Mit Arthur C. Clarke auf dem Holzweg

Das dritten Clarksche Gesetz gehört zu den anerkannten Axiomen der Science-Fiction. Ich halte nichts davon.

Vor 60 Jahren formulierte der Schriftsteller Arthur C. Clarke (1917-2008) das sogenannte dritte Clarkesche Gesetz. Es ist neben den Robotergesetzen von Isaac Asimov die am häufigsten zitierte vermeintliche Grundregel der Science-Fiction.

Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.
(im Original: Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.)

Der Brite gilt als einer der bedeutendsten SF-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Auf einer seiner Kurzgeschichten beruht der Filmklassiker »2001: Odyssee im Weltraum«. Clarke war auch ein visionärer Wissenschaftler. Er hat zum Beispiel bereits 1945 die Idee von geostationären Satelliten für die weltweite Kommunikation entwickelt.

Clarke formulierte die drei Gesetze 1962 im Essay Hazards of Prophecy: The Failure of Imagination aus dem Sammelband Profiles Of The Future: An Inquiry into the Limits of the Possible (1962, rev. 1973; pp. 14, 21, 36). Darin vertritt er die Auffassung, dass es Prognosen (bzw. dessen Urhebern) meistens an Mut und Phantasie mangele. Mit Science-Fiction direkt hat das nichts zu tun.

Die beiden anderen Gesetze lauten

  1. Wenn ein angesehener, aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.
  2. Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist, ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.

Das dritte Gesetz wird nicht nur häufig in Beiträgen über Science-Fiction zitiert, auch in SF-Romanen, -Kurzgeschichten und -Filmen selbst wird es gerne erwähnt. Ein Beispiel von vielen ist diese Passage aus einem Roman der Perry Rhodan-Serie:

Der Extrasinn hatte, wie meistens, eine Antwort darauf. Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“

(Uwe Anton/Christian Montillon: Der Sternenwanderer – Perry Rhodan 2950).

Gefunden habe ich es aber auch im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Test der Falcon-Heavy-Rakete des Raumfahrunternehmens SpaceX im Februar 2018.

Das Zitat gehört also offenbar inzwischen zum Redewendungen-Kanon der SF- und weltraumaffinen Community.

Die Griffigkeit der Aussage im dritten Gesetz, das Spiel mit dem vermeintlichen Gegensatz Technik/Magie, der prominente Urheber und die sich darauf ergebende Popularität verstellen aber offenbar den kritischen Blick darauf. Ich halte den Satz für Unsinn.

Die Prämissen stimmen nicht

Um eine sinnvolle Aussage zu machen, müssen die Prämissen stimmen. Als Rationalist mit einem auf überprüfbaren Fakten basierenden Standpunkt weiß ich: Es gibt keine Magie, im Unterschied zu fortschrittlicher Technologie. Wenn es keine Magie gibt, taugt sie als Vergleichsobjekt nicht.

Magie ist nur ein Wort, eine Bezeichnung für das Wirken unerklärbarer, scheinbar übernatürlicher Kräfte auf unsere Welt, die durch Götter, Geister oder sonst etwas verursacht werden. Tatsächlich gibt es solche Kräfte nicht, ebenso wenig wie ihre vermeintlichen Verursacher, denn alles, was in unserer Welt wirkt, ist auch von dieser Welt und beruht auf Naturgesetzen. Es gibt nur Wissen beziehungsweise Unwissen über die Naturgesetze und die damit verbundenen Kräfte.

Der Angehörige eines Naturvolk aus dem Amazonasgebiet, das noch nie Kontakt mit moderner Technik hatte (soll’s geben), wird ein Smartphone für Magie halten, weil es seinen Wissenstand und sein Vorstellungsvermögen übersteigt, dass ein Smartphone ein ebenso von Menschen erdachtes und erschaffenes Werkzeug ist wie sein Speer mit der Feuersteinspitze. In seiner Welt ist so etwas nur durch Zauberei erklärbar. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von unsereins, der zwar auch nicht versteht, wie ein Smartphone funktioniert, das aber keineswegs für Magie hält, sondern weiß, dass es sich um ein hochkompliziertes Produkt irdischer Ingenieurskunst handelt.

Beamen ist keine Hexerei

Würde unsereinem ein Gerät vorgeführt, mit dem man die Gravitation aufheben kann, würden wir das nicht für Magie halten, auch wenn eine solche Technologie verglichen mit der gegenwärtigen zweifellos sehr fortschrittlich wäre. Wir würden einen Trick dahinter vermuten wie bei den scheinbar schwebenden Fakir-Darstellern, die wir aus den Fußgängerzonen unserer Städte kennen. Denn wir wissen immerhin, dass einerseits Gravitation keine übernatürliche Kraft ist und es anderseits technische Geräte gibt, mit denen man sich natürliche Kräfte zunutze machen kann. Ein Gerät zur Beeinflussung von Gravitation ist vorstellbar. Seit »Raumschiff Enterprise« wissen viele, das hinter der zeitlosen Versetzung von Personen von einem Ort zum anderen nicht Hexerei stecken muss, sondern es ein Transporter genanntes Gerät bewirken könnte. »Beam me up, Scotty« ist fast schon zum geflügelten Wort geworden.

Wir sind, im Unterschied zu dem Amazonas-Jäger, durchaus in der Lage, jede »hinreichend fortschrittliche Technik« für genau das zu halten, was sie ist: fortschrittliche Technik. Dazu müssen wir sie nicht verstehen oder auch nur eine Ahnung davon haben, auf welchen physikalischen Prinzipien sie beruht. Wir müssen zur Einordnung einer solchen unbegreiflichen Technologie nicht auf andere Konzepte zurückgreifen. Der Amazonas-Ureinwohner würde sagen: »Das ist Magie.« Wir können ganz einfach sagen: »Das verstehe ich nicht.«

Insofern träfe das Clarkesche Axiom selbst dann nur eingeschränkt zu, wenn es Magie gäbe. Wir wären nämlich aufgrund unserer Kenntnisse von Naturgesetzen in der Lage, zwischen Magie und fortschrittlicher Technik zu unterscheiden.

Anregung aus dem 17. Jahrhundert

Die Idee, das Technik und Magie in einer Beziehung stehen, hat Clarke nicht als erster entwickelt, sie ist vielmehr schon 400 Jahre alt.

In seinem 1620 in Frankfurt am Main erschienenen Werk De sensu rerum et magia libri quatuor schrieb der Gelehrte Tommaso Campanella (1568-1639) auf S. 282: Quicquid sapientes faciunt imitando naturam aut ipsam adiuuando per artem non modo plebi ignotam sed communitatio hominum opus magicum dicimus. Quapropter non modo iam dictae scientiae, sed omnes magiae praestant usum. (Alles, was die Wissenschaftler in Nachahmung der Natur oder um ihr zu helfen mit Hilfe einer unbekannten Kunst vollbringen, wird Magie genannt. Denn Technologie wird immer als Magie bezeichnet, bevor sie verstanden wird, und nach einer gewissen Zeit entwickelt sie sich zu einer normalen Wissenschaft.) Das, finde ich, ist eine viel treffendere Aussage als das dritte Clarkesche Gesetz.

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One thought on “Mit Arthur C. Clarke auf dem Holzweg

  1. Hi, hatte gezielt gegoogelt da ich kaum glauben konnte, dass ich die einzige bin, die das „Gesetz“ banane findet – aus den von dir genannten Gründen. Danke 🙂

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