen davon gelesen. Aber so viel kann ich beurteilen: Wohl keiner der in der Autorenkollektion veröffentlichten oder zur Veröffentlichung vorgesehenen Romane stach seinerzeit aus der Menge heraus und hat im Genre Spuren hinterlassen, sie sind also nichts, was man (damals) gelesen haben musste und was heute in keiner Sammlung fehlen sollte. Klassiker sind sie nur in dem Sinne, dass sie alt sind. Ein solches Angebot kann doch bloß eine sehr überschaubare Zahl von Fans ansprechen, Komplettsammler und (RHODAN-affine) SF-Nostalgiker.

Das Aus für die Autorenkollektion und die Gedenkedition ist selbstverständlich ärgerlich: für die Autoren oder deren Nachkommen (Kneifel und Griese sind schon tot), denn ihnen entgehen das Nachdruckhonorar und vielleicht ein wenig erneute Aufmerksamkeit; für die Leserinnen und Leser, die auf weitere angekündigte oder eventuelle künftige Ausgaben verzichten müssen. Aber ist das so schlimm? Ja, für die Käufer der Gedenkedition. Denen fehlen jetzt zwei Drittel der Kurzserie (es ist wohl nur ein schwacher Trost, dass man sich die Originalhefte für wenig Geld antiquarisch besorgen kann).

Allerdings, bei der Autorenkollektion handelt sich um einige beliebig (zumindest ist für mich als potenziellen Leser kein Konzept erkennbar) ausgewählte Romane; die Kollektion wäre immer unvollständig, egal ob sie nach elf oder 50 Ausgaben beendet wird. Gesamtausgaben waren ja wohl nicht geplant.

Kein ungewöhnlicher Vorgang

Ist es für den Verleger ärgerlich? Ich nehme ihm ab, dass er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat und sich über den Misserfolg ärgert. Aber vor allem trennt er sich (hoffentlich für ihn rechtzeitig) von einem Verlustgeschäft und trägt allenfalls einen Imageschaden davon. Ungewöhnlich ist der Vorgang nicht. Die Zahl der überraschend eingestellten Heftroman- und Buchreihen in der SF-Branche ist Legion.

Wer sich ernsthaft mit deutscher SF aus dieser Zeit auseinandersetzen möchte, dem wäre besser mit einer Bibliothek ausgewählter Werke, einem Best-of gedient. Aber ein solches Unterfangen ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Einmal davon abgesehen, dass es kaum möglich sein dürfte, alle Nachdruckrechte zu erhalten, und auch dafür der Abnehmerkreis überschaubar wäre: Wer könnte schon die editorische Mammutaufgabe meistern, »Die zwei Dutzend besten deutschen SF-Romane der 1970er Jahre« oder so auszuwählen? Freiwillige vor.