Dem Entdecker ins Gesicht gesehen

Zu den vielen Geheimnissen und offenen Fragen, die Christoph Columbus umgeben, gehört die nach dem Aussehen des Entdeckers. Weder er noch seine Zeitgenossen haben sich dazu erschöpfend geäußert, wahrscheinlich ist er zu seinen Lebzeiten (1451-1506) auch nie gemalt worden.

Über das äußere Erscheinung des Columbus‘ berichten nur wenige Quellen. In seiner Biografie des Vaters schreibt Sohn Fernando Colón:

Der Admiral war ein gut gebauter Mann von mehr als durchschnittlicher Größe, das Gesicht war lang, die Wangen hoch, sein Körper weder fett noch mager. Er hatte eine Adlernase und helle Augen, seine Gesichtsfarbe war ebenfalls hell und neigte zu heftiger Röte. In der Jugend waren seine Haare blond, aber als er 30 Jahre alt war, wurden sie alle weiß.

Bartolome de Las Casas, dem die Welt die Überlieferung des Bordbuchs der ersten Amerika-Fahrt zu verdanken hat, beschreibt Columbus ähnlich:

Was seine Äußeres und seine körperliche Erscheinung angeht, so war er mehr als mittelgroß, das Gesicht war lang und gab ihm Autorität; Adlernase, blaue Augen, helle Gesichtsfarbe, die zu Röte neigte; Bart und Haar waren rot, als er jung war, aber sie wurden bald grau von der Last der Arbeit.

Weil die schriftlichen Quellen nicht weiterhelfen, richtet sich die Aufmerksamkeit zwangsläufig auf bildliche Darstellungen. Zur Weltausstellung 1893 in Chicago, die den 400. Jahrestag der Entdeckung Amerikas als Generalthema hatte, wurden über 70 Porträts des Genuesers ausgestellt. Sie hatten vor allem eines gemeinsam: Kaum eines der Bildnisse hatte Ähnlichkeit mit den anderen.

Die Frage, ob es ein authentisches Columbus-Porträt gibt, muss sich zwangsläufig auf die Bilder konzentrieren, die zu seinen Lebzeiten oder kurz danach entstanden sind. Der Künstler muss Columbus zumindest einmal gesehen haben, um ihn aus dem Gedächtnis malen zu können. Unter dieser Voraussetzung zeigt sich schnell, dass keines der durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannten Columbus-Porträts authentisch sein kann.

Es gibt nur einige Gemälde, die aus den ersten Jahrzehnten nach dem Tod Columbus‘ stammen:

Das Giovio-Porträt

Paolo Giovio (1483 – 1552) war Arzt, Historiker und Biograf. Den größten Teil seines Lebens verbrachte er im Vatikan. 1527 wurde Giovo genannt Bischof von Nocera. Er besaß eine große Sammlung von Porträts bedeutender Personen. Für diese Sammlung entstand vermutlich das Columbus-Porträt, gemalt von einem unbekannten Künstler. Als Vorlage diente möglicherweise ein im 19. Jahrhundert verloren gegangenes Bild des spanischen Malers Antonio del Rincón. Das Bild zeigt einen älteren Mann mit grauem Haar und rundem Gesicht.

Das Piombo-Portrait

Das Bild wird Sebastiano del Piombo (eigentlich Sebastiano Luciano, 1485 – 1547) zugeschrieben. Er war einer der bedeutensten italienischen Porträtmaler in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Möglicherweise geht das Bild auf ein älteres, verloren gegangenes Porträt zurück, das tatsächlich zu Lebzeiten von Columbus in Spanien entstand.

Das Lotto-Portrait

Der venezianische Maler Lorenzo Lotto (1480 – 1556/7) soll dieses Portrait 1512 für den venezianischen Senator und Historiker Dominico Malipiero gemalt haben. Es zeigt Columbus im Alter von 40 bis 45 Jahren.

Das Ghirlandaio-Porträt

Dieses Porträt wird dem florentinischen Maler Ridolfi Ghirlandaio (1483-1561) zugeschrieben. Es hängt im Museo Navale in Genua, der Heimatstadt des Entdeckers.

Alle Maler waren Italiener und haben das Land nie verlassen. Sie können also Columbus nicht persönlich gesehen haben. Das schließt gleichwohl nicht aus, dass einem von ihnen eine authentische Skizze als Vorlage diente.

Neben diesen bekannten, in zahlreichen Variationen auch aus neuerer Zeit vorliegenden Porträts gibt es zwei lange unbeachtet gebliebene Werke, die ein authentisches Bild liefern sein könnten:

Das Mazzoni-Relief

Dieses Porzellan-Relief, das einen alten Mann und die Inschrift „Christophoro Colombo“ zeigt, wird dem italienischen Künstler Guido Mazzoni zugeschrieben. Mazzoni, ein bekannter Bildhauer in seiner Epoche, ist möglicherweise 1504 nach Spanien gereist in der Hoffnung, den Auftrag für die Gestaltung des Grabmals von König Isabella zu erhalten. So wäre es möglich gewesen, dass er Columbus begegnete. Hierfür gibt es aber ebenso wenig einen Beweis wie für die Authentizität eines weiteren Gemäldes des frühen 16. Jahrhunderts.

Die Jungfrau der Seefahrer
Das Gemälde »La Virgen de los Navigantes« und der Ausschnitt mit Columbus.

Das Gemälde »La Virgen de los Navigantes« von Alejo Fernández (1475-1545) entstand vermutlich im Jahr 1510 und hängt in Sevilla in den Reales Alcázares. Es zeigt unter anderem neben der Mutter Gottes als Beschützerin der Seefahrer links eine Gruppe von Männern. Je nach Interpretation handelt es sich dabei entweder um König Ferdinand und bedeutende Persönlichkeiten am spanischen Hof oder um wichtige Seefahrer, darunter Christoph Columbus (Ausschnitt rechts). Fernández stammte aus Cordoba, der Stadt, in der Columbus bei seiner ersten Reise seine Söhne und seine Lebensgefährtin Beatrice de Harrara zurückgelassen hatte und die ihm nach seiner Rückkehr im März 1493 einen triumphalen Empfang bereitete. An diesem Ereignis wird sicherlich auch der junge Fernández teilgehabt haben. Es ist naheliegend, dass er Columbus so malen würde, wie er ihn gesehen und im Gedächtnis hat.

Spätere Bildnisse von Columbus sind für die Frage nach seinem Aussehen nicht mehr von Bedeutung. Keiner der Künstler konnte auf irgendwelche verloren gegangene Vorlagen zurückgreifen; diese Porträts sind der Phantasie entsprungen. Interessant sind sie aber unter dem Gesichtspunkt, welche Vorstellung eine Epoche von Columbus hatte, welches Bild sie sich machte.

Ausführlich befasst sich Paul Martin Lester auf der Internet-Seite Looks Are Deceiving: the Portraits of Christopher Columbus mit dem Aussehen des Entdeckers.