In der turbulenten »Zeitreise in Technicolor« macht Harry Harrison sich über Hollywood lustig. Er schickt eine Filmcrew zu den alten Wikingern.
An so einem Buch konnte ich nicht achtlos vorbeigehen, denn es vereint gleich zwei Interessen von mir in einem Roman: Zeitreisen und die Entdeckung Amerikas durch die Europäer. Dass »Zeitreise in Technicolor« von Harry Harrison von einer Zeitreise handelt, verrät der Titel. Dass es in dem Buch um die Entdeckung Amerikas geht, habe ich irgendwo gelesen, wodurch ich erst auf das Buch aufmerksam geworden bin. Die Story erschien 1967 zunächst als dreiteilige »The Time-Machine Saga« im SF-Magazin Analog, dann im selben Jahr mit dem Titel »The Technicolor® Time Machine« als Buch. Die deutsche Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch kam 1970 und 1979 als Terra-Taschenbücher 172 und 315 mit unterschiedlichen Titelbildern bei Moewig bzw. Pabel heraus. Harrison (1925-2012) war ein sehr produktiver Autor. Sein Roman »Make Room! Make Room!« von 1966 (dt. »New York 1999«, 1969) war die Vorlage für den Film »Soylent Green«.
L. M. Greenspan, Chef der Climactic-Filmstudios in Hollywood, steht kurz vor der Pleite. Ein Kassenschlager muss her. Sein mittelmäßiger Regisseur Barney Hendrickson macht ihn mit Professor Hewett bekannt. Der Wissenschaftler hat eine Zeitmaschine erfunden, die er Vremeatron nennt. Vreme ist das serbokratische Wort für Zeit ( eine seiner Großmütter war Kroatin). Hewett braucht ebenfalls Geld. Sie machen einen Deal: Mit Hilfe des Vremeatrons soll Hendrickson einen »milieugetreuen, realistischen, billigen, langen und hochwertigen Breitwandschinken« an Originalschauplätzen drehen. Greenspan verlangt »[e]ine vollkommen neue Version der Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger«. So blauäugig, großspurig und selbstgefällig, wie alle an die Sache rangehen, ist von Anfang an klar, dass Harrison sich über Hollywoods Filmindustrie lustig macht.
Ohne groß nachzudenken, aber geradezu virtuos setzt Barney das Vremeatron ein, um durch allerhand Zeitsprünge in die Vergangenheit und wieder zurück den Film innerhalb weniger Tage fertigzustellen. Der Drehbuchautor zum Beispiel wird vorübergehend auf eine urzeitliche Insel versetzt, um in Ruhe und ohne Ablenkung schreiben zu können. Für ihn vergehen Wochen, aber in der Gegenwart ist es nur eine Stunde. Man gibt sich praktisch selbst die Türklinke in die Hand. Ebenso verfährt der Regisseur mit dem Wikinger-Häuptling Ottar, der Anfang des 11. Jahrhunderts auf einer Orkney-Insel lebt. Der wird zunächst, ganz in der Manier europäischer Eroberer der frühen Neuzeit, gekidnappt, in Hollywood mit Jack Daniel’s Whiskey abgefüllt und geködert und anschließend mit einem Sprachlehrer zurückgeschickt, damit er bis zum Beginn der Dreharbeiten Englisch kann. Er wird gebraucht, damit seine Leute als billige Statisten mitspielen.
Die Dreharbeiten gehen natürlich nicht reibungslos über die Bühne. So wird Ottars kleine Siedlung gleich von einem feindlichen Wikingerstamm überfallen, es kommt zum Kampf, und es gibt Tote. Zum Glück hat der furchtlose italienische Kameramann Gino alles auf Film. Dann stolpert der Hauptdarsteller über ein Schaf, bricht sich ein Bein und quittiert den Job. In seiner Not macht Hendrickson Ottar zu dessen Nachfolger. Mit viel gutem Zureden und noch mehr Whiskey macht der Wikinger seine Sache halbwegs ordentlich.
Nach diesem Vorgeplänkel auf den Orkneys soll es nach Amerika gehen, nach Neufundland, das im Mittelalter bei den Wikingern als Vinland bekannt war. Ottar sticht mit einem Boot, einem Knorr, in See, während die Filmcrew die mehrwöchige Reisezeit mit dem Vremeatron überbrückt. Auf Neufundland kommt es zu ersten Begegnungen mit eingeborenen Dorset-Indianern. Schließlich, so steht es
im Drehbuch, suchen sich die Wikinger einen Platz zum Siedeln und bauen mehrere Häuser. Es gibt weitere Zwischenfälle mit den Dorsets, die schließlich die Siedlung überfallen, genauso wie es das Drehbuch bzw. Hendrickson gewollt hat.
Wer sich mit den Wikingerfahrten um das Jahr 1000 nach Amerika auskennt, wird recht früh merken, worauf die Geschichte hinausläuft. Eine Reihe von Ereignissen – da bricht beispielsweise ein Stier aus der Wikingersiedlung aus und versetzt die Eingeborenen, die solche Tiere nicht kennen, in Angst und Schrecken – und viele Namen ähneln verblüffend dem, was in den isländischen Sagas über Vinland berichtet wird. Der erste Wikinger, der Neufundland sichtete, hieß laut der Grönland-Saga Bjarni Herjólfsson, der Rollenname der Hauptdarstellerin Slithey Tove, Gudrid, taucht in den Sagas ebenso auf wie der ihres Sohnes Snorey (sie hatte wegen eines Schäferstündchens mit Ottar das Vremeatron verpasst und musste ein Jahr in der Wikingersiedlung bleiben).
Barney geht ein Licht auf: »Der einzige Grund für die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger ist unser Entschluß, einen Film zu drehen, der die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger zeigt.« Das juckt ihn aber nicht weiter. Der Film ist fertig, Greenspan ist gerettet und der nächste Film in Planung. Diesmal soll es ein biblisches Thema sein.
Fazit: Ein turbulentes Buch mit überzeichneten Figuren, mit 160 Seiten gut für ein paar unterhaltsame Lesestunden. Schade, dass wir nicht mehr über Barney und das Vremeatron lesen können.
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