Nichts geschieht mehr einfach so

Band 1000 »Der Terraner« gilt als einer der Meilensteine der PERRY RHODAN-Serie. Zum 40. Todestag von William Voltz habe ich ihn noch einmal gelesen.

Das ikonische Titelbild von Johnny Bruck zeigt einen Raumfahrer, der eine Flagge aufpflanzt – eine imperiale Geste. © Heinrich Bauer Verlag KG

Dies ist ein Text, den ich zum 40. Todestag des Schriftstellers und Chefautors der PERRY RHODAN-Serie, William Voltz, geschrieben habe. Er erschien zuerst im Mai 2024 in der Ausgabe 122 des SF-Fanzines Paradise des Terranischen Clubs Eden. Er wurde von mir leicht überarbeitet.

Viele ältere Leser der seit 1961 ununterbrochen laufenden Science-Fiction-Heftromanserie PERRY RHODAN schwärmen von William Voltz (1938-1984). Der gebürtige Offenbacher stieg 1963 in die Serie ein, die mit der ersten Mondlandung von Perry Rhodan im Jahr 1971 begann. Er verfasste Hunderte von Heftromanen. Ab 1974 sorgte er als Chefautor für eine inhaltliche Neuausrichtung der Serie hin zu mehr Komplexität und einem kosmologischen Überbau, der bis heute wirkt. Er starb 1984 an Krebs.

Band 1000 wird von Leserinnen und Lesern immer wieder als Meilenstein der Serie genannt. »Der Terraner« von William Voltz erschien im Oktober 1980 mit besonderer Jubiläumsausstattung, unter anderem einem umlaufenden Titelbild von Johnny Bruck und einem Risszeichnungsposter des Fernraumschiffs SOL von Bernhard Stoessel. Der Roman besteht aus drei Teilen mit insgesamt zehn Kapiteln. Der erste Teil spielt lange vor der Seriengegenwart und handelt von der Suche nach zwei ausgewählten Zellaktivatorträgern, dann folgt ein enzyklopädischer Mittelteil mit einem Überblick der geschichtlichen Entwicklung seit der ersten Mondlandung, und schließlich endet der Roman in der Seriengegenwart im Jahr 3588 v Chr. bzw. im Jahr 1 NGZ, in der Perry Rhodan von ES den Auftrag bekommt, die Kosmische Hanse zu gründen.

Das Cover

Werfen wir zuerst einen Blick auf das ikonische Titelbild von Johnny Bruck. Das Bild kennt wahrscheinlich jeder PR-Fan: Auf einem anscheinend atmosphärenlosen Himmelskörper pflanzt ein Raumfahrer in einem blauen Raumanzug, vermutlich der titelgebende Terraner (= Perry Rhodan), eine Flagge auf, die durch rot-weiße Streifen und Sterne auf blauem Grund an den Star-Spangled Banner der USA erinnert. Im Hintergrund ist ein aufrecht stehendes schlankes Raumschiff zu sehen, das man für Perry Rhodans Mondrakete »Stardust« halten könnte.

Eine Hommage an die erste Mondlandung im Perryversum? Vielleicht, aber in Heft 1 hat niemand eine Flagge auch nur erwähnt, und die offizielle »Stardust« sieht anders aus. Das Motiv hat Bruck aus einer Ausgabe der in Indianapolis erscheinenden Saturday Evening Post von 1959 abgekupfert, in der Paul Lehr eine Story von Frank Harvey mit dem Titel »The Deadly Dust« illustrierte, und 1960 bereits für den Terra-Roman 141 »Menschheit im Aufbruch« von Lan Wright verwendet.

Das Aufstellen einer Flagge ist eine imperiale Geste. Damit machen Entdecker und Eroberer seit dem Mittelalter sichtbar, dass sie das Territorium in Besitz nehmen. Die Praktik wurde von Christoph Kolumbus in seinem »Bordbuch« überliefert. Über seine Ankunft in der Neuen Welt am 12. Oktober 1492 schrieb er unter anderem: »Dort entfaltete ich die königliche Flagge, während die beiden Schiffskapitäne zwei Fahnen mit einem grünen Kreuz im Felde schwangen, das an Bord aller Schiffe geführt wurde und welches rechts und links von den je mit einer Krone verzierten Buchstaben F und Y umgeben war.« Diese symbolische Handlung ist bis in die Gegenwart wirkungsmächtig; man denke nur an das berühmte Foto »Raising the Flag on Iwo Jima« des US-amerikanischen Kriegsfotografen Joe Rosenthal vom 23. Februar 1945, das das Hissen einer US-Flagge durch sechs Soldaten auf der japanischen Pazifikinsel Iwojima zeigt. Die USA sah sich deshalb 1969 sogar veranlasst, vor der ersten Mondlandung ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Aufstellen der amerikanischen Flagge neben der Landefähre »Eagle« nicht als Akt der Inbesitznahme zu verstehen sei, sondern als »Geste des nationalen Stolzes«.

Dreht man das Heft um, fällt einem eine urzeitliche nächtliche Landschaft vor einem kosmischen Hintergrund ins Auge, in der ein Vulkan Magma auswirft, ein Dino wie das Ungeheuer von Loch Ness aus einer Wasserfläche ragt, und sich zwei Affenmenschen, der eine wie der Klischee-Neaderthaler mit einer Keule bewaffnet, dem Astronauten nähern. Das spielt selbstverständlich auf das geradezu ikonische Bild von der Evolution des Menschen an, auf dem fünf oder sechs hintereinander laufenden Gestalten die Entwicklung vom Australopithecus zum Homo sapiens symbolisieren.

Der Roman

Graffiti

Vor jedem der zehn Kapitel steht ein mit »Graffiti« überschriebenes skizzenhaftes Kurzporträt eines »normalen« Menschen. Das erste stellt uns Taou Sun Heng vor, der vor vier Tagen das letzte Mal etwas zu essen hatte. Er ist auf der Flucht vor Soldaten, nachdem sein Dorf überfallen und seine Familie getötet wurde. Ein anderes Graffito handelt von dem drogenabhängigen Jod Kellar, und schließlich stoßen wir auf Perry Rhodan, der »davon überzeugt [ist], dass der Mensch sich als Teil eines wunderbaren Universums begreifen und voller Harmonie darin leben kann«. Jedes Graffito schließt mit dem Namen und der den Romantitel aufgreifenden Formel »… ist ein Terraner«. Nur bei Perry heißt es »… ist der Terraner«.

Als 2012 der Silberband »Der Terraner« erschien, wurden die von William Voltz verfassten »Graffiti« mit Illustrationen der Berlinerin Marie Sann als kostenloses PDF wiederveröffentlicht. © Heinrich Bauer Verlag KG

Was auffällt: Es sind keine Frauen darunter, keine Kinder und keine Alten, nur Männer im mittleren Alter. Es gibt auch keine positiven Beispiele, alle Porträtierten – außer Rhodan – haben erhebliche Probleme oder sind Unsympathen. Als 2012 der Silberband 119 erschien, in dem »Der Terraner« enthalten ist, schrieb Chefredakteur Klaus N. Frick über die Graffiti, sie seien »eine klare Verankerung im damaligen ›Hier und Jetzt‹« und griffen »aktuelle Probleme« auf.
Der Roman endet mit einem Zitat aus der fiktiven Encyclopaedia Terrania: »Graffiti – in die Mauer eingeritzte Inschriften. Nach Meinung vieler Soziologen die kürzeste Form, in der sich der Zustand einer Zivilisation artikuliert.« Wenn das zutrifft, muss es nach Voltz‘ Ansicht um den Zustand der Zivilisation um 1980 sehr schlecht bestellt gewesen sein.

In der Vergangenheit

Der Sorgore Carfesch sucht die Superintelligenz ES zu einem unbestimmten Zeitpunkt in weit zurückliegender Vergangenheit auf. Im Auftrag des Kosmokraten Tyrik soll er zwei zuvor an ES geschickte lebensverlängernde Zellaktivatoren auf zwei spezielle Träger abstimmen. Sie sollen helfen, ES’ Mächtigkeitsballung zu erhalten und zu stabilisieren. Der Kosmokrat weiß zwar, dass die künftigen Träger ungewöhnliche Fähigkeiten haben, aber nicht, wer diese zwei potenziellen Ritter der Tiefe sind und wo und wann sie leben. Über einen sehr langen Zeitraum ist die von ES initiierte Suche nach ihnen erfolglos, bis der Gargamane Charruta einen der zwei Kandidaten entdeckt. Es ist der Arkonide Atlan, der gerade mitten im Krieg mit den Maahks steckt. Ein Robotschiff händigt Atlan den auf ihn abgestimmten Aktivator sowie die Konstruktionsunterlagen für eine Waffe, die Konverterkanone, aus, die helfen soll, den Methankrieg zu beenden. Der Roboter überbringt zudem die Botschaft von ES, er erhalte mit dem ZA »die Gelegenheit, in seinem Sinn zu handeln«.

Es vergehen weitere zehntausend Jahre, bis der zweite Träger gefunden wird. Es ist der erst neunjährige Perry Rhodan. Weil ein Kind als ZA-Träger sinnlos ist, holt ES den Jungen für einen Augenblick zu sich, um ihn »durch das Fenster zum Kosmos blicken [zu] lassen und dafür [zu] sorgen, dass das Feuer niemals in ihm erlischt«, und nimmt ihm anschließend die Erinnerung daran.

Diese Geschichte passt nicht zur Überlieferung in der Serie und widerspricht ihr zum Teil sogar. Danach löste Perry Rhodan nämlich Anfang 1976 das Galaktische Rätsel und begegnete ES auf Wanderer (#19). Voltz nimmt darauf im mittleren Teil des Romans selbst Bezug und schreibt: »Versehen mit der lebensverlängernden Zelldusche, die sie von ES erhielten, konnten Rhodan und seine Mitarbeiter den Kampf gegen die verschiedensten Gefahren aufnehmen, die der Erde nun drohten.« Einen Zellaktivator erhält Perry erst im Jahr 2103 unter merkwürdigen Umständen, bei denen ES eine sadistische Ader zeigt. In Band 112 »Der Mann mit den zwei Gesichtern« wird von Kurt Brand geschildert, dass Perrys Sohn Thomas Cardif in dessen Rolle schlüpft und von ES einen Zellaktivator für sich verlangt und erhält, der unmittelbar vor der Übergabe von dem Geisteswesen im Physiotron auf Perry geprägt wird. Woher ES, der Cardif durchschaut, den Aktivator hat, wird nicht gesagt. Unter dem Einfluss dieses speziellen Aktivators setzt bei Cardif ein unnatürliches Zellwachstum ein. Als Cardif und Perry sich begegnen, wechselt der ZA, der an Cardif festgewachsen ist, »in die Hände seines rechtmäßigen Besitzers«, schreibt Voltz. Dabei findet Perrys Sohn den Tod.

Warum bekommt Perry seinen ZA, den ES seit Jahrmillionen für ihn aufbewahrt, nicht bereits bei der ersten Begegnung auf Wanderer, sondern erst knapp 130 Jahre später und über den Umweg Thomas Cardif? Die ehrliche Antwort ist natürlich, dass der ZA erst mit Atlan in Band 50 in die Serie eingeführt wurde, für Band 19 also noch nicht zur Verfügung stand.

Voltz rettet sich über diese Ungereimtheit hinweg, indem er ES nach der Begegnung mit dem Kind das galaktische Rätsel im Wegasystem als eine Prüfung für Perrys Tauglichkeit vorbereiten und beschließen lässt, Perry die Unsterblichkeit ohnehin »nur behutsam« zu verleihen. Bei Atlan hatte ES diese Vorbehalte nicht. Dem wurde der ZA quasi durch einen Paketboten zugestellt.

Hier überschreibt WiVo die Serien-Überlieferung mit einer eigenen Version, die besser in sein Konzept passt.

Historie

Im anschließenden sechsten Kapitel fasst WiVo die Geschichte des Perryversums von der ersten Mondlandung bis zur Handlungsgegenwart Zyklus für Zyklus zusammen und verleiht ihr damit Kontinuität. Dabei macht der Autor darauf aufmerksam, dass »die Menschheit immer tiefer in den Strudel kosmischer Ereignisse« gerät und Rhodan »unbeirrt« daran arbeitet, »die Menschheit früher oder später in eine kosmische Ordnung integrieren zu können«. Er habe aufgehört, »die Serie dramatischer Ereignisse in all den Jahren nach seiner erfolgreichen Mondlandung als isolierte Vorgänge anzusehen«. Schon im Untertitel des Romans ist von der »Bestimmung der Menschheit“ die Rede. Im Kontext mit der zuvor erzählten Geschichte wird hier ein deterministisches Weltbild, in dem alles auf eine unvermeidliche Zukunft hinauszulaufen scheint, sichtbar, das die PERRY RHODAN-Serie immer stärker prägen wird.

Voltz erzeugt durch seine Darstellung aber auch die Illusion, dass die Entwicklung der Serie selbst von Anfang an vorherbestimmt war. Eine starke Leistung.

In der Gegenwart

Wir sind jetzt im Jahr 3588. Perry Rhodan hängt in einer Bar ab. Er ist frustriert: »Warum meldete ES sich nicht? Warum schwiegen die Kosmokraten?« Kaum gedacht, wird er von zwei Robotern abgeholt und zu Carfesch gebracht, dessen Bewusstsein ES in sich aufgenommen hatte. Der Sorgore überbringt eine Einladung der Superintelligenz. Mit Hilfe von Laires Auge, einem technischer Wunder-Gimmick, gelangt Rhodan zu ES’ Heimstatt Eden II. Er ist begierig zu erfahren, »was ich zu tun habe«.

ES eröffnet ihm, dass die Menschheit eine Aufgabe habe. Unmissverständlich wird ihm befohlen: »Sobald du zurückgekehrt bist, wirst du ein Unternehmen in Angriff nehmen, wie es bisher noch niemals durchgeführt wurde.« Die Kosmische Hanse soll, getarnt als Handelsorganisation, ES in einer Auseinandersetzung mit der Superintelligenz Seth-Apophis unterstützen. Diese drohe zu degenerieren und versuche mit allen Mitteln, sich dagegen zu wehren. Dadurch sei ES selbst in seiner Existenz bedroht. Mit Gründung der Hanse soll zudem ein neuer Kalender eingeführt werden.

Anschließend gibt es kosmologischen Nachhilfeunterricht für Perry. ES erklärt ihm das Zwiebelschalenmodell von der Entwicklung des Lebens im Universum vom Urzustand bis zu den Superintelligenzen und Kosmokraten. Rhodan erfährt, dass das Universum ein »Ort einer immerwährenden unvorstellbaren Auseinandersetzung« ist, was Materiequellen und Materiesenken sind, und dass die Menschheit die Chance, aber nur 20.000 Jahre Zeit hat, zu einer Superintelligenz zu werden.

Mit Carfesch im Schlepptau kehrt Rhodan nach Terrania zurück und verkündet seinen verblüfften Freunden Reginald Bull und Julian Tifflor, dem amtierenden Ersten Terraner, ohne weitere Erklärung: »Von nun an gilt eine neue Zeitrechnung […] In diesem Augenblick beginnt das Jahr eins der Kosmischen Hanse.«

Das ist schon ziemlich starker Tobak. Wie ein Despot zwingt Rhodan, der nicht einmal ein öffentliches Amt in der zwei Jahre zuvor gegründeten Liga Freier Terraner hat, der Menschheit eine neue kulturelle Ordnung auf, die offenbar von niemandem infrage gestellt wird. Das kommt einem Putsch gleich.

Ob Voltz und die Leser das genauso gesehen haben, wage ich zu bezweifeln.

Fazit

Die Geschichte um Carfesch und die Suche nach den besonderen Aktivatorträgern ist cool. Der Sorgore hat Charakter und eine positive Ausstrahlung. Eine gelungene Figur. Was die Suche selbst angeht, die in zwei Geschichten erzählt wird, stört ein wenig, dass sie schon Jahrmillionen dauert, die Superintelligenz dann aber so ungeduldig ist, dass sie nicht einmal die paar Jahre abwarten kann, bis Perry alt genug für den Zellaktivator ist. Diese plötzliche hektische Eile bei schon Äonen andauernden Prozessen ist ein Phänomen, das mir in der Serie immer wieder aufgefallen ist. Sie ist der Dramaturgie geschuldet, damit Perry eingreifen kann.

Der handlungslose Mittelteil mit dem kompakten historischen Rückblick war mir zu lang, aber ich verstehe die Absicht dahinter, alles in einen Zusammenhang zu bringen. Er macht den Roman zudem zu einem idealen Band für Einsteiger.

Der dritte Teil auf Eden II bringt die Zerrissenheit Perrys gut rüber und setzt mit der Einführung des Zwiebelschalenmodells den Rahmen für den Fortgang der Serie. »Der Terraner« ist ein programmatischer Roman.

Willi Voltz verpasst der Serie allerdings auch eine Art quasireligiösen Hintergrund. Da gibt es Wesen, die die Geschicke des Universums lenken, und es werden zwei Ausgewählte gesucht, die helfen sollen, eine elementare Bedrohung zu beseitigen.

In Würdigung des Voltz’schen Werks wird gerne auf seine »zutiefst humanistische Einstellung«vii, die vor allem in den Nebencharakteren zum Ausdruck kommt, verwiesen. In »Der Terraner« wird der Menschheit jedoch das Recht auf eigenständige, unabhängige Entwicklung genommen, denn sie hat im Auftrag höherer Mächte eine Aufgabe zu erfüllen und wird nicht gefragt, ob sie das möchte. Sie ist im Grunde zu einem rechtlosen Hilfsvolk der Superintelligenz mit Rhodan an der Spitze geworden. Dabei macht sich Perry selbst zum Befehlsempfänger und Erfüllungsgehilfe von ES, denn er fragt nicht, was er tun kann, sondern was er zu tun hat.

Das kommt auch in der Einführung des Neuen Galaktischen Zeitrechnung (NGZ) – die in diesem Roman noch gar nicht so heißt – zum Ausdruck. Die NGZ ist eine stetige Erinnerung an die Aufgabe, die ES der Menschheit erteilt hat. Tifflor wirft Rhodan, der sich das nicht ausgedacht hat, in einer spontanen Reaktion einen »gregorianischen Komplex« vor. Das weist auf die Reform unter Papst Gregor im Jahr 1582 hin, der wir unseren heutigen Kalender verdanken. Damals wurden aber nur die Probleme mit dem geltenden julianischen Kalender beseitigt, wobei es vor allem um den Frühlingsanfang und des davon abhängigen Termins des Osterfestes (erster Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond) ging. Der Perrypedia ist zu entnehmen, dass der gregorianische Kalender mit seiner Schaltjahresregelung weiter gilt. Es wurde nur der Name geändert, und die Zählung wurde zurückgesetzt. Welche Probleme das für alle Galaktiker, die nicht auf Terra wohnen, haben könnte, hat Rainer Castor in einem »Kommentar« in Band 2620 angedeutet.

Nach »Der Terraner« geschieht im Perryversum nichts mehr einfach so. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Das ist das Voltz’sche Vermächtnis.

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Der Traum vom Mondflug

Vor 100 Jahren herrschte Optimismus bei den Raketenpionieren. Einer von ihnen war Otto Willi Gail.


Otto Willi Gail
Mit Raketenkraft ins Weltenall – Vom Feuerwagen zum Raumschiff
Stuttgart 1928


Mit dem Buch »Mit Raketenkraft ins Weltenall – Vom Feuerwagen zum Raumschiff« als Lektüre habe ich eine wissenschaftliche Reise in eine Zeit unternommen, als Raumfahrt noch ein Traum und vieles, was uns heute an Technik und Wissen selbstverständlich ist, unbekannt war. Das Sachbuch erschien 1928, Autor war Otto Willi Gail. Der Physiker und Journalist, Jahrgang 1896, hatte drei Jahre zuvor den Roman »Der Schuß ins All« veröffentlicht, in dem das erste Mal Raumfahrt realistisch beschrieben wurde.

Das war kein Zufall. Gail hatte Kontakt zu den deutschen Raketenpionieren Hermann Oberth und Max Valier, der wie Gail in München lebte. Die Männer waren befreundet und gehörten zum Verein für Raumschiffahrt, der maßgeblich an der Entwicklung von Raketentechnik beteiligt war und die Idee des Weltraumflugs populär machte. Gails Buch war ein Beitrag dazu.

Es erläutert auf hundert Seiten die physikalischen und technischen Grundlagen der Raumfahrt und gibt Einblick in den Entwicklungsstand der Raketentechnik. Ausführlich werden unter anderem die Versuche mit dem raketenbetriebenen Rennwagen behandelt, die Max Valier in jener Zeit zusammen mit dem Rüsselsheimer Autobauer Fritz von Opel machte. Valier starb 1930 durch eine Explosion bei einem Triebwerkstest und gilt deshalb als erstes Todesopfer der Raumfahrtgeschichte.

Theoretische Grundlagen waren bekannt

Was aus heutiger Sicht an dem Buch fasziniert ist zum einen der Enthusiasmus und die Zuversicht, die es ausstrahlt. Gail und seine Raketenfreunde waren offenbar überzeugt, dass es nur noch wenig Jahre dauern würde, bis der erste Mensch zum Mond fliegt. Dass es passieren würde, stand für sie außer Zweifel. Es war nur eine Frage der Zeit. Dabei unterschätzten sie allerdings nicht nur die technischen Herausforderungen, sondern auch die Kosten.

Der Optimismus lag vor allem darin begründet, dass Mitte der 1920er Jahre alle theoretischen Grundlagen bekannt waren. Die hatte unter anderem der Physiker Hermann Oberth 1923 mit seinem wegweisenden Buch »Die Rakete zu den Planetenräumen« gelegt. Er entwickelte das Konzept der Stufenrakete, setzte auf flüssigen Treibstoff und entwarf Raumstationen als Zwischenstation auf dem Weg zu anderen Welten. Walter Hohmann legte 1925 mit dem Buch »Die Erreichbarkeit der Himmelskörper« die mathematischen Grundlagen für die Flugbahnberechnung. Nach ihm ist die Hohmann-Transfer benannt, der Kurs, den ein Raumschiff nehmen muss, um mit möglichst wenig Energieaufwand von einer Kreisbahn in eine andere zu wechseln.

Andererseits fehlten den Raketenpionieren einiges an Kenntnissen, die heute in der Raumfahrt unerlässlich sind. Man wusste damals zum Beispiel nicht, ob sich Funkwellen im Weltraum genauso ausbreiten wie auf der Erde. Deshalb setzten Oberth und andere für die Kommunikation auf Licht. Signale aus dem Weltraum sollten mit großen Spiegeln zur Erde geschickt werden. Ebenso wenig wurden Fernlenkung oder Automation in Betracht gezogen. Den Raketenstart, so die Vorstellung von Gail, muss die Besatzung »im Führerraum unseres Weltraumkreuzers« einleiten: »Im gleichen Augenblick zuckt die Hand des Führers nach dem Anlasser … Der Hebel fliegt herum. Ein gewaltiger Ruck läßt das Schiff erbeben, die Knallgasfüllung hat sich entflammt und die Düse der Rakete speit donnernd kosmische Gewalten dem versinkenden Festland zu.« (S. 88)

Die Raketenpioniere waren sich der gesundheitlicher Gefahren gerade in der Startphase bewusst. Wegen der starken Beschleunigung sollten die Besatzungsmitglieder in Hängematten, die den Druck abfangen, liegen. Eine Beschleunigung von 40 Meter pro Sekundenquadrat (die vierfache Erdbeschleunigung) hielt Gail für »die Grenze … zwischen Leben und Tod« (S. 88). Um den Antrieb abzuschalten, müssen die Raumfahrer die »unerträglich[e]« Beschleunigungskraft überwinden: »Langsam hebt der Führer den Arm, mit übermenschlicher Anstrengung führt er ihn zum Gashebel, kämpft mühsam um jeden Zentimeter.« (S. 89) Schön dargestellt ist das im Stummfilm »Die Frau im Mond« von 1929 (bei YouTube), an dem Hermann Oberth als Berater mitwirkte. Tatsächlich sind heutige Astronauten und Kampfjetpiloten weitaus höheren Beschleunigungen ausgesetzt, ohne dauerhafte Schäden davonzutragen.

Nur mit fast übermenschlicher Anstrengung gelingt es den Raumfahrern im Stummfilm »Die Frau im Mond«, die Raketentriebwerke abzuschalten. Das Schaltpult ist allerdings auch ungünstig angebracht.

Wenn der Koch den Wein einschenken will

Als völlig unproblematisch für den Körper wurde die Schwerelosigkeit betrachtet. Gail machte sich nur Gedanken darüber, wie das Essen und Trinken funktioniert: »Will sich einer zum Beispiel ein Glas Wein eingießen, so nützt es gar nichts, wenn er die Flasche über das Glas neigt. Der Wein fließt nicht aus, man kann die Flasche kippen soviel man will.« (S. 93). In seinem Roman »Der Schuß ins All« lässt Gail sogar einen Koch mitfliegen, der die Besatzung versorgt. Allerdings schildert er darin nicht, wie dieser die Speisen in der Kombüse zubereitet.

Kein Thema ist bei Gail die kosmische Strahlung. Dabei wurde die sogenannte Höhenstrahlung bereits gut zehn Jahre zuvor vom Ballonfahrer Victor Franz Hess entdeckt. Unklar war zu jener Zeit, was die Ursache war. Dass sie aus dem Weltraum kommt, wurde erst in den 30er Jahren zweifelsfrei festgestellt. Womöglich hielten die Raketenpioniere die gesundheitsschädliche Höhenstrahlung für ein atmosphärisches Phänomen und verschwendeten daran keinen Gedanken.

Nicht ganz so durchdacht wie die Grundlagen des Raketenstarts waren die Überlegungen, wie die Rakete, das heißt deren Oberstufe, nach der gelungenen Mondumrundung auf die Erde zurückkommt. Klar war den Pionieren, dass das Raumschiff stark abgebremst werden muss und dabei hohe Reibungshitze entsteht. Gail verweist auf Hohmann. Dieser »denkt sich die Art der Landung auf der Erde in einer Serie von immer enger an den Erdball heranführenden Bahnellipsen unter vorsichtiger Ausnützung der Bremswirkung der Luft« (S. 81). Am Ende wird mittels Tragflächen in den Gleitflug übergangen. Das ist das Space-Shuttle-Prinzip.

Bremsen mit Blechscheiben

Gail selbst sieht den Wiedereinritt in die Erdatmosphäre so: »[A]us der nach rückwärts gerichteten Schiffsspitze [schiebt sich] ein Kabel ins Freie an dem in kleinen Abständen konisch nach hinten gebogene Blechscheiben, ähnlich den Quasten am Schwanze eines Papierdrachens, aufgereiht sind. Diese Scheiben stemmen sich gegen die Luft, erzeugen hinter dem Schiffe mächtige Wirbel und üben eine starke Bremswirkung aus.« (S. 79) Allerdings verglühen die Scheiben schnell durch die Reibungshitze und immer neue müssen nachgeschoben werden. Dadurch »bleibt das Schiff selbst von übermächtiger Überhitzung bewahrt« (S. 79). Wenn die Rakete weit genug abgebremst ist, kommt ein Fallschirm zum Einsatz. Valier hatte übrigens die Idee, bei Gefahr die »Beobachterkammer« von der Rakete zu trennen und am Fallschirm auf die Erde schweben zu lassen. Nach diesem Prinzip landen bis heute alle Raumkapseln.

Bei den Raketenpionieren war die Landung auf dem atmosphärenlosen Mond übrigens kein Thema. Gail schreibt: »Leicht wird die Landung auf dem Mond nicht sein, und vorerst denkt noch niemand daran.« (S. 81) Aber er war überzeugt, dass »kühne Raumpiloten« das eines Tages versuchen werden. Vier Jahrzehnte später, am 20. Juli 1969, wurde dieser Traum wahr. Die kühnen Raumpiloten waren Amerikaner und hießen Neil Amstrong und Edwin Aldrin.

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Ein Heimatroman des Grauens

»Das Gangrän« spielt in Luxemburg. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird in diesem Roman von Maxime Weber unscharf.

Maxime Weber: Das Gangrän. Kremart Edition, Luxemburg. 2021. ISBN 978-2-919781-40-9. 300 Seiten, 18 Euro.

Gangrän – was für ein seltsames Wort. Weil der Roman »Das Gangrän« des Luxemburgers Maxime Weber in Luxemburg spielt, habe ich es für ein luxemburgisches Wort gehalten. Aber weit gefehlt: Gangrän kommt aus dem Griechischen und ist ein medizinischer Ausdruck für die Verwesung oder Selbstverdauung von Gewebe. Es verheißt nichts Gutes für die Protagonisten, dass Gangrän dem Buch den Titel gegeben hat.

Die junge Luxemburgerin Jeanne hört auf dem Weg von Paris, wo sie studiert, zu ihrem fiktiven Heimatort Pardange, wo sie die Semesterferien verbringen will, von einem verstörenden Vorfall in Indien mit hunderten Toten und einem ähnlichen Ereignis in Algerien. Dort ist wie aus dem Nichts ein bläulich leuchtendes Geflecht erschienen. Bei der Berührung mit ihm zersetzt sich alles Organische, egal ob Pflanze, Tier oder Mensch, als ob es in Sekundenschnelle verwelkt oder verwest.

Das Phänomen berührt Jeanne zunächst nur am Rande; es ist unheimlich, aber weit weg. Sie freut sich, ihre Familie und ihre Freunde wiederzusehen, geht mit ihnen feiern und hat eine gute Zeit. Weber gibt diesem Ferienalltagsleben viel Raum und auch Jeannes Versuchen mit luziden Träumen, ein Thema, das den ganzen Roman bis zur letzten Seite durchzieht (Ich musste mich erst einmal schlau machen, was das ist.). So betulich und einfach wie das Leben in dem 700-Seelendort ist an einigen Stellen aber auch die Sprache des Buchs. Es gibt stilistische Schwächen, Unbeholfenheiten. Etwa wenn es heißt: [Sie konnte] »all diese Erlebnisse durchleben« (2 x »leb«) oder »Als ihr Großvater merkte, dass sie auf ihn zukam …« (banal und unmotivierter Perspektivwechsel, Perspektivfigur ist immer Jeanne.)

Auf solche Banalitäten folgen aber immer wieder tiefgründige, fast schon poetische Formulierungen wie: »Dass die vertrautesten Gesichter Räume hinter sich verbargen, zu denen nie jemand Zutritt hatte; unkartografierte Inseln des radikal Anderen, die immer wieder im eigentlich familiären Ozean aufblitzten.«

Maxime Weber

Das Grauen kommt näher

Irgendwann dringt das Gangrän in Jeannes Welt ein, anfangs indirekt: Während einer Fernsehübertragung der Tour de France wird live nach Paris geschaltet, die Stadt, in der Jeanne lebt. Das inzwischen Gangrän getaufte Phänomen überwuchert in Nullkommanix die ikonische, 111 Meter hohe Grande Arche im Hochhaus-Stadtteil La Défense. Die Fernsehzuschauer erleben dabei mit, wie ein Mensch vom Gangrän »verwest« wird: »Seine Haut verfärbte sich plötzlich zu einem bläulichen Purpur, ehe sie in ein orangenes Rot überging. Dann fing der Körper an zu schrumpfen und nach und nach lösten sich die Gliedmaßen vom Rumpf wie Blätter von einem leblosen Baum. Zurück blieb nur die Kleidung.«

Während das Gangrän, gegen das es kein Mittel zu geben scheint, sich unaufhaltsam ausbreitet und das öffentliche Leben weltweit zusammenbricht, grenzt sich Jeannes Leben immer weiter auf Pardange ein. Ihre beste Freundin Caroline, die im Nachbarort wohnt, zieht bei ihr ein. Eines Tages machen sie sich auf, um Jeannes Großeltern, die in der Stadt Luxemburg leben, in ihr Dorf zu holen. Die Hauptstadt des Großherzogtums ist fast menschenleer, wer konnte, ist vor dem schon sehr nahen Gangrän geflohen.

Hier gelingt Weber die wohl eindringlichste Szene des Buches: Jeanne und Caroline beobachten, versteckt in einem liegengebliebenen Straßenbahnwagon, wie ein Mann und eine Frau von einer Gruppe sogenannter Gangränisten verfolgt und gestellt wird. Als die Frau sich wehrt, wird sie erschossen. Anschließend wird der Mann gezwungen, sich in eine bizarre Prozession einzureihen. Angeführt von einem »Hohepriester« genannten Mann ist es das Ziel dieser Menschen, sich in das Gangrän zu stürzen, um Erlösung zu finden.

Nahe an der Realwelt

Die Szene lässt Weber an einer Stelle spielen, die fast jedem Luxemburger etwas sagen dürfte (und nicht Ortskundige problemlos bei Google Maps finden können). Das rückt die fiktiven Ereignisse nahe an unsere Realwelt, was diese noch bedrohlicher wirken lässt. Genauso funktioniert die Wahl der Grande Arche. Wer schon mal dort war, kann sich das Ungeheuerliche des Vorgangs erschreckend bildhaft vorstellen. Dem Roman ist außerdem eine Karte von Pardange vorangestellt, als deren Autoren zwei Romanfiguren genannt werden (was man aber erst im Laufe der Lektüre bemerkt). Das macht den fiktiven Ort und die Ereignisse dort erfahrbarer. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird unscharf.

Wie der Roman zu Ende geht, ob das Gangrän die Welt überwuchert oder – im übertragenenen Sinne – im letzten Moment die Kavallerie anrückt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten (wie z. B. im Film »Shaun of the Dead«), lasse ich hier offen.

So unglaublich es klingt: Webers schöner Debütroman verbreitet sogar ein wenig Optimismus (wenn auch nicht für die Romanfiguren, so doch für die Leserinnen und Leser): Auch in der bedrohlichsten Krise muss nicht alles den Bach runtergehen, ist die Botschaft. Jeanne, die ohne ein klares Ziel im Leben war, kann ihre Fähigkeit des luziden Träumens weiterentwickeln, entdeckt ihre Stärken, übernimmt Verantwortung für die selbstbewusst gewordene Dorfgemeinschaft und vergnügt sich, wenn auch nur sehr kurz, mit einem jungen Franzosen (zum Glück macht den Autor nicht den Fehler, die Story mit einer Liebesgeschichte zu überfrachten).

Weber bezeichnet seinen Heimatroman als Weird Fiction. Mit dem Gangrän hat er ein übernatürliches, unergründbares Phänomen geschaffen, das nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der junge, noch nicht einmal 30 Jahre alter Autor weiß, in welcher Tradition er damit steht. Es gibt Verweise auf den Cthulhu-Mythos von H. P. Lovecraft und Mary Shelleys »Frankenstein«. Denn Jeannes Mutter ist Literaturprofessorin mit Schwerpunkt Science-Fiction. Es kommt sogar ein Raumschiff vor – wenn auch nur in einem luziden Traum.

  • 2023 wurde »Das Gangrän« vom altehrwürdigen Institut Grand-Ducal de Luxembourg mit dem »Prix Arts et Lettres« ausgezeichnet. Dieser Förderpreis wird alle zwei Jahren an einen jungen Künstler verliehen.

Die Rezension erschien erstmals in Ausgabe 278 der Andromeda Nachrichten, dem Mitgliedermagazin des Science-Fiction-Clubs Deutschland.

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