So weit im Osten war ich noch nie bei einem Science-Fiction-Con. Aber Dresden war einen Ausflug wert.
An Ralf P. Krämer fällt zuerst die bunte Krawatte auf. Zu sehen ist eine startende Rakete mit der Aufschrift RPK. »Die hat meine Frau bemalt«, erzählt er, als er mir im Treppenhaus des Palitzsch-Museums in Dresden über den Weg läuft. RPK organisiert seit Jahr und Tag, unterstützt von seiner Familie, den Pentacon, die kleinere der beiden regelmäßigen conventions des Science-Fiction-Fandoms mit DDR-Wurzeln.
Ralf gehörte 1969 zu den Gründern des legendären Stanislaw-Lem-Clubs Dresden, der wenige Jahre später aus offenbar fadenscheinigen Gründen aufgelöst wurde, was sich als schwerer Schlag für das gesamte SF-Fandom der DDR erwies. Deshalb stand dieser Con (1. bis 3. November) unter dem Motto »50 Jahre Stanislaw-Lem-Club«. So war der gesamte Con von einem Hauch Nostalgie umweht. Dabei hat SF doch was mit der Zukunft zu tun, oder? Leider habe ich ausgerechnet dem sicher spannenden Vortrag von Wolfgang Both, einem weiteren Urgestein des DDR-Fandoms, über diese Zeit am Sonnabendmorgen verpasst, weil ich mich in der Cafeteria des Museums verquatscht hatte.
Ich saß nämlich bei Ecki, dem wahrscheinlich »dienstältesten« westdeutschen SF-Fan, und Matthew, den unermüdlichen Herausgebern der Confacts. Auf einem alten Compaq-Contura-420c-Notebook kann jeder Teilnehmer etwas über den Con schreiben. Wenn eine Doppelseite vollgeschrieben ist, wird sie ausgedruckt und liegt zum Mitnehmen aus. Von den Confacts sind in Dresden die Nummer 182 bis 184 erschienen. Mein bescheidener, schon am Abend des ersten Tages geschriebener Beitrag lautete: »So weit im Osten bin ich noch nie bei einem Con gewesen, aber es hat sich schon gelohnt. Ein sehr gelungener Auftakt mit Erik Simon und Axel Kruse.« Leider fehlt es an einer Dokumentation dieses einmaligen Projekts. Man kann nur einige ältere Ausgaben auf Eckis Confact-Homepage nachlesen.
Auftakt mit Erik Simon und Axel Kruse
Zurück zum Anfang: Der Pentacon wurde am Freitagabend mit Lesungen von Erik Simon und Axel Kruse eröffnet. Erik ist ein bedeutender Protagonist der DDR-Science-Fiction, als Lektor, Übersetzer und Autor hatte er »einen beachtlichen Einfluß auf die Entwicklung der SF in der DDR ausgeübt« (ich zitiere hier das Lexikon »Die Science-fiction der DDR. Autoren und Werke«, herausgegeben von Erik Simon (!) und Olaf R. Spittel, Verlag das Neue Berlin, 1988). Simon ist ein begnadeter Satiriker, was auch an jenem Abend unverkennbar war. Über Axel Kruse fehlt bisher ein (gedruckter) Lexikoneintrag; als 1980 das bisher einzige westdeutsche SF-Lexikon erschien, war der Essener erst 17 Jahre alt. Axel las Ausschnitte aus seinem jüngsten Roman »Derolia« und den Anfang eines noch unvollendeten Zeitreise-Romans, der alle neugierig machte.
Anschließend saßen wir bei Bier, Wein, Cola oder Kaffee in der Cafeteria zusammen, bis der Tagungsort abgeschlossen wurde. Einige verlegten das gesellige Beisammensein in die Bar des Azimuth-Hotels, in dem viele Con-Teilnehmer untergekommen waren. Dort sah man sich beim Frühstück wieder.
Das Sonnabendprogramm begann mit einer Änderung. Wilko Müller, der für eine Lesung angekündigt war, war verärgert abgereist (dazu hat er einen Facebook-Post geschrieben, den man hier nachlesen kann). Ich will das nicht weiter kommentieren, weil ich davon nichts mitbekommen habe und die Ersaztleute – Karlheinz Steinmüller und Gabriele Behrend – eine gute Vorstellung ablieferten. Auch hier wieder: ein Ost-West-Duo. Danach kam der verpasste Vortrag von Wolfgang Both.
Die DDR existiert weiter – in vielen Alternativwelten
Karlheinz Steinmüller hatte nach der recht frühen Mittagspause, die aber viel Zeit zum Klönen, Fachsimpeln und Essen ließ, einen weiteren Auftritt und erzählte uns in dem erneut sehr vollen Veranstaltungssaal darüber, »Wie die DDR zur Alternativgeschichte wurde«. Steinmüller-Vorträge sind immer sehr informativ und viel zu umfangreich, um hier wiedergeben zu werden. Wir wissen jetzt, was ein jonbar hinge ist, dass der erste Alternativweltroman 1836 erschien und von Napoleons Eroberung der Welt handelte und dass sich alle Alternativ-DDR-Romane um die Wende drehen. Einen Teil des Vortrags kann man im Begleitheft zum Con nachlesen. Steinmüllers Fazit: »Dass die DDR zur Alternativgeschichte wurde, ist das beste, was ihr passieren konnte.«
Danach wurde es feierlich: Der Kurd-Laßwitz-Preis (in sieben Kategorien) und der Deutsche Science-Fiction-Preis (zwei Kategorien) wurden verliehen. Wer ihn wofür bekommen sollte, ist ja schon Wochen vorher hier und dort kommuniziert worden, das muss ich nicht wiederholen. Der KLP wurde weitgehend in Abwesenheit verliehen – nach Dresden waren nur die Hörspielautorin Anne Krüger und deren Dramaturgin Ursula Ruppen sowie Thorsten Küper (Sieger in der Kategorie »Erzählung«) gekommen. Die anderen schickten Grußbotschafen.
Beim DSFP sah‘s besser aus: Thorsten Küper, der nach zahlreichen Nominierungen und zweiten Plätzen in diesem Jahr doppelt absahnte, und Tom Hillenbrand nahmen Urkunde, Medaille und 1000-Euro-Scheck selbst entgegen. Im Unterschied zur Preisverleihung vor einem Jahr in Leipzig war keiner der Nominierten gekommen, um seine Urkunde in Empfang zu nehmen.
Wir nähern uns langsam dem Ende. Der Preisverleihung schloss sich die Preisträger-Lesung an. Tom las aus seinem preisgekrönten Roman »Hologrammatica« (der beim KLP auf Platz 2 gekommen war), während der Thorsten Küper mit Verstärkung durch seine Frau Kirsten Riehl und Axel Kruse eine böse Story vertrug, die demnächst in Spektrum der Wissenschaft erscheinen wird und kostenlos heruntergeladen werden kann.
Nach einer ziemlich langen Abendbrotpause – ich gönnte mir im Don Camillo beim Hotel eine Pizza Parma mit Extra-Rucola – stand eine Podiumsdiskussion über deutschsprachige SF im 20. Jahrhundert mit drei ausgewiesenen Experten an: Karlheinz Steinmüller, Erik Simon und Hans Esselborn, Letztere der Verfasser des vor wenigen Monaten erschienenen Sachbuchs »Die Erfindung der Zukunft in der Literatur«. Leider wurde etwas zu viel Zeit für die Vorstellung dieses interessanten Buches, das ich schon kannte, »verplempert«, weshalb die Diskussion über das Thema zu kurz kam und auch etwas unkontrolliert herummäanderte. Vielleicht hätte RPK nicht selbst moderieren sollen.
Danach: Bier in der Cafeteria, ins Hotel, schlafen, frühstücken.
Abschluss mit Mitgliederversammlung
Am Sonntagmorgen gab es nur noch einen offiziellen Programmpunkt: die Mitgliederversammlung des Science-Fiction-Clubs Deutschlands, denn der Pentacon war zugleich Jahres-Con des SFCD. Auch hier war die Gesprächsführung/Versammlungsleitung zu passiv, und am Ende musste RPK aufs Ende drängen, damit man zumindest noch eine halbe Stunde in der Cafeteria zusammensitzen konnte, bevor der Schlüssel umgedreht wurde. Beschlossen wurde übrigens, den Jahres-Con 2021 wieder auf dem Pentacon in Dresden und im Jahr darauf in bzw. bei Schwerin (Schlosscon III) abzuhalten.
Ich hatte danach gerade noch Zeit, mich von den letzten noch verbliebenen Con-Besuchern zu verabschieden, dann ging‘s mit dem Bus zum Bahnhof und voller Erinnerungen nach Hause.
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