Ein Heimatroman aus der Zukunft

In »Die letzte Kosmonautin« von Brandon Q. Morris geht es in die DDR des Jahres 2029. Zwei Frauen sind in Gefahr, und ein ABV will sie retten.

Brandon Q. Morris: Die letzte Kosmonautin. Verlag Fischer Tor. Taschenbuch. 416 Seiten. ISBN 978-3-596-70675-4. Gibt es auch als E-Book.

Es ist das Jahr 2029. Mandy Neumann ist »Die letzte Kosmonautin«. Die zweifache Mutter kreist als einziges Besatzungsmitglied zusammen mit dem spinnenförmigen Roboter Bummi in der DDR-Raumstation »Völkerfreundschaft« um die Erde. Kurz nach der Feier zum 80. Jahrestag des einzigen sozialistischen Staats auf deutschem Boden bricht der Kontakt zur Erde ab, offenbar durch Sabotage.

Zur gleichen Zeit erhält der Dresdner ABV (Abschnittsbevollmächtigter der Volkspolizei) Tobias Wagner einen Anruf von Miriam Prassnitz. Er war als Jugendlicher in sie verknallt. Sie bittet ihn um Hilfe, denn ihr Mann Ralf, ein bedeutender Wissenschaftler, ist verschwunden. Da kann Tobias nicht nein sagen, denn wie schon die alten Römer wussten: »Militat omnis amans.« Auf der Suche nach Prassnitz landen er und Miriam mit ihrem Westwagen in der Lausitz, wo es im ehemaligen Braunkohlegebiet ein merkwürdiges Sperrgebiet gibt, das die Anwohner die »Zone« nennen, in dem die Frau verschwindet.

Schnell wird deutlich, dass es zwischen den beiden Fällen einen Zusammenhang geben muss: Ralf Prassnitz hat die Spezialkamera MKF-8 mitentwickelt, die an Bord der »Völkerfreundschaft« durchs All fliegt und superhochauflösende Fotos von der Erdoberfläche macht; sie kann sogar durch Wolken sehen. Tobias Wagner, der zufällig von Mandys Notlage erfährt, will beide Frauen retten.

Viel Ironie und ein wenig Nostalgie

Brandon Q. Morris (das ist das Synonym von Matthias Matting) ist ein unterhaltsamer, sehr flott zu lesender Heimatroman der besonderen Art mit Hard-SF-Elementen gelungen. Darin steckt viel Ironie und ein wenig Nostalgie (Matting wuchs in der DDR auf). Sicherlich nicht ohne Grund heißt die letzte Kosmonautin Mandy; der Name ist ja geradezu ein Synonym für die naive Ostdeutsche. Etwas naiv ist die junge Frau ohne Zweifel. Sie glaubt an das Gute im Menschen und an den Sozialismus, weshalb sie sich von Bummi bequatschen lässt und – im Unterschied zum Leser – die deutlichen Anzeichen der sich anbahnenden Katastrophe übersieht.

Tobias Wagner ist der wenig ehrgeizige, pflichtbewusste, aber nette Kerl von nebenan, der sich in dem trotz allen Fortschritts – die DDR hat sogar einen eigenen Weltraumbahnhof – immer noch repressiven Überwachungsstaat bequem eingerichtet hat. Beim Anblick seines selbstbewusst auftretenden und (nicht nur) auf ihn erotisch wirkenden Jugendschwarms übernehmen jedoch die Hormone die Kontrolle, weshalb er jede Vernunft fahren lässt und sich in Uniform und mit häufig hochrotem Kopf in ein Abenteuer stürzt, das eigentlich für ihn nicht gut ausgehen kann.

Außer Miriam kommt eine Handvoll anderer Nebenfiguren vor – darunter ein Stasi-Offizier, ein (Ex-)Liebhaber von Miriam, ein indischer Raumfahrer und ein kauziger schwuler Funkamateur –, die Tobias entweder im Weg stehen oder ihm helfen. Wer das Werk von Brandon Q. Morris kennt, kann sich denken, dass Physik in diesem Roman eine große Rolle spielt. Wer realistisch geschilderte Raumfahrt- und Alternativweltgeschichten mag, ist mit »Die letzte Kosmonautin« sehr gut bedient.

Seine Romane ergänzt der Autor mit einem ausführlichen Nachwort über die physikalischen Grundlagen der im Roman vorkommenden Phänomene. Die kann man auch als gestaltete PDF-Dokumente bekommen. Ein schöner Service. Wer mehr über Brandon Q. Morris und seine Bücher-Welt erfahren will, wird auf seiner Website hardsf.de fündig.

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Pandemie und Krieg verderben die Leselaune

Der Verlag Peter Hopf hat die Neuauflage alter Science-Fiction-Heftromane als Taschenbuch eingestellt. Für manche ärgerlich, aber kein ungewöhnlicher Vorgang.

Das sind acht von elf Taschenbücher der »Hopf Autorenkollektion« des Verlags Peter Hopf.

Der Verlag Peter Hopf hat seine Autorenkollektion und die Hans-Kneifel-Gedenkedition mit Heftromannachdrucken deutscher Autoren aus den 60er-,70er- und 80er-Jahren eingestellt. Als Grund nannte der Verleger, dass »die Abonnementszahlen so deutlich zurückgegangen [sind], dass sich viele Projekte nicht mehr kostendeckend herstellen lassen«, das Ganze als Folge von Kaufzurückhaltung wegen Corona und des Ukrainekriegs. Die Mitteilung erreichte die Öffentlichkeit vergangene Woche. So mancher reagierte betroffen darauf.

Da nicht jeder das Angebot des Verlags kennt, hier einige Fakten. In der Gedenkausgabe zum zehnten Todestag von Hans Kneifel, der 2012 starb, sollten in drei Taschenbüchern die sechs Romane der Allround-Service-Kurzserie von 1970 in einer auf 222 Exemplare limitierten Neuausgabe erscheinen. Das klappte mit Band 1 (»Shindana – Welt aus Eisen«), der Rest wurde (vorerst) gecancelt.

In der »Hopf Autorenkollektion« sind in elf Taschenbüchern jeweils zwei Heftromane von fünf Autoren – Hans Kneifel, Hubert Haensel, Peter Griese, Falk-Ingo Klee und Uwe Anton – »behutsam überarbeitet« in gehobener Ausstattung neu herausgegeben worden. Weitere waren geplant. Die jüngsten Romane (z. B. »Friedensmusik« von Falk-Ingo Klee) sind etwa 40 Jahre alt, der älteste von Hans Kneifel (»Das Logbuch der Silberkugel«) erschien 1962 (das ist immerhin aus einer Zeit, als Kneifel noch nicht Romane wie am Fließband rausgehauen hat). Alle vertretenen Autoren gehören ins PERRY-RHODAN-Umfeld, alle Romane sind im Original in einer der drei TERRA-Reihen erschienen).

Alt, aber keine Klassiker

»Das Logbuch der Silberkugel« – das Original von 1962

Zu den einzelnen Romanen kann ich mich inhaltlich nicht äußern; ich habe keinen davon gelesen. Aber so viel kann ich beurteilen: Wohl keiner der in der Autorenkollektion veröffentlichten oder zur Veröffentlichung vorgesehenen Romane stach seinerzeit aus der Menge heraus und hat im Genre Spuren hinterlassen, sie sind also nichts, was man (damals) gelesen haben musste und was heute in keiner Sammlung fehlen sollte. Klassiker sind sie nur in dem Sinne, dass sie alt sind. Ein solches Angebot kann doch bloß eine sehr überschaubare Zahl von Fans ansprechen, Komplettsammler und (RHODAN-affine) SF-Nostalgiker.

Das Aus für die Autorenkollektion und die Gedenkedition ist selbstverständlich ärgerlich: für die Autoren oder deren Nachkommen (Kneifel und Griese sind schon tot), denn ihnen entgehen das Nachdruckhonorar und vielleicht ein wenig erneute Aufmerksamkeit; für die Leserinnen und Leser, die auf weitere angekündigte oder eventuelle künftige Ausgaben verzichten müssen. Aber ist das so schlimm? Ja, für die Käufer der Gedenkedition. Denen fehlen jetzt zwei Drittel der Kurzserie (es ist wohl nur ein schwacher Trost, dass man sich die Originalhefte für wenig Geld antiquarisch besorgen kann).

Allerdings, bei der Autorenkollektion handelt sich um einige beliebig (zumindest ist für mich als potenziellen Leser kein Konzept erkennbar) ausgewählte Romane; die Kollektion wäre immer unvollständig, egal ob sie nach elf oder 50 Ausgaben beendet wird. Gesamtausgaben waren ja wohl nicht geplant.

Kein ungewöhnlicher Vorgang

Ist es für den Verleger ärgerlich? Ich nehme ihm ab, dass er sich die Entscheidung nicht leicht gemacht hat und sich über den Misserfolg ärgert. Aber vor allem trennt er sich (hoffentlich für ihn rechtzeitig) von einem Verlustgeschäft und trägt allenfalls einen Imageschaden davon. Ungewöhnlich ist der Vorgang nicht. Die Zahl der überraschend eingestellten Heftroman- und Buchreihen in der SF-Branche ist Legion.

Wer sich ernsthaft mit deutscher SF aus dieser Zeit auseinandersetzen möchte, dem wäre besser mit einer Bibliothek ausgewählter Werke, einem Best-of gedient. Aber ein solches Unterfangen ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Einmal davon abgesehen, dass es kaum möglich sein dürfte, alle Nachdruckrechte zu erhalten, und auch dafür der Abnehmerkreis überschaubar wäre: Wer könnte schon die editorische Mammutaufgabe meistern, »Die zwei Dutzend besten deutschen SF-Romane der 1970er Jahre« oder so auszuwählen? Freiwillige vor.

Mit Arthur C. Clarke auf dem Holzweg

Das dritten Clarksche Gesetz gehört zu den anerkannten Axiomen der Science-Fiction. Ich halte nichts davon.

Vor 60 Jahren formulierte der Schriftsteller Arthur C. Clarke (1917-2008) das sogenannte dritte Clarkesche Gesetz. Es ist neben den Robotergesetzen von Isaac Asimov die am häufigsten zitierte vermeintliche Grundregel der Science-Fiction.

Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.
(im Original: Any sufficiently advanced technology is indistinguishable from magic.)

Der Brite gilt als einer der bedeutendsten SF-Schriftsteller des 20. Jahrhunderts. Auf einer seiner Kurzgeschichten beruht der Filmklassiker »2001: Odyssee im Weltraum«. Clarke war auch ein visionärer Wissenschaftler. Er hat zum Beispiel bereits 1945 die Idee von geostationären Satelliten für die weltweite Kommunikation entwickelt.

Clarke formulierte die drei Gesetze 1962 im Essay Hazards of Prophecy: The Failure of Imagination aus dem Sammelband Profiles Of The Future: An Inquiry into the Limits of the Possible (1962, rev. 1973; pp. 14, 21, 36). Darin vertritt er die Auffassung, dass es Prognosen (bzw. dessen Urhebern) meistens an Mut und Phantasie mangele. Mit Science-Fiction direkt hat das nichts zu tun.

Die beiden anderen Gesetze lauten

  1. Wenn ein angesehener, aber älterer Wissenschaftler behauptet, dass etwas möglich ist, hat er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit recht. Wenn er behauptet, dass etwas unmöglich ist, hat er höchstwahrscheinlich unrecht.
  2. Der einzige Weg, die Grenzen des Möglichen zu finden, ist, ein klein wenig über diese hinaus in das Unmögliche vorzustoßen.

Das dritte Gesetz wird nicht nur häufig in Beiträgen über Science-Fiction zitiert, auch in SF-Romanen, -Kurzgeschichten und -Filmen selbst wird es gerne erwähnt. Ein Beispiel von vielen ist diese Passage aus einem Roman der Perry Rhodan-Serie:

Der Extrasinn hatte, wie meistens, eine Antwort darauf. Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist von Magie nicht mehr zu unterscheiden.“

(Uwe Anton/Christian Montillon: Der Sternenwanderer – Perry Rhodan 2950).

Gefunden habe ich es aber auch im Zusammenhang mit dem erfolgreichen Test der Falcon-Heavy-Rakete des Raumfahrunternehmens SpaceX im Februar 2018.

Das Zitat gehört also offenbar inzwischen zum Redewendungen-Kanon der SF- und weltraumaffinen Community.

Die Griffigkeit der Aussage im dritten Gesetz, das Spiel mit dem vermeintlichen Gegensatz Technik/Magie, der prominente Urheber und die sich darauf ergebende Popularität verstellen aber offenbar den kritischen Blick darauf. Ich halte den Satz für Unsinn.

Die Prämissen stimmen nicht

Um eine sinnvolle Aussage zu machen, müssen die Prämissen stimmen. Als Rationalist mit einem auf überprüfbaren Fakten basierenden Standpunkt weiß ich: Es gibt keine Magie, im Unterschied zu fortschrittlicher Technologie. Wenn es keine Magie gibt, taugt sie als Vergleichsobjekt nicht.

Magie ist nur ein Wort, eine Bezeichnung für das Wirken unerklärbarer, scheinbar übernatürlicher Kräfte auf unsere Welt, die durch Götter, Geister oder sonst etwas verursacht werden. Tatsächlich gibt es solche Kräfte nicht, ebenso wenig wie ihre vermeintlichen Verursacher, denn alles, was in unserer Welt wirkt, ist auch von dieser Welt und beruht auf Naturgesetzen. Es gibt nur Wissen beziehungsweise Unwissen über die Naturgesetze und die damit verbundenen Kräfte.

Der Angehörige eines Naturvolk aus dem Amazonasgebiet, das noch nie Kontakt mit moderner Technik hatte (soll’s geben), wird ein Smartphone für Magie halten, weil es seinen Wissenstand und sein Vorstellungsvermögen übersteigt, dass ein Smartphone ein ebenso von Menschen erdachtes und erschaffenes Werkzeug ist wie sein Speer mit der Feuersteinspitze. In seiner Welt ist so etwas nur durch Zauberei erklärbar. Das unterscheidet ihn grundsätzlich von unsereins, der zwar auch nicht versteht, wie ein Smartphone funktioniert, das aber keineswegs für Magie hält, sondern weiß, dass es sich um ein hochkompliziertes Produkt irdischer Ingenieurskunst handelt.

Beamen ist keine Hexerei

Würde unsereinem ein Gerät vorgeführt, mit dem man die Gravitation aufheben kann, würden wir das nicht für Magie halten, auch wenn eine solche Technologie verglichen mit der gegenwärtigen zweifellos sehr fortschrittlich wäre. Wir würden einen Trick dahinter vermuten wie bei den scheinbar schwebenden Fakir-Darstellern, die wir aus den Fußgängerzonen unserer Städte kennen. Denn wir wissen immerhin, dass einerseits Gravitation keine übernatürliche Kraft ist und es anderseits technische Geräte gibt, mit denen man sich natürliche Kräfte zunutze machen kann. Ein Gerät zur Beeinflussung von Gravitation ist vorstellbar. Seit »Raumschiff Enterprise« wissen viele, das hinter der zeitlosen Versetzung von Personen von einem Ort zum anderen nicht Hexerei stecken muss, sondern es ein Transporter genanntes Gerät bewirken könnte. »Beam me up, Scotty« ist fast schon zum geflügelten Wort geworden.

Wir sind, im Unterschied zu dem Amazonas-Jäger, durchaus in der Lage, jede »hinreichend fortschrittliche Technik« für genau das zu halten, was sie ist: fortschrittliche Technik. Dazu müssen wir sie nicht verstehen oder auch nur eine Ahnung davon haben, auf welchen physikalischen Prinzipien sie beruht. Wir müssen zur Einordnung einer solchen unbegreiflichen Technologie nicht auf andere Konzepte zurückgreifen. Der Amazonas-Ureinwohner würde sagen: »Das ist Magie.« Wir können ganz einfach sagen: »Das verstehe ich nicht.«

Insofern träfe das Clarkesche Axiom selbst dann nur eingeschränkt zu, wenn es Magie gäbe. Wir wären nämlich aufgrund unserer Kenntnisse von Naturgesetzen in der Lage, zwischen Magie und fortschrittlicher Technik zu unterscheiden.

Anregung aus dem 17. Jahrhundert

Die Idee, das Technik und Magie in einer Beziehung stehen, hat Clarke nicht als erster entwickelt, sie ist vielmehr schon 400 Jahre alt.

In seinem 1620 in Frankfurt am Main erschienenen Werk De sensu rerum et magia libri quatuor schrieb der Gelehrte Tommaso Campanella (1568-1639) auf S. 282: Quicquid sapientes faciunt imitando naturam aut ipsam adiuuando per artem non modo plebi ignotam sed communitatio hominum opus magicum dicimus. Quapropter non modo iam dictae scientiae, sed omnes magiae praestant usum. (Alles, was die Wissenschaftler in Nachahmung der Natur oder um ihr zu helfen mit Hilfe einer unbekannten Kunst vollbringen, wird Magie genannt. Denn Technologie wird immer als Magie bezeichnet, bevor sie verstanden wird, und nach einer gewissen Zeit entwickelt sie sich zu einer normalen Wissenschaft.) Das, finde ich, ist eine viel treffendere Aussage als das dritte Clarkesche Gesetz.

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