Mit dem Geistreisenden in Kettwig und anderswo

geistreisenderAxel Kruse: Geschichten eines Geistreisenden
Begedia Verlag, Mülheim an der Ruhr 2016
180 Seiten, 15,90 Euro.
ISBN 978-3-95777-076-9
Gibt es auch als E-Book.

Es gibt etwas Neues aus Joaquins Bar, der geheimnisvollen Kneipe irgendwo in der Nähe der Kirche von Essen-Kettwig, dessen Wirt ein begeisterter Anhänger von Verschwörunstheorien ist. Axel Kruse unterhält uns in seinem jüngsten Werk mit »Geschichten eines Geistreisenden«. Dafür ist der SF-Autor seinem langjährigen Stammverleger Michael Haitel (p.machinery) untreu geworden. Das Buch ist im Begedia-Verlag von Harald Giersche erschienen.

Der Geistreisende ist Thomas, ein alter Schulfreund des namenlosen Ich-Erzählers, den dieser nach einem Klassentreffen mit in Joaquins Bar schleppt. Dort erzählt Thomas seine Geschichte. Er ist in seinem Leben mehrfach gestorben und stets am selben Tag in der Vergangenheit als etwa 13-jähriger Jugendlicher wieder aufgewacht. Jedesmal ist die Welt, in die er geraten ist, anders als die, in die er geboren wurde, und die, die er gerade – meist nach einem Herzinfarkt kurz vor seinem 50. Geburtstag– verlassen hat. Einmal sind die Veränderungen nur klein, ein anderes Mal entwickelt sich die Welt und damit das Leben von Thomas in eine völlig andere Richtung. Er erlebt die Folgen eines terroristischen Anschlags auf Atomkraftwerke, wacht im Nachkriegs-Nazideutschland auf, reist mit dem Raumschiff durchs All und verliebt sich mehrfach in ein Mädchen namens Lisa.

Das alles wird in typischer Axel-Kruse-Manier ideenreich, lebhaft und lebensnah geschildert. Er ist kein Stilist, kein Wortkünstler, kein Satzbaufrickler, sondern erzählt gerade heraus Geschichte, als habe er sie selbst erlebt. Seine Protagonisten sind robuste Persönlichkeiten, die ihren Mann stehen und sich nicht unterkriegen lassen. Psychologie ist nicht Axel Kruses Stärke; das macht die Figuren mitunter statisch. Thomas, der Geistreisende, erscheint innerlich von seinem Schicksal kaum berührt, er ist auch nach dem x-ten Wiedererwachen der, der er am Anfang war. Fragen nach den Auswirkungen der ständigen Wiederauferstehung auf die Psyche des Geistreisenden geht Axel Kruse konsequent aus dem Weg.

Viel Biografisches

Aber wir erwarten auch keinen Entwicklungsroman, sondern wollen Abenteuergeschichten lesen. Da werden wir von Axel Kruse gut bedient. Wer ihn kennt, weiß, dass immer viel Biografisches in seine Geschichten einfließt; vielleicht ist das das Geheimnis des Kruse-Stils. Sein Lieblingsurlaubsort Sreser in Kroatien kommt vor, seine Heimatstadt Essen-Kettwig sowieso und so manche Begebenheit aus seinem Leben hat ihren Platz gefunden. Dass der Verschwörungstheoretiker Joaquin eine Reminiszenz an seinen Vater ist, weiß jeder, der sich schon mal mit Axel unterhalten hat oder eine seiner Lesungen besucht hat.

009c2-sftag02
Im September 2014 hat Axel Kruse bei »Hinterm Mond«, dem  1. Tag der SF-Literatur in Ostfriesland, gelesen.

Formal handelt es sich bei den »Geschichten eines Geistreisenden« nicht, wie man vermuten könnte, um eine Ansammlung von Kurzgeschichten, sondern um eine zusammenhängende Erzählung. Es gibt eine Rahmenhandlung – zwei Männer sitzen in einer Kneipe und unterhalten sich -, in die als Rückblicke Episoden aus den vielen Leben eines der beiden Männer eingestreut sind. Zwischen den einzelnen Episoden serviert Wirt Joaquin nicht nur frisch gezapfte Biere, sondern auch immer neue Verschwörungstheorien. Etwas irritierend ist der Umstand, dass es zwei Ich-Erzähler gibt, die sich im Erzählton nicht von einander unterscheiden.

Mir hat der Geistreisende gefallen, besser als die vorherige Veröffentlichung »Glühsterne«.

Fürchterlicher Umschlag

Was mir nicht gefallen hat, ist der Buchumschlag. Er ist fürchterlich: ein mit einem billigen Solarisationsfilter verfremdeter Schnappschuss des Autors an einer Kneipentheke, auf das eine Silhouette gepappt wurde, als Titelbild, schmutzige Farben und eine Kinderschrift. Dass auf der Rückseite als Hintergrund ein Bild des Grafikers Crossvalley Smith verwendet wurde, und zwar das Covermotiv des ersten Geschichen-aus-Joaquins-Bar-Bandes von 2013, ist mir nur aufgefallen, weil es im Impressum steht; man erkennt es nur schemenhaft. Da soll noch mal einer Selfpublisher für selbstgemachten Cover geißeln. Dabei kann es der Begedia-Verlag erwiesenermaßen besser.


Links

Begedia-Verlag

Geschichten aus Joaquins Bar von 2013 bei p.machinery

Über SF im Allgemeinen und Zeitreisen im Besonderen

Ich bin ein begeisterter Leser von Sachbüchern (hier gibt es eine Liste von zehn Lieblingssachbüchern). Jetzt habe ich hintereinander gleich zwei Bücher gelesen, in denen es um SF geht – »Invasion der Zukunft« von Hans-Peter Pescke und »Time Travel« von James Gleick.

invastion_der_zukunftHans-Peter von Peschke: Invasion der Zukunft. Die Welten der Science-Fiction. 320 S., Theiss-Verlag, Stuttgart 2016. ISBN 9783806233575

In »Invasion der Zukunft« dreht sich alles um »Die Welten der Science-Fiction« (tatsächlich mit Bindestrich geschrieben). Von Peschke ist Historiker, Journalist und Publizist und ein SF-Fan. Er geht der Frage nach, womit sich SF befasst, was die Themen sind und wie sie behandelt werden. Das Buch ist in zehn Kapitel wie »Technoträume«, »Schöner neuer Mensch« oder »Aufbruch ins All« aufgeteilt, und zu jedem Komplex gibt es eine Fülle von Beispielen aus Büchern, Filmen, Comics und Spielen. Von Peschke überblickt das ganze Medienspektrum und erweist sich dabei als sehr kenntnisreich. Continue reading „Über SF im Allgemeinen und Zeitreisen im Besonderen“

Die »Molche« kommen wieder

Die Neuausgabe von »Der Krieg mit den Molchen« am Buchmesse-Stand der Büchergilde.

Manchmal muss man weit reisen, um nahe Liegendes zu erfahren. So ging es mir beim Besuch der Frankfurter Buchmesse am vergangenen Sonntag (23. Oktober). Am Stand der Büchergilde fiel mein Blick auf ein Buch, dessen Titel mich elektrisierte: »Der Krieg mit den Molchen« von Karel Čapek. Wie, es gibt eine Neuausgabe dieses satirischen Werkes des tschechischen Schriftstellers von 1936? Klar, ich hätte nur einmal durch das neue »Magazin« der Büchergilde blättern müssen, das seit Ende September/Anfang Oktober bei uns zu Hause rumliegt.

Das Buchhandelsplakat zur Neuauflage.

»Der Krieg mit den Molchen« ist ein grandioses Buch, das ich bereits in diesem Post besprochen habe. Der Prager Čapek erzählt darin, wie ein tschechischer Kapitän in der Südsee eine unbekannte Art von Riesenmolchen entdeckt, die wegen ihrer Geschicklichkeit und schnellen Auffassungsgabe als billige Arbeiter angeheuert werden. Irgendwann pochen die äußerst intelligenten Molche, die sich mit Hilfe der Menschen auf der ganzen Welt verbreitet haben, auf ihre Selbständigkeit. Weil die Menschen das nicht akzeptieren, kommt es zum Krieg. Continue reading „Die »Molche« kommen wieder“