An Sonnabend waren wir in Versailles, im berühmten Schloss der französischen Könige – wir und Tausende andere. Ich habe nur wenige Orte gesehen, die so überlaufen waren, und dabei ist die Hauptsaison längst vorbei. Das führte in vielen Räumen zu einem ziemlichen Gedränge.
Zum Glück sind einige Räume in diesem Riesenschloss so groß, dass selbst hundert Leute darin kaum auffallen. Im Herkulessaal mit seinem riesigen Deckengemälde von François Lemoyne (1688 bis 1737) hätte man unserer Haus aufstellen können, vom berühmten Spiegelsaal ganz zu schweigen.
Bei aller Pracht und Herrlichkeit, die das Schloss und seine Räume entfalten, war es doch ein wenig enttäuschend. Bis auf eine Reihe riesiger Wandgemälde, unter anderem von der Krönung Josephines durch Napoleon (Jacques-Louis David, 1748 bis 1825), und eine Reihe interessanter Louis-XIV-Statuen beherbergt das Schloss nämlich überwiegend Porträts uns unbekannter französischer Adeliger von uns unbekannten französischen Malern. Die wahren Kunstschätze, die hier einst gehangen haben, sind schon vor langer Zeit in den Louvre und andere Pariser Museen gebracht worden.
Auch ein originalen Einrichtungsgegenständen mangelt es, und von dem, was zu sehen ist, ist vieles nicht beschriftet. Nach der Revolution wurde das Schloss geräumt und der Hausrat versteigert. Danach stand das Schloss mit seiner unübersehbaren Zahl von Zimmern leer – ein Gebäude, das niemand brauchte und mit dem niemand etwas anzufangen wusste. Im Grunde ist es heute noch so: Ohne die vielen Touristen wüsste man auch nicht, was man mit so einem Schloss anfangen sollte.
Zu kurz kommt auch die Geschichte. Am Anfang wird zwar die Baugeschichte in gut gemachten Videos erläutert, und es sind Modelle der verschiedenen Bauphasen zu sehen. Aber die politische Geschichte fehlt fast völlig. Dass die Franzosen nicht unbedingt auf die Proklamation von König Wilhelm von Preußen zum deutschen Kaiser im Spiegelsaal hinweisen (das war 1871), kann man noch verstehen. Schließlich hatten sie den Krieg von 1870/71 gegen Deutschland verloren. Aber warum wird nicht erwähnt, dass 1919 im Schloss der Versailler Vertrag, der den Erster Weltkrieg beendete, unterzeichnet wurde? Ich habe keinen Hinweis gelesen, und auch im kostenlosen Audioguide wurde darüber kein Wort verloren.
Hinter dem Schloss erstreckt sich ein riesiger Landschaftspark, der noch größtenteils in seinem originalen barocken Charakter erhalten ist. Das macht ihn aus heutiger Sicht eher langweilig: Hier ist eindeutig der Plan das Entscheidende, das ist Architektur, es herrschen Symmetrie und klare Konturen vor. Besonders deutlich wird das in der sogenannten Boskette, in der der Besucher auf geraden Wegen zwischen mehrere Meter hohen, kastenförmig geschnittenen Hecken wandelt. In den Schnittpunkten der Sichtachsen liegen aufwändig gestaltete Springbrunnen.
Das hätte uns wahrscheinlich weniger gestört, wenn uns nicht neun Euro pro Person Eintritt (ein Euro mehr als für die Schlossbesichtigung) abgeknöpft worden wären – nur weil an Sonnabenden und Sonntagen im ganzen Park barocke Musik (vom Band) gedudelt wird. Sonst ist der Eintritt nämlich frei.
Das Schloss von Versailles gehört wahrscheinlich zu den 100 Orten auf der Welt, an denen man gewesen sein sollte. Das hätten wir erledigt.