Obwohl Ostfriesland als Küstengebiet auf eine lange Schifffahrtstradition zurückblicken kann, ist über die Anfänge der Schifffahrt in der Region nur wenig bekannt. Es fehlen entsprechende Quellen, es gibt kaum archäologische Befunde, bildliche oder figürliche Darstellungen und schriftliche Überlieferungen. Deshalb war es so etwas wie eine archäologische Sensation, als 2009 bei einer Ausgrabung in Jemgum (Landkreis Leer) ein weitgehend erhaltener Einbaum, der ins siebte Jahrhundert datiert wurde, gefunden wurde.
Der Mangel an materiellen Hinterlassenschaften der Binnen- und Seefahrt setzt sich bis in die Neuzeit fort; schriftliche Quellen werden ab dem Hochmittelalter häufiger. Bildliche Darstellungen, die ebenso wie archäologische Funde eine Vorstellung von der Gestalt und Bauweise von Schiffen gegeben könnten, sind bis in die Neuzeit ausgesprochen rar. Für die ur- und frühgeschichtliche Zeit ist das nicht ungewöhnlich; bildliche Darstellungen sind im allgemeinen selten. Nach einsetzender Christianisierung werden zwar bildliche Darstellungen häufiger, sie sind aber im wesentlichen örtlich auf Kirchen und inhaltlich auf biblische Motive beschränkt, wovon zahlreiche mittelalterliche Wandmalereien zeugen. Erst mit dem Aufkommen der profanen Malerei in der Renaissance sind zunehmend weltliche Motive in bildlichen Darstellungen zu sehen. Diese Epoche liegt aber außerhalb es Untersuchungszeitraums.
Schiffe der Bronzezeit
Die älteste Schiffsdarstellung Ostfrieslands stammt aus der jüngeren Bronzezeit, ist also etwa 3000 Jahre alt. Zu sehen ist sie auf einem Bronzemesser, das im 19. Jahrhundert in einem Grabhügel bei Aurich gefunden wurde. Das abgebildete Messer zeigt stark stilisierte Meereswellen und drei Schiffe. Die Abbildung wird mit dem Sonnenkult in Beziehung gebracht und die Schiffe als Sonnenbarken gedeutet. Die hochgezogenen Vorder- und Achtersteven sind typisch für die nordische Bauweise und sollen wahrscheinlich Pferdeköpfe darstellen (SCHWARZ 1995, S. 142-143).
Zum Vergleich: ein Bronzemesser aus der Gegend von Bremen, auf dem das Schiff und vor allem seine Besatzung deutlicher zu erkennen sind (HÄSSLER 1991, S. 190). Diese und andere Funde aus dem Küstengebiet der Nordsee zeigen, dass es sich bei den Zeichnungen um ein weit verbreitetes Muster handelt, das keine wirklichkeitsgetreue Abbildung anstrebt. Insofern erlaubt es auch keine Aussage über die in Ostfriesland in der jüngeren Bronzezeit tatsächlich benutzten Bootsformen.
Als die Römer kamen
Eine weitere Abbildung entstand zwar außerhalb Ostfrieslands, sie konnte aber nur entstehen, weil Schiffe zumindest an Ostfriesland vorbeifuhren. Auf einem der so genannten Weser-Runenknochen aus dem 4. bis 6. Jahrhundert ist eindeutig ein Schiff (provinzial-) römischer Bauweise abgebildet. Gut erkennbar sind das seitliche Steuerruder am Heck mit dem Steuermann auf erhöhter Position und das typische Bugsegel. Das Schiff wurde offenbar gerudert, deutlich zu sehen sind die Köpfe der vier Ruderer und ihrer Riemen (PIEPER/WEGNER 1986).
Die Abbildung beweist, dass Händler aus dem römischen Provinzen (vermutlich aus Friesland, vom Rhein) in der späten Kaiserzeit bis an die Weser kamen, wo diese Ritzzeichnung entstand. In solchen Schiffen werden provinzialrömische Händler auch zu den Handelsplätzen an der Ems gekommen sein, wo nachweislich Importware umgeschlagen wurde.
Einzigartig in Niedersachsen
An der Ostwand des Rechteckchors der Kirche von Aurich-Oldendorf (Landkreis Aurich) ist auf einem Wandbild aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts neben zwei Reitern ein Schiff mit einem Mast dargestellt. Offenbar ist es die einzige mittelalterliche Schiffsdarstellung in einer Kirche in Niedersachsen (GROTE/VAN DER PLOEG 2001, Katalogband, S. 97).
In Deutschland einzigartig ist ein Backstein mit einer mittelalterlichen Ritzzeichnung, der in Brinkum (Landkreis Leer) gefunden wurde. Der tatsächliche Herkunftsort ist allerdings unbekannt. Dargestellt ist ein Holk, erkennbar an der charakteristischen Bananenform. Als Entstehungszeit wird die Mitte des 15. Jahrhunderts angenommen. (FIKS 1998; BÄRENFÄNGER/ELLMERS 1999 – AiN, S. 124 ff.)
In der Kirche von Funnix (Landkreis Wittmund) gibt es im Altaraufsatz eine Szene „Berufung des Andreas“. Der Heilige steigt aus einem Boot, in dessen Heck Petrus mit einem Paddel in der Hand steht, dem ihn segnenden Jesus entgegen. Deutlich erkennbar sind zwei aufgesetzte Ruderdollen. Das Boot hat nach oben gezogene Steven, wobei der Vordersteven besonders stark ausgeprägt ist, und eine Bordwand aus kurzen, geklinkerten Planken. Die Ähnlichkeit mit dem auf dem Backstein abgebildeten Schiff ist unverkennbar. Der Altaraufsatz, dessen Entstehungsort nicht bekannt ist, stammt aus dem späten 15. Jahrhundert (ROBRA 1959, 30 f.; Abb. 58).
Schriftliche Überlieferung
Die ältesten schriftlichen Quellen über Schifffahrt in Ostfriesland sind die Berichte antiker Autoren über die römischen Flottenexpeditionen unter Drusus und Germanicus. Allerdings wird darin nicht auf die einheimische Schifffahrt eingegangen, sondern lediglich das Schicksal der römischen Flotte geschildert. Erst im 13. Jahrhundert bezieht sich eine erhaltene schriftliche Quelle auf ostfriesische Schiffahrt: Am 13. Juli Jahr 1224 ordnet König Heinrich III. von England die Freilassung zweier in London festgehaltener Schiffe an, darunter die Kogge eines gewissen „Bracheri de Amethis“, also aus Emden. Das heißt, ostfriesische Schiffseigner betrieben zu dieser Zeit auf eigene Rechnung Handel an der (ganzen) Nordsee und benutzten dabei das typische Schiff der Hanse, die Kogge.
Quellen
Rolf BÄRENFÄNGER/Detlev ELLMERS: Der Backstein und das Schiff. – Archäologie in Niedersachsen 1999: 124-126.
Norbert FIKS: Mittelalterliche Schiffszeichnung in Backstein geritzt. Ostfriesen-Zeitung 25. August 1998.
Ernst FRIEDLAENDER: Ostfriesisches Urkundenbuch. Erster Band. Wiesbaden 1968 (unveränderter Neudruck der Ausgabe von 1878).
Rolf-Jürgen GROTE/Kees VAN DER PLOEG: Wandmalerei in Niedersachsen, Bremen und im Groningerland. Berlin 2001.
Hans-Jürgen HÄSSLER: Ur- und Frühgeschichte in Niedersachsen. Stuttgart 1991.
Peter PIEPER/Günter WEGNER: Die Weser-Runenknochen. Original und Fälschung. Info-Faltblatt des Staatlichen Museums für Natur und Vorgeschichte.
Oldenburg 1986.
Günther ROBRA: Mittelalterliche Holzplastik in Ostfriesland. Leer 1959.
Bilder
Die Abbildungen stammen aus den bezugnehmenden Quellen beziehungsweise aus meinem Archiv