Das SF-Jahr im neuen Gewand

sfjahr2015Das Science Fiction Jahr 2015
Hrsg. von Hannes Riffel und Sascha Mamczak.
Golkonda-Verlag, Berlin 2015.
648 Seiten, 29,90 Euro
ISBN 978-3944720487
(gibt es auch als E-Book, 14,90 Euro)


Die Feiertage habe ich genutzt, um mich durch »Das Science Fiction Jahr 2015« aus dem Golkonda-Verlag zu lesen. Es ist, wie schon die Vorgänger, eine anregende Lektüre gewesen.

Hochwertiger als der Heyne-Klotz

Das Jahrbuch ist von 1986 bis 2014 im großen Heyne-Verlag erschienen und jetzt das erste Mal – mit einer Reihe von Nachrufen auf den Gründer und langjährigen Herausgeber des Werkes, Wolfgang Jeschke, der vergangenes Jahr gestorben ist – im kleinen Golkonda-Verlag. Schon äußerlich wird der Wechsel deutlich: Dank Klappenbroschurs, eines geringeren Umfangs (immerhin noch stattliche 648 Seiten), weißen statt gelblichen Papiers und eines schlankeren Formats wirkt das SF-Jahr 2015 hochwertiger als der übliche Heyne-Taschenbuchklotz mit zuletzt 974 Seiten. Die Neuerscheinung ist zudem sieben Euro billiger als die Vorjahresausgaben.

Thematisch und inhaltlich hat sich gegenüber den Heyne-Ausgaben nicht viel geändert. Als (Mit-) Herausgeber fungiert immer noch Sascha Mamczak, und unter den Autoren findet man viele alte Bekannte (was sicher auch daran liegt, dass der Kreis derjenigen, die dafür infrage kommen, überschaubar ist). Es fällt allerdings auf, das die ausführliche Marktbeobachtung der amerikanischen, britischen und deutschen SF-Szene fehlt, dafür die Bibliografie nicht nur Heyne-, sondern alle (relevanten?) gedruckten deutschen SF-Veröffentlichungen enthält und dadurch zwangsläufig umfangreicher ist. Erhalten geblieben sind die Schwerpunkte »Feature« mit Sachtexten zur Phantastik und »Review« mit Besprechungen von Büchern, Filmen, Hörspielen, Comics und Computerspielen.

Ich habe, wie immer, fast nur die »Feature«-Texte gelesen. Games, Hörspiele und Comics interessieren mich nicht, Filmbesprechungen lese ich nie, und Buchbesprechungen nur selten (ich nehme lieber das Buch selbst in die Hand und blättere darin herum oder lade mir eine Leseprobe auf den Kindle, um mir ein Urteil zu bilden; da würden Rezensionen nur stören); allenfalls bin ich neugierig, wie die Rezensenten schreiben.

Berührende Nachrufe

Berührend fand ich die zahlreichen Nachrufe von Weggefährten auf Wolfgang Jeschke. Dessen Wirken für SF in Deutschland kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, und die Texte von Robert Silverberg, Norman Spinrad und anderen beweisen, dass er auch international als Herausgeber geachtet war. Ich hatte gehofft, ihn 2014 bei der Verleihung des Deutschen Science-Fiction-Preises für seinen Roman »Dschiheads« persönlich kennenzulernen, aber seinerzeit konnte er aus gesundheitlichen Gründen schon nicht mehr kommen.

Unter den »Feature«-Texten haben mir »China träumt« von Ken Liu über die chinesische SF-Szene, Uwe Kramms Gespräch mit Andy Weir über dessen Roman »Der Marsianer« sowie die Beiträge von Hardy Kettliz über die Space Opera und von Bartholomäus Figatowski über die SF und den Ersten Weltkrieg am meisten gebracht. Zwiespältig ist meine Haltung zu den philosophisch angehauchten Texten von Sascha Mamczak, John Clute oder Dietmar Dath. Sie bieten zwar eine Menge bemerkenswerter und diskussionswürdiger Standpunkte, befassen sich mit der SF aber von einer elitären, akademischen Warte und lassen den Mainstream und vor allem den Mainstream-Leser links liegen. Einige finden es nicht einmal für nötig, englische Originalzitate zu übersetzen.

Bei solchen Texten besteht immer die Gefahr, dass sie eher der Selbstbestätigung oder gar -befriedigung des Verfassers dienen, als dass sie dem Leser etwas bringen. Kostprobe gefällig?

»Das Besondere an Egans insgesamt tausend Seiten umfassenden Schaffensgipfel ORTHOGONAL nun ist, dass er die biologisch-sozialen Spekulationen von Russ, Le Guin und Griffith ebenso umarmt und über sich hinaustreibt wie die verschlungenen Temporalkonstrukte Bayleys, dass er das politische Denken Robinsons gleichauf setzt mit der Naturgesetzdichtung Baxters und dass er dabei zu einem Ergebnis kommt, welches all diese Elemente so zueinander fügt, dass man sich nach der Lektüre kaum noch daran erinnern kann, wie sie ohne einander jemals kunstfähig gewesen sind.« (S. 228).

Das sind 80 Wörter in einem Satz, der sich über zehn Buchzeilen erstreckt.

Iwoleit hat recht

Mein Favorit unter den Texten im Jahrbuch ist »Steampunk und Weltuntergänge«. Darin macht Michael K. Iwoleit, dem man einem Hang zum Elitären auch nicht absprechen kann, »Einige Anmerkungen zur deutschen SF-Story-Szene 2014«. Seine und meine Einschätzungen über den Story-Output im Allgemeinen und einzelne Werke im Besonderen liegen nicht sehr weit auseinander (wobei ich einräumen muss, dass meine Kenntnisse über das Gebiet verglichen mit seinen winzig sind).

Banal fand ich die Bemerkungen von Udo Klotz zu deutschsprachigen SF-Romanen von 2014. Apropos, deutschsprachige SF: Unter den 24 »Reviews« (ohne Sachbücher) sind nur drei Bücher deutschsprachiger Autoren, und nur eines davon ist eine Neuerscheinung: »Feldeváye« von Dietmar Dath. Das straft Udo Klotz’ Bemerkung, »[a]uch im deutschsprachigen Raum ist die Science Fiction die Literatur der Möglichkeiten und der Vielfalt. Was das Jahr 2014 eindrucksvoll beweist«, Lügen.

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