Skurriles Personal und irrwitzige Wortschöpfungen

»Cutter ante portas« – Bücher von Michael Marrak zu lesen ist immer ein Vergnügen

Michael Marrak: Cutter ante portas – Ein Kanon-Roman. Amrun-Verlag 2022. ISBN 9783958694910. 12,90 € (Taschenbuch) | 15,90 € (Hardcover).

Seitdem ich vor rund 20 Jahren »Lord Gamma« gelesen habe, gehört Michael Marrak zu meinem Lieblingsautoren, und ich kann es kaum erwarten, dass ein neues Buch von ihm erscheint. Ich habe ihn inzwischen mehrmals getroffen, zuletzt beim Buchmesse-Con im Oktober in Dreieich, und lasse mir die Neuerscheinungen möglichst von ihm signieren. Sein jüngstes Werk »Cutter ante Portas«, signiert beim ElsterCon 2022 in Leipzig, habe ich an zwei Nachmittagen gelesen (bei 240 Seiten kein Kunststück) und dabei live auf Twitter kommentiert.

»Cutter ante portas« ist ein Roman aus Marraks bunten Kanon-Universum, einer Welt weit in der Zukunft, die von Maschinen und anderen beseelten Dingen bevölkert wird. Cutter, der schon im Hauptwerk »Der Kanon mechanischer Wesen« eine wichtige Rolle spielte, ist der personifizierte Tod, der Schnitter, gekleidet in einen schwarzen Umgang und ausgestattet mit der Sense und dem Stundenglas, das ihm allerdings verlustig gegangen ist, wo er es doch jetzt gut brauchen könnte. Als Cutter in die unterirdische Stadt Solicia kommt, erfährt er, dass eine einst vertriebene große Gefahr für die ganze Welt zurückgekehrt ist: die Maschine, die alle Probleme löst und unsere Sprache spricht. Er macht sich auf die Suche.

Das alles erzählt Michael Marrak mit einem skurrilen Personal und einem bunten Feuerwerk an kuriosen Wortschöpfungen, mit Sprachwitz, verdrehten Zitaten, Anspielungen und Verweisen. Das fängt schon mit dem Titel des Romans an: Wer dächte dabei nicht an »Pappa ante portas«? Noch überdrehter als in diesem Film von Loriot geht es in der Kanon-Welt zu, in der sprechende Ortsschilder Stadttore bewachen, ein Sehnsuchtsgeysir im Untergrundgrund döst, Spiegelbilder ihrer eigenen Weg gehen und ein Wenigerchen sich akkusativ in den Augen bohrt. Das erzeugt so viele merkwürdigen Bilder im Kopf und macht so viel Spaß, dass man den eher konventionellen Plot gerne hinnimmt.

Ich freue mich schon auf die im Buch angekündigte Fortsetzung, wenn es auf »Die Insel der Kyberiaden« geht und Cutter die Welt rettet. »Kyberiade« ist übrigens der Titel eines Buches von Stanislaw Lem mit »Fabeln zum kybernetischen Zeitalter«. Der polnische Schriftsteller ist ebenfalls für seine kreativen Neologismen bekannt, und es würde mich nicht wundern, wenn sich eines seiner kuriosen mechanischen Geschöpfe in Marraks Roman verirrt hätte.

Wie beim »Kanon« üblich, stammen sowohl das Covermotiv als auch die Innenillustrationen von Michael Marrak selbst.

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Es ist mir eine Ehre

Das neue Exodus ist mit einer Story von mir erschienen. Zu »Nach dem Heldentod« gehört eine ganz besondere Grafik.

Jetzt in Exodus: Meine Story »Nach dem Heldentod«.

Dieser Tage, Anfang November 2022, lag mein Belegexemplar von »Exodus 45« im Briefkasten. Das renommierte »Magazin für Science Fiction Stories & phantastische Grafik« enthält eine Kurzgeschichte von mir zu einem topaktuellen Thema. In »Nach dem Heldentod« geht es um die Rückkehr der Amerikaner auf den Mond. Während ich diesen Text schreibe, bereitet die Nasa gerade zum vierten Mal den Jungfernflug ihrer neuen Mondrakete vor.

Ich fühle mich geschmeichelt, in den illustren Kreis der »Exodus«-Autoren – von Hans-Joachim Alpers bis Rainer Zubeil reicht die Liste – aufgenommen worden zu sein, und das gleich bei meinem ersten Versuch. Ich habe sogar eine eigene Autorenseite 🙂. Tatsächlich hatte ich lange gezögert, die Story anzubieten, zu groß war die Ehrfurcht. Aber dann habe ich mich an einen Spruch von Marilyn Monroe erinnert: »Ist Ihnen je aufgefallen, dass ›Ach, was soll’s?‹ immer die richtige Entscheidung ist?«

Um so größer war die Freude, als mir Mit-Herausgeber René Moreau vor anderthalb Jahren schrieb: »Ja, Deine Geschichte wäre was für EXODUS… Ich kann sie frühestens in der 44 unterbringen.« Nun, es ist die 45 geworden. Was soll’s. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber gar nicht, welche Auszeichnung diese Zusage wirklich darstellte. Beim ElsterCon im September in Leipzig habe ich mich mit René, den ich schon ein paar Jahre kenne, natürlich über die Veröffentlichung unterhalten und dabei erfahren, dass er einen großen Stapel von eingesandten Storys vor sich herschiebt. Meine ist nicht in dem Stapel gelandet.

Illustriert von Hubert Schweizer

So stellt sich Hubert Schweizer »meine« Mondlandung vor.

Es ist bei Exodus üblich, dass jede Story exklusiv illustriert wird. Es ist mir eine besondere Ehre, dass die Grafik für meine Kurzgeschichte von Hubert Schweizer ist. Nicht nur, weil er ein seit Jahrzehnten bekannter Illustrator ist, der gerade in diesem Jahr mit dem Kurd-Laßwitz-Preis – für »Refugium«, das Titelbild von Exodus 43 – ausgezeichnet wurde. Die Illustration zu »Nach dem Heldentod« ist möglicherweise seine letzte Zeichnung. Hubert Schweizer ist Mitte 70 und kann krankheitsbedingt nicht mehr so zeichnen, wie er das gewohnt ist. Die Zeichnung ist also etwas ganz besonderes, womöglich der Abschluss seines Lebenswerks.

Außer meiner Geschichte gibt es Storys von Christian Endres, Thomas Grüter, Vladimir Hernández, Marco Rauch, Alexa Rudolph, Peter Schattschneider, Uwe Schimunek, Michael Siefener, Leszek Stalewski, Angela und Karlheinz Steinmüller, Norbert Stöbe und Wolf Welling. Das ist wirklich eine illustre Runde. Illustrationen steuerten Uli Bendick, Mario Franke, Thomas Franke, Gerd Frey, Jan Hoffmann, Detlef Klewer, Kostas Koufogiorgos, Hubert Schweizer, David Staege und Michael Vogt bei. In der üppigen Grafikgalerie wird Michael Böhme vorgestellt.

Jetzt drücken wir den Amis mal die Daumen, dass sie ihre Rakete ins All bekommen und das bei der in wenigen Jahren anstehenden Mondlandung nichts schief geht. Sonst mache ich noch als Hellseher Karriere.

Alle wichtigen Infos über die Ausgabe einschließlich der Bezugsbedingungen gibt es auf der Exodus-Website.

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Die große Leere ab 2000

In den letzten zwei Jahrzehnten ist nur eine Science-Fiction-Kurzgeschichte auf Deutsch erschienen, die mit dem »Hugo« ausgezeichnet wurde. Davor war das ganz anders.

Die Rakete symbolisiert den »Hugo«.

Nein, die Überschrift bezieht sich nicht auf das Niveau der Perry-Rhodan-Serie seit Band 2000, obwohl »Die große Leere« mal ein Schauplatz im Perryversum war. Als Ergänzung zu meinem Blogpost über »Es gibt keine Anthologien mit internationalen Science-Fiction-Storys mehr« habe ich mir vielmehr angesehen, was an Werken, die mit dem »Hugo« ausgezeichnet wurden, ins Deutsche übersetzt wurde. Das Ergebnis ist bezeichnend.

In dem Post über die Anthologie »Fernes Licht« habe ich unter anderem festgestellt, dass 2002 im Heyne-Verlag nach gut vier Jahrzehnten das letzte Mal eine Anthologie mit ausgewählten englischsprachigen SF-Kurzgeschichten erschienen ist; andere Verlage hatten schon Jahre vorher aufgegeben. Das Ende dieser Tradition steht offensichtlich im Zusammenhang mit dem Umstand, dass der Verlag verkauft worden und Herausgeber Wolfgang Jeschke in Rente gegangen ist. Die Jahrtausendwende stellt also einen Einschnitt dar. An diesem Punkt ist, was die Veröffentlichung von kurzen SF-Werken angeht, Schluss. Für die Langformen gilt das nicht.

Werfen wir also einen etwas genaueren Blick auf die Übersetzungsfrage. Das gelingt mit Hilfe des Wikipedia-Eintrags über den Hugo. Dort sind zu allen Hugo-Gewinnern die Übersetzungen ins Deutsche genannt (hoffentlich vollständig, ich habe das nicht geprüft). Der »Hugo«, der eigentlich Science Fiction Achievement Award heißt, wird seit 1953 auf dem alljährlichen Worldcon verliehen und gilt als wichtigster Preis für SF. Es gibt vier Hauptkategorien: Best Novel, Best Novella, Best Novellette und Best Short Story.

Alle Sieger-Romane wurden übersetzt

Von den Best Novels (das sind Romane mit mehr als 40.000 Wörtern), der wichtigsten Kategorie, sind bisher ausnahmslos alle Preisträger in deutscher Übersetzung erschienen (wenn oft auch mit einigen Jahren Verzögerung), zuletzt »A Desolation Called Peace« (deutsch: »Am Abgrund des Krieges«, Heyne-Verlag) von Arkady Martine, der Siegertitel von 2022. Da ist man einigermaßen auf dem Laufenden.

Die Kategorie Best Novella (auf Deutsch könnte man von einem Kurzroman sprechen) ist für Werke zwischen 17.500 und 40.000 Wörtern. Hier wurden bis Ende des 20. Jahrhunderts nur vier Siegertitel nicht ins Deutsche übersetzt. Seit 2000 erschienen zehn von 22 Titeln in deutscher Übersetzung.

Best Novellette ist die Kategorie mit Werken zwischen 7500 und 17.500 Wörtern (hierfür gibt es eigentlich kein passendes deutsches Wort; Wikipedia nennt es »Erzählung«). Bis 1999 wurde nur eine Handvoll Storys nicht übersetzt. In den Nullerjahren 2000-2009 sind es vier gewesen. Danach wurde nur eine einzige hugoausgezeichnete »Novellete« ins Deutsche übersetzt: der Gewinner von 2016, »Folding Beijing« von Hao Jingfang (deutsch: »Peking falten«, Elsinor-Verlag).

Es dürfte niemand wundern, dass diese Entwicklung vor den Kurzgeschichten nicht haltgemacht hat. Bis 1999 wurden fast alle Siegertitel der Kategorie Best Short Story auf Deutsch veröffentlicht, häufig in den deutschen Ausgaben der Magazine, in der die Originale erschienen (es fehlen nur sechs Storys) – danach nur eine: »Exhalation« von Ted Chiang, Sieger von 2009, als »Ausatmung« in den Chiang-Storysammlungen »Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes« und »Die große Stille« des Golkonda-Verlags.

So sieht es bei den Nebula Awards aus

Bei den Nebula Awards, die von den Science Fiction and Fantasy Writers of America verliehen werden und neben den Hugos die wichtigste Auszeichnung für SF sind, sieht es ähnlich aus (Wikipedia-Eintrag). Während die als Best Novel ausgezeichneten Werke fast alle auf Deutsch erschienen sind und bei den Novellas in den 2000er Jahren nur einige Lücken auftreten, sind in der Kategorie Best Novelette seit 1996 nur sechs Siegerstorys auf Deutsch erschienen (als letzte der Sieger von 2008, »The Merchant and the Alchemist’s Gate« von Ted Chiang; deutsch: »Der Kaufmann am Portal des Alchemisten« in den schon genannten Golkonda-Bänden). Die jüngste auf Deutsch erschienene Sieger-Shortstory ist die von 1996, »Death and the Librarian« von Esther M. Friesner. Sie erschien als »Der Tod und die Bibliothekarin« in Asimovs Science Fiction 50 im Heyne-Verlag.

Es ist nicht damit zu rechnen, dass sich an dieser Entwicklung etwas ändern wird.

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