Wer in der ostfriesischen Stadt Leer von der Brunnenstraße kommend die Mühlenstraße entlanggeht, passiert den Altbau der Ostfriesichen Volksbank (OVB), ein imposantes Gebäude, das 1924 fertiggestellt wurde. Am ehemaligen Haupteingang, direkt unter dem Firmenschild, fällt ein fast gleichgroßer heller, quadratischer Fleck auf. Dübellöcher zeigen, dass dort einmal etwas angeschraubt war.
Bis vor einigen Jahren erinnerte an dieser Stelle eine Bronzetafel an einen Ereignis am Ende des Zweiten Weltkriegs in Leer. Sie trug diese Inschrift:
»Am 29. April 1945 um 4.00 Uhr wurde dieser Eingang von canadischen Truppen – den Water-Rats – im Rahmen der Kampfhandlungen um Leer gesprengt.«

Die Kanadier (3. Panzerdivision) waren einen Tag zuvor in die Stadt gekommen und hatten das Bankgebäude besetzt. Bei den Kämpfen mit deutschen Truppen wurde die Tür gesprengt, wobei offenbleiben muss, ob dies gezielt geschah, um in das Gebäude zu gelangen, oder ob es ein »Kollateralschaden« war. Offenbar wurde in den nächsten Tagen von plündernden Soldaten auch versucht, die Tresortür in der Bank zu sprengen, um an die Schließfächer zu kommen, was ihnen jedoch nicht gelang.
Ort der Verräumung nicht dokumentiert
Vor einigen Jahren standen bei der OVB umfangreiche Baumaßnahmen an. Es wurde an- und umgebaut. Nach Auskunft des Bankvorstands in einem Brief an mich vom 4. August 2017 wurde die Plakette seinerzeit abgenommen, »um sie vor Beschädigung durch die Baumaßnahmen zu schützen«. Seither ist die Tafel verschollen: »Der Ort der Verräumung wurde jedoch nicht dokumentiert.«
Die heute fehlende Plakette war das Einzige, das im Stadtbild von Leer an das wenig rühmliche Ende des Zweiten Weltkriegs erinnerte. Die Inschrift deutet das durch das Wort »Kampfhandlungen« an. Tatsächlich war die Stadt umkämpft, weil der Stadtkommandant nicht aufgeben wollte. Die kanadischen Truppen beschossen die Stadt vom jenseitigen Emsufer aus, unterstützt von alliierten Bombern. Ziel war unter anderem die Kaserne am südlichen Stadtrand. Bei den Kämpfen kamen in wenigen Tagen rund 400 Menschen ums Leben, das waren, wie der Historiker Enno Eimers in seiner »Stadtgeschichte« vermerkt, mehr Tote als bei den zahlreichen Luftangriffen auf Emden, wo in viereinhalb Jahren 316 Menschen ums Leben kamen.
Insofern hinterlässt der Verlust der Tafel eine Leerstelle im Gedächtnis der Stadt.
Widerstandskämpfer erschossen
Dass der Krieg nicht spurlos an Leer vorbeiging, dokumentiert aber inzwischen eine andere Tafel. In den Wirren der letzten Kriegstage kam ein selbsternannten Hauptmann namens Willy Herold mit einem Trupp Soldaten in die Stadt. Der »Henker vom Emsland«, dem zuvor schon mehr als 100 Kriegsgefangene im Emslandlager zum Opfer gefallen waren, ließ am 25. April 1945 fünf niederländische Widerstandskämpfer – Johannes Gerhardus Kok, Kornelis Pieter Fielstra, Johannes Adrianus Magermans, Carolus Henricus Hubertus Magermans und Johannes Verbiest – ermorden, nachdem er sie widerrechtlich aus dem Leeraner Polizeigefängnis geholt und in einem Standgericht zum Tode verurteilt hatte.
Eine Bronzetafel mit den Namen und Lebensdaten der fünf Ermordeten wurde im April 2013 am Eingang zum ehemaligen Gefängnis im Rathaus angebracht. Eine weitere Gedenktafel wurde ein Jahr später im Westerhammrich an der Stelle aufgestellt, an der die Niederländer erschossen wurden.
Quellen:
Enno Eimmers: Kleine Geschichte der Stadt Leer. Leer 1993.
Norbert Fiks: 125 Jahre Ostfriesische Volksbank eG. Leer 1994 (Festschrift).
T.X.H. Pantcheff: Der Henker vom Emsland. Dokumentation einer Barbarei am Ende des Krieges 1945. Leer 1995.
Petra Herterich: Die Geschichte der Väter ist unvergessen. Ostfriesen-Zeitung, Leer, vom 27.4.2013 (online hinter Bezahlschranke).
Daniel Noglik/Christian Wöste: Blutiger Streifzug eines falschen Offiziers, Ostfriesen-Zeitung, Leer, vom 26.4.2014 (online hinter Bezahlschranke)
Persönliche Mitteilung der OVB an den Verfasser vom 4. August 2017.
Da es ja augenscheinlich nicht am Willen der Volksbank scheitert die Tafel wieder auf zu hängen, sondern am Fakt das man diese einfach nicht wiederfindet und wohl auch nicht die Mittel hat eine neue fertigen zu lassen, würde ich in Betracht ziehen diese über eine private Initiative fertigen und kostenlos anbringen zu lassen. Gibt es unter Umständen hier Mitglieder die dies unterstützen würden?
Inzwischen sind ja einige Jahre vergangenen, und bei der OVB haben neue Leute das Sagen. Man sollte einfach mal nachfragen, ob die Tafel inzwischen wiedergefunden wurde. Wer weiß, vielleicht hat der Hausmeister mal aufgeräumt. Als vor ein paar Jahren die Sparkasse in Leer neu gebaut wurde, hatte man die an der Rückseite angebrachte Tafel für den früheren Bürgermeister Abraham Ehrlenholtz auch eingelagert und wollte sie zunächst nicht wieder aufhängen (so weit ich mich erinnere, hatte der Archtitekt etwas dagegen, aber ich weiß nicht, ob das stimmt). Inzwischen hängt sie wieder.
Ich vermisse diese Gedenktafel sehr. Als Schüler des damaligen GfJ (Gymnasium für Jungen / Heute UEG) bin ich fast täglich an dieser Tafel vorbei gegangen. Die Canadian Water-rats haben sich in mein Gedächnis eingeprägt. Mir ist bekannt, daß die Tafel damals unter Veranlassung des damaligen Vorstandes Jürgen Demmig entfernt wurde und nach seiner eigenen Angabe im Keller der Bank verstaut wurde. Seine damalige Begründung:“Das paßt nicht mehr in die (damalige) Zeit.“ Leider habe ich es damals versäumt von dem Schild ein Foto zu machen; so habe ich auch nur die „Leerstelle“ als Foto in meinem Archiv.
Danke für den Kommentar. Bei der Gelegenheit ist mir aufgefallen, dass die Tafel nicht nur vom Gebäude, sondern ein Foto davon auch aus dem Post verschwunden ist. Da werde ich eins aus meinem Archiv raussuchen und einbauen müssen.
Herzlichen Dank für die neue Einstellung des Fotos der Gedenkplakette!
Ich habe es gleich auch in meinem Archiv gespeichert.
Viele Männer und Frauen der alliierten haben ihr Leben gegeben um uns eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Hier die Erinnerung nicht aufrecht zu erhalten ist in meinen Augen traurig.
Wenn die Volksbank die Gedenktafel nicht wieder finden kann, so sollte vielleicht eine neue Tafel in Betracht gezogen werden.
An die Tafel an der Bank erinnere ich mich noch, ich habe mich schon immer gefragt, warum die Sprengung ein so bedeutendes Ereignis während des Krieges war. Wichtiger als die Tür ist aber die Erinnerung an die Opfer des Krieges, ob es nun Bürger der Stadt waren, Soldaten, die im Kampf auf beiden Seiten ihr Leben lassen mussten – oder die Niederländer, die purer Mordlust zum Opfer fielen!