Tausend Seiten mit SF-Perlen

Es ist doch irgendwie schade, dass es keine Science-Fiction-Anthologien wie »Fernes Licht« mehr gibt.

Vor mehr als 20 Jahren erschien »Fernes Licht« im Heyne-Verlag. Es war eine der letzten Anthologien mit englischsprachiger SF in einem großen deutschen Verlag.

Vor einigen Tagen fiel mir beim Umsortieren meiner Bücher die Anthologie »Fernes Licht« aus dem Jahr 2000 in die Hände – und ich habe mich festgelesen. Mit 29 Storys auf 1050 Seiten – von Nelson Bonds »Der Sokrates vom Rübenfeld« von 1946 bis Maureen F. McHughs »Schutzhaft« von 1992 – werden uns Lesern jede Menge SF-Perlen geboten.

Herausgeber war, wie könnte es anders sein, Wolfgang Jeschke, der neben der Perry-Rhodan-Redaktion über Jahrzehnte wie kein anderer die Lesegewohnheiten der Science-Fiction-Leser im deutschsprachigen Raum geprägt hat. Anlass für den Wälzer war das 40-jährige Bestehen der SF-Reihe im Münchner Heyne-Verlag, die 1960 mit »Die Triffids« von John Wyndham begonnen hatte. Er enthält eine subjektive Auswahl dessen, was unter Jeschkes Ägide an englischsprachigen SF-Shortstories in zahlreichen Anthologien bei Heyne erschienen ist.

Beim Lesen bin ich systematisch vorgegangen. Ich habe mit der kürzesten Geschichte angefangen (»Das Ding« von Donald A. Wollheim, sechs Seiten) und mich bis zur längsten (»Drücke Enter ■« von John Varley, 87 Seiten) vorgearbeitet. Auf die einzelnen Storys will ich nicht eingehen. Dafür sind es zu viele, und es sind viele bekannte Geschichten darunter wie »Geliebtes Fahrenheit« von Alfred Bester, »Weitersegeln! Weitersegeln!« von Philip José Farmer oder »Das Gernsback-Kontinuum« von William Gibson, die jeder halbwegs gut sortierte SF-Fan im Regal stehen haben dürfte und über die schon viel geschrieben wurde. An einige konnte ich mich lebhaft erinnern, obwohl die erste Lektüre lange zurückliegt, andere hatte ich völlig vergessen. Am meisten beeindruckt hat mich »Schwarzschild-Radius« von Connie Willis. Die Story spielt in einem Schützengraben im Ersten Weltkrieg. Platz 2: »Erster Auftritt: Soldat. Darauf: Ein Anderer« von Robert Silverberg wegen der ausgefeilten Dialogtechnik.

Das Ende der Anthologien

»Fernes Licht« markiert beinahe den Endpunkt der langen Publikationsgeschichte von Anthologien und Magazinen mit internationaler, vor allem angloamerikanischer SF in deutschen Verlagen im Allgemeinen und bei Heyne im Besonderen. Im selben Jahr wurden die seit 1963 laufende Reihe »The Best Stories from The Magazine of Fantasy & Science Fiction« mit Band 101 und die Reihe »Asimov’s Science Fiction« (55 Ausgaben seit 1978) eingestellt (die Originale gibt es bis heute). Als letzte Anthologie brachte Heyne »Ikarus 2002« heraus; alle anderen Verlage hatten schon lange vorher die Finger von Anthologien gelassen. Seitdem fehlen diese Quellen ausgesuchter guter SF-Kurzprosa aus Übersee in deutscher Übersetzung, man findet sie nur noch vereinzelt.

Man kann sich zwar heute fast alles via Internet selbst ins Haus holen, aber dazu muss man mindestens einigermaßen gut Englisch können, sich durch eine Vielzahl regelmäßig erscheinender Print- und Onlinemagazine wühlen und trotz zahlreicher kostenlose Angebote einiges an Dollar auf den Tisch legen, um einen Überblich zu haben. Diese Arbeit hatten uns Wolfgang Jeschke und Co. abgenommen. Da diesen Aufwand zu betreiben nur eine kleine Gruppe von SF-Lesern in der Lage und bereit ist, hat der große Rest keine Ahnung, was jenseits des eigenen Tellerrandes auf diesem Gebiet los ist. Man sagt nicht ohne Grund, dass die Kurzgeschichten die Experimentierfelder für die SF sind und die Trends der Romanveröffentlichungen, von denen es ein kleiner Teil als Übersetzungen zu uns schaffen, vorwegnehmen.

Es fehlt an Substanz

Was mir auch wieder bewusst geworden ist: Auch wenn »Fernes Licht« kein »Best of« der englischsprachigen Nachkriegs-SF in Kurzform ist (weil nur Storys berücksichtigt wurden, die bei Heyne erschienen sind) – eine solche Anthologie wird es für deutschsprachige SF wohl nie geben. Man müsste sich als Herausgeber nicht nur mühselig die Rechte zusammensuchen, sondern es fehlt auch an Substanz, vor allem in den frühen Jahren. Eine Kurzgeschichte wie »Geliebtes Fahrenheit« hätte in Deutschland 1954 und auch viele Jahre danach kein SF-Schriftsteller hinbekommen (und eine Möglichkeit, sie zu veröffentlichen, hätte es erst recht nicht gegeben).

Am nächsten kommt diesem vermeintlichen Desiderat die Anthologie »Die Stille nach dem Ton« von 2012 (herausgegeben von Wolfgang Jeschke und Ralf Boldt), die alle Storys enthält, die zwischen 1985 und 2012 mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis in der Kategorie »Kurzgeschichte« ausgezeichnet wurden. Wobei gleich eingeschränkt werden muss: Nur zwei dieser Geschichten – beide ausgerechnet von Jeschke – sind auch mit dem Kurd-Laßwitz-Preis, dem anderen Literaturpreis für deutschsprachige Science-Fiction, ausgezeichnet worden. Es gibt eben nicht nur ein »Best of«.

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