»Kolumbus. Entdecker, Ikonie, Mörder« ist der Titel eines Artikels in Heft 1/2015 von »All About History«. Es handelt sich um die deutsche Lizenzausgabe des gleichnamigen britischen Magazins aus dem Verlag Imagine Publishing. Zielgruppe ist offenbar ein Publikum, das sich gerne mit Geschichten über interessante Personen und wichtige historische Ereignisse unterhalten lässt, ohne sich allzu sehr um den Wahrheitsgehalt zu kümmern. Der Artikel ist, kurz gesagt, ein Ärgernis, von dem man die Finger lassen sollte.
Autor ist Dom Reiseigh-Lincoln, offenbar kein Historiker, sondern ein Journalist, der seine Geschichte gerne mit viel Phantasie ausschmückt (eine Internetrecherche hat von ihm nur den Hinweis auf einen Artikel über den Winterschlaf von Bären in einem Magazin desselben britischen Verlags gebracht). Der Artikel über Columbus beginnt auf Seite 83 mit dem Satz: »Seine Eltern, zwei Genueser Wollweber, merken schon früh, dass Christoph Kolumbus kein gewöhnliches Kind ist. Ehrgeizig und wissbegierig, faszinieren den aufgeweckten Jungen vor allem die Landkarten der Handlungsreisenden und Seefahrer, die in seinem Elternhaus an der italienischen Küste ein und aus gehen.«
In diesen beiden Sätzen gibt es nur zwei halbwegs belegbare Fakten: Dass Columbus in Genua groß wurde und dass sein Vater ein Wollweber war. Der Rest ist Ausschmückung. Aber immerhin könnte es so gewesen sein.
Im nächsten Absatz geht es aber so weiter: »Kolumbus‘ Vater erkennt schnell das Talent seines ältesten Sohnes und führt fortan ein Leben voller Entbehrungen, um Christoph ein Grundstudium an der Universität von Pavia zu finanzieren. Dort studiert er Grammatik, Geografie, Geometrie, Astronomie, Schifffahrt und Latein…« Da ist nicht nur der Bezug falsch – das Subjekt des zweiten Satzes, »er«, bezieht sich nämlich auf »Kolumbus‘ Vater« –, sondern auch alles andere.
Frei erfunden
Ähnlich freizügig geht Reiseigh-Lincoln auch weiter mit den Fakten um. Er schreibt über die erste Atlantiküberquerung (S. 84): »Extreme Winde und tückischer Seegang machen den Entdeckern zusehends das Leben schwer. Hinzu kommen schließlich Tropenstürme, die ihren Teil dazu beitragen, dass Kolumbus mehr und mehr vom Kurs abkommt. Am 12. Oktober erreicht die Moral einen Tiefpunkt – die Mannschaft ist infolge der Stürme dezimiert, etliche Masten sind gebrochen.« Das ist nicht nur frei erfunden, sondern stellt die Tatsachen auf den Kopf. Es hat keine Stürme gegeben, die Fahrt war völlig unproblematisch. Die Schiffe wurden nicht beschädigt, und nicht ein Mann der Besatzung kam zu Schaden, geschweige denn zu Tode.
So geht es immer weiter. Da wird Columbus unterstellt, er und seine Besatzung seien in der Weihnachtsnacht 1492 so betrunken gewesen, dass sie die Santa Maria auf eine Untiefe haben auflaufen lassen. Dabei war es ein unachtsamer Schiffsjunge, der gegen den ausdrücklichen Befehl Columbus‘ am Steuer stand, der das Unglück verursachte. Der Bau der Festung La Navidad, die eine Folge dieses Unglücks war, wird von Reiseigh-Lincoln auf die Vorweihnachtszeit gelegt.
Weiterhin erfindet der Autor den Versuch von Columbus, eine weitere Siedlung auf Hispaniola zu gründen, »… woraufhin es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt, bei dem zwei Ureinwohner sterben.« (S. 85)
Bis dahin hält sich Reiseigh-Lincoln zumindest noch halbwegs an die Überlieferung. Damit ist es aber bei der Schilderung der zweiten Reise endgültig vorbei. Da wird plötzlich Columbus Bruder Bartolomeo zur »Vorhut«, der vorausgeschickt wurde und bis zur Ankunft Columbus‘ Hispaniola zu einer »Insel des Schreckens« machte, weil er »Tausende Ureinwohner kurzerhand hatte versklaven lassen, um die riesigen Goldvorkommen auszubeuten« (S. 87).
So einem Mist habe ich schon lange nicht mehr gelesen. Unklar ist die Absicht hinter diesen Verdrehungen. Leben und Wirken von Columbus bieten genügend Material für eine spannende Geschichte – unabhängig davon, ob man ihn zum Helden verklären oder als Schurken hinstellen möchte. Man muss nichts dazu erfinden.