Eine faszinierende Welt im Dauerregen

vilmKarsten Kruschel: VILM1 – Der Regenplanet (220 Seiten, 12,95 Euro); VILM 2 – Die Eingeborenen (226 Seiten, 12,95 Euro); VILM 3 – Das Dickicht (310 Seiten, 12,95 Euro). Wurdack-Verlag.

Die rund 750 Seiten der VILM-Trilogie von Karsten Kruschel lassen sich einfach zusammenfassen: Es ist das Beste, was in den letzten Jahren an deutscher Science-Fiction erschienen ist.

Erstens: Kruschel geht spielerisch mit der Sprache um. Sie ist bildhaft und einfallsreich und immer erzählerisch. Sein Stil ist Lichtjahre entfernt von der klischeebeladenen Ausdrucksweise vieler Genre-Kollegen. Zweitens: Das Szenario ist originell und vielschichtig, der Einfallsreichtum verblüffend, das Personal skurril. Drittens: Kruschel bedient die Erwartungshaltung von SF-Lesern nicht. Seine Protagonisten sind anders als die »Helden«, die sonst auf fremden Planeten stranden. Die drei Romane spielen auf dem Planeten Vilm, auf dem es immer regnet. Benannt ist er nach einem Riesenraumschiff, das dort abstürzt. Die Gestrandeten haben kaum mehr zum Überleben als einen großen Haufen Schrott.

Im klassischen SF-Roman würde nun die fremde Welt erkundet und erobert, oder die Protagonisten müssten ums Überleben kämpfen, bis sie siegen, untergehen oder Hilfe kommt. Aber auf Vilm passen sich die Menschen der Natur an, die zwar deutlich merkwürdiger, aber nicht gefährlicher ist als der Regenwald am Amazonas. Die Kinder der Schiffbrüchigen gehen eine faszinierende geistige Symbiose mit den hundeähnlichen Eingesichtern ein, werden zu einer Person in zwei Körpern und mehr und mehr wahre Geschöpfe des Planeten.

Der hat viele Geheimnisse zu bieten, vor allem das Riesengestrolch. Das ist ein Dickicht, das den Äquator umspannt und Begehrlichkeiten bei den Außervilmischen weckt. Die eigenwilligen Vilmer sind aber gewitzt genug, sich alle vom Hals zu halten. Nur den Leser nicht.

(Ostfriesen-Zeitung, 31.05.2013)

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SF-Elemente dienen nur als Staffage

schiffsdiebePaolo Bacigalupi: Schiffsdiebe. Heyne-Verlag. ISBN 978-3-453-53445-2. 352 Seiten, 8,99 Euro.

Nach seinem Debütroman »Biokrieg« wurde Paolo Bacigalupi begeistert als neuer Stern am Science-Fiction-Himmel gefeiert. Aber in seinem Buch »Schiffsdiebe«, erster Band einer Trilogie und jetzt als Taschenbuch erschienen, sind die SF-Elemente nur Kulisse, Staffage, auch wenn die Handlung in einer nicht allzu weit entfernten, düsteren Zukunft in der vom Klimawandel zerstörten Gegend um New Orleans spielt und Halbmenschen – genmanipulierte Mischwesen aus Mensch, Hund und Tiger – durch die Gegend laufen.

Held des Romans ist Nailer. Der Junge schlachtet Tankerwracks aus, die an der Küste von Louisiana gestrandet sind. Eines Tages trifft er auf die reiche »Bonzentusse« Nita und flieht mit ihr und dem Halbmenschen Troll vor seinem gewalttätigen Vater, der das Mädchen an Organhändler verschachern will.

In »Schiffsdiebe« geht es darum, wie ein Mensch Anstand in einer Welt voller Gewalt und Verrat bewahrt, es geht um Loyalität und den Traum von einem besseren Leben. Das Thema ist bekannt, und der Amerikaner fügt dem keine neuen Aspekte hinzu. »Schiffsdiebe« könnte genauso gut bei Elektroschrott-Sammlern im heutigen Afrika spielen oder während der Frühphase der Industrialisierung in Europa. Bacigalupis düstere Zukunftsversion ist auch eine Mahnung, mit der Welt sorgsam umzugehen. Aber wo diese Themen direkt angesprochen werden, ist der Ton belehrend und die Dialoge wirken aufgesetzt.

»Schiffsdiebe« ist gut geschrieben und unterhaltsam. Aber wer einen wirklich guten SF-Roman lesen will, sollte sich nach etwas anderem umsehen.

(Ostfriesen-Zeitung, 28.06.2013)

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Einsteins Grab auf der Rückseite des Mondes

kometHannes Stein: Der Komet. Galiani-Verlag. ISBN 978-3-86971-067-9. 272 Seiten, 18,99 Euro.

Es ist eine andere Welt: In Wien (und in Berlin) regiert noch ein Kaiser, Anne Frank hat als 70-Jährige gerade den Literaturnobelpreis erhalten, und Albert Einstein hat in einem Grab auf der Rückseite des Mondes seine letzte Ruhestätte gefunden. Das ist die Welt, in die Hannes Steins Roman »Der Komet« den Leser entführt. Eine Welt, in der es nicht den Ersten und auch nicht den Zweiten Weltkrieg gegeben hat.

Steins Debütroman spielt Ende des 20. Jahrhunderts in Wien, der Hauptstadt der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn. Während der namengebende Himmelskörper unaufhaltsam der Erde entgegenfällt, verfolgen die Leser das Schicksal einiger Einwohner der Stadt. Da ist ein Student, Alexej von Repin, der eine Affäre mit der schönen, aber verheirateten Barbara Gottlieb anfängt, da ist der Psychoanalytiker Dr.Anton Wohlleben, der einen verstörenden Patienten behandelt und sich regelmäßig mit dem Oberrabbiner und dem Bischof zum Kaffeetrinken trifft, und da ist der merkwürdige Fernsehphilosoph André Malek, dem der Zufall einen bösen Streich mit einem Blumentopf spielt.

Was das Werk so lesenswert macht, sind der Witz und die Fabulierfreude – und der Umstand, dass Stein uns in eine bessere, eine gemütliche Welt entführt ohne ideologischen Hass, ohne Finanzkrise und ohne die Erinnerung an millionenfachen Mord, in der man noch gemütlich im Café Central sitzt und an seiner Melange nippt und nicht mit einem Coffee-to-go-Becher in der Hand durch die Stadt hetzt.

Beunruhigend sind nur die Träume, die Dr. Wohllebens Patienten heimsuchen und zeigen, dass alles hätte anderes ausgehen können, wenn Kronprinz Franz Ferdinand am 28. Juni 1914 in Sarajevo doch einem Attentat zum Opfer gefallen wäre.

(Ostfriesen-Zeitung, 30.08.2013)

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