Nicht bis zum bitteren Ende

Das Leben ist zu kurz für uninteressante Bücher. Ihr müsst sie nicht bis zur letzten Seite lesen, findet nicht nur Mark Billingham.

Ein gutes Buch kann einem viele angenehme Lesestunden bescheren. Aber es ist in Ordnung, ein uninteressantes Buch vorzeitig zur Seite zu legen. Man muss es aber nicht gleich durch den Raum werfen, wie es Mark Billingham empfiehlt.

Muss man ein Buch, das man angefangen hat, zu Ende lesen? Vor ein paar Wochen sorgte der Krimi-Schriftsteller Mark Billingham im britischen Feuilleton für einige Aufregung, nachdem er auf einem Literaturfestival gesagt hatte, man solle ein Buch nach 20 Seiten quer durch den Raum werfen, wenn es einem nicht gefalle. Er habe bei der Hälfte aller Bücher vorzeitig aufgegeben, denn »life’s too short … There are so many great books out there«.

Mehrere große Tageszeitungen berichteten darüber, unter anderem die Times am 12. Oktober und The Independent zwei Tage später. Deren Kolumnist Rubert Hawksley fand Billinghams Haltung unmöglich: »It’s an insult to authors not to finish each and every book you start« (Es ist eine Beleidigung für Autoren, nicht jedes einzelne Buch zu Ende zu lesen, das man anfängt). Man schulde es den Autoren, das Buch bis zum Ende zu lesen, bevor man ein Urteil fälle. Unterhaltung, meint Hawskey, sei schließlich nicht der einzige Grund, warum Menschen läsen oder warum Autoren schrieben.

Auf die Frage, warum man dem Autor etwas schulde, nur weil man das Buch gekauft und zu lesen angefangen habe, will ich nicht näher eingehen. Müsste das nicht auch für Bücher gelten, die man gekauft, aber nicht gelesen hat? Oder wenn man ein Buch gar nicht erst kauft? Da könnte sich der Autor doch auch beleidigt fühlen.

Nun, die Reaktionen auf Hawksleys Kolumne blieben nicht aus. John Scalzi, eine der erfolgreichsten SF-Schriftsteller der Gegenwart, widersprach bei Twitter kurz und bündig mit »Lol, no«. Als Leser, schrieb er, sei ihm seine Zeit zu schade, ein uninteressantes Buch zu lesen, denn er bekomme sie nicht zurück. Sein Rat als Autor an seine Leser fiel ähnlich deutlich aus: »Wenn dir mein Buch nach einer bestimmten Anzahl von Seiten nicht gefällt, lege es hin und lies etwas, das dir besser gefällt. Ich werde es überleben!« (If you’re not into my book after a certain number of pages, PUT IT DOWN and read something you like better. I’ll live!).

Die meisten Leute, die auf diesen und andere Tweets – unabhängig vom Billingham-Thread wurde das Thema auch hier angeschnitten – reagierten, waren sich einig: Das Leben ist zu kurz, um sich mit minderwertigen Produkten zu befassen oder sich zu langweilen. Schon der große deutsche Schriftsteller Arno Schmidt vertrat diese These vehement und machte daraus eine Art Wissenschaft. In seinem Text »Ich bin erst Sechzig«, den er im Juni 1955 schrieb, heißt es: »Selbst wenn Sie ein Bücherfresser sind, und nur fünf Tage brauchen, um ein Buch zweimal zu lesen, schaffen Sie im Jahre nur 70. Und für die fünfundvierzig Jahre, von Fünfzehn bis Sechzig, die man aufnahmefähig ist, ergibt das 3150 Bände : die wollen sorgfältigst ausgewählt sein!« Das Leben war zehn Jahre nach Kriegsende viel härter als heute, und die Lebenserwartung viel niedriger. Schmidt jedenfalls glaubte, dass der Mensch »bis zum 65. [Lebensjahr] … , falls er fleißig & ehrlich gearbeitet hat, abgenützt ist, auch biologisch« und kein »Lesegefühl« mehr hat (alle Zitate nach ASml-News, Glossar).

Nach seiner Berechnung kann man also nur wenige Tausend Bücher im Leben lesen, und er meint natürlich »gute Bücher« und nicht solche, die man zur billigen Unterhaltung an einem Abend wegschmökert (ein Vergnügen, dass ich mir bei Schmidt nicht vorstellen kann). Andere kommen auf eine höhere Zahl, umgerechnet auf Schmidts angenommener Lebenslebezeit sind es mehr als 4000. Vielleicht waren Schmidts Bücher bloß etwas dicker. 😉

Als Leser bin ich »unersättlich«

Wie viel lesen die Leute aber tatsächlich? Schmidt hat sich zum Maßstab genommen und lag damit sicher in der Spitzengruppe. Dass er ein »Bücherfresser« war, sollten niemanden wundern. Im Blog Bookbub gibt es ein paar Fakten. Danach liest der durchschnittliche Leser zwölf Bücher im Jahr, der »unersättliche Leser« 50 Bücher und der »Superleser« 80. Die Zahlen gelten für die USA, aber ich vermute, dass der Unterschied zu unseren Lesegewohnheiten marginal ist. Ich bin danach derzeit, stelle ich fest, mindestens unersättlich. Schmidt war ein Superleser.

Wir sind uns sicher weitgehend einig, dass man ein Buch nicht zu Ende lesen muss. Aber soll man schon nach 20 Seiten aufhören, wie Billingham meint? Oder nach 60? Nach 100? Da gibt es viele Meinungen und keine allgemeingültige Antwort. Ich höre auf, wenn meine Aufmerksamkeit spürbar nachlässt oder merke, dass mich nicht mehr interessiert, wie es weitergeht. Oder ein Buch entsetzlich schlecht geschrieben ist. Oder ich mich ständig über irgendwelchen Unsinn ärgere. Das kann nach ein paar Seiten sein, aber manchmal auch erst nach 100 oder 200. Oft kommt das nicht vor.

Kürzlich habe ich das Buch eines befreundeten Schriftstellers nach etwa der Hälfte zur Seite gelegt. Dabei fand ich es sogar gut geschrieben und erzählt, nur wurde mir klar, dass ich nicht nur die zweite Hälfte dieses 400-seitigen Buchs, sondern auch die angekündigten beiden Fortsetzungen lesen müsste, vermutlich zusammen an die tausend Seiten, um die ganze Geschichte zu kennen. Dafür interessierte mich das Thema einfach nicht genug, und dann war es auch egal, wo ich aufhöre. Manchmal gebe ich aber einem Buch eine zweite Chance.

Mark Billingham erzählte übrigens, dass er wegen seiner »throw it across the room«-Strategie zu Hause Ärger hatte.

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Der Stapel ist kleiner geworden

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Der Bücherstapel ist geschrumpft, aber es hat auch wieder ein wenig Zuwachs gegeben.

Mit meinem Vorhaben, den Stapel ungelesener Bücher abzubauen (hier angekündigt), bin ich gut vorangekommen. Konsequent habe ich die Finger von neuen Büchern gelassen, sondern nur die alten gelesen. Das Resümee nach zwei Monaten: Ich habe acht Romane und drei Kurzgeschichtenanthologien sowie sechs ältere Heftromane geschafft, zusätzlich zu dem, was ich ohnehin an Lektüre – von der Tageszeitung über Zeitschriftartikel bis zum wöchentlichen Perry-Rhodan-Roman – regelmäßig konsumiere.

Konsequent habe ich auch davon abgesehen, überhaupt neue Bücher zu kaufen; denn die rufen geradezu danach, sie sofort zu lesen (sonst würde man ja die Finger davon lassen). Dem Stapel ungelesener Bücher wurden dennoch zwei neue hinzugefügt: eines, Miniatures von John Scalzi, hatte ich schon vor Monaten bestellt, ein zweites, Black Ice von Frank Lauenroth, habe ich gewonnen.

Der Deutsche Science-Fiction-Preis

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Gabriele Behrend liest beim Medicon in Oldenburg.

Gelesen habe ich im Januar unter anderem die 35. Ausgabe von Exodus, das Magazin für Science-Fiction-Storys und phantastische Grafik. Das erwähne ich hier, weil vor ein paar Tagen die Nominierungsliste für den Deutschen Science-Fiction-Preis (DSFP) bekanntgegeben wurde und eine der Kurzgeschichten daraus – Suicide Rooms von Gabriele Behrend – draufsteht. Wie es der Zufall (?) will, habe ich ausgerechnet diese Story schon zweimal bei Lesungen mit der Autorin gehört, unter anderem beim Medicon im vergangenen Jahr in Oldenburg. Mein Favorit aus Exodus 35 – New Mars Mayflower von R. B. Bonteque – hat es allerdings nicht auf die Nominierungsliste geschafft (dafür der schon erwähnte Frank Lauenroth mit Tube Inc., einer Geschichte aus dem Medicon-Reader, zu Recht).

Wie im Vorjahr habe ich alle bis auf eine der nominierten Kurzgeschichten gelesen. Dafür habe ich keinen der sechs nominierten Romane auch nur in den Fingern gehabt.

Wenn ich mir die Liste so ansehe, reizt mich ohnehin nur ein Buch wirklich: Der Bahnhof von Plön von Christopher Eckert, schon allein wegen des Titels. Das ist jedenfalls ein Kandidat, um den Stapel der ungelesenen Bücher ein Stück zu erhöhen, um zum Schluss wieder aufs eigentliche Thema zu kommen.

Zurzeit lese ich eine Columbus-Biografie.

Lesen, lesen, lesen – doch ein guter Vorsatz für 2017

Und das sind noch nicht mal alle gedruckten Bücher. Von den Ebooks ganz zu schweigen.
Das sind noch nicht mal alle gedruckten Bücher. Von den Ebooks ganz zu schweigen.

Unbeabsichtigt ist mir doch ein guter Vorsatz für das neue Jahr durchgerutscht. Dabei habe ich es schon vor Jahren, wenn nicht gar vor Jahrzehnten, aufgehört, mir etwas vorzunehmen, nur weil der 1. Januar ist. Das ist im Grunde ein x-beliebiger Tag, willkürlich ausgewählt. Man hätte den Jahresbeginn auf jeden andern Tag legen können (laut dem Wikipedia-Eintrag »Neujahr« gibt es etwa 20 solcher Termine).

Den 1. Januar zeichnet nichts dafür aus, den Jahresbeginn zu markieren. Der Tag der Winter- oder Sommersonnenwende wäre ein viel besserer Anfang. Oder sonst ein regelmäßig wiederkehrendes astronomisches Ereignis. Die Maori in Neuseeland richten sich zum Beispiel nach dem Aufgang der Plejaden.

Wie dem auch sei, in diesem Jahr bin ich meinem Vorsatz untreu geworden, denn ich habe mir vorgenommen, konsequent meinen Stapel ungelesener Bücher abzulesen. Der wurde nämlich einfach nicht kleiner. Dass gleichzeitig ein neues Jahr angebrochen ist, ist Zufall. Eigentlich wollte ich nur eine neue Evernote-Liste anlegen, bei der ich etwas abhaken konnte.

Ein Vorsatz allein ist nichts wert. Ich habe mir fürs Lesen auch bestimmte Zeiten reserviert, ich denen ich nichts anderes machen will. Manchmal lasse ich mich ablenken, wenn die Lektüre nicht so fesselnd ist, aber im Großen und Ganzen klappt es. Ich habe in vier Wochen ein Dutzend Heftromane, eine ganze Reihe Kurzgeschichten und drei Romane geschafft. Bin gespannt, was im Laufe des Jahres zusammenkommt.

Ob ich konsequent bleibe? Bestimmt nicht, es kommen mit Sicherheit Bücher dazwischen, die gekauft und auf den Stapel gelegt oder gleich gelesen werden.

Übrigens – vor mehr als zwei Jahren habe ich schon einmal einen Stapel ungelesener Bücher fotografiert. Wie man hier sehen kann, haben einige Bücher die Zeit dort überdauert.