Wikinger, Whiskey, Vremeatron

In der turbulenten »Zeitreise in Technicolor« macht Harry Harrison sich über Hollywood lustig. Er schickt eine Filmcrew zu den alten Wikingern.

Links das Titelbild der ersten deutschen Ausgabe von »Zeitreise in Technicolor« mit Wikinger, Drachenboot und Kameramann, also passend zum Thema des Romans. Es ist von Karl Stephan. Für das Cover der Neuausgabe wurde ein Bild von Peter Jones (für den Roman »Synaptic Manhunt« von Mick Farren von 1976) verwendet.

An so einem Buch konnte ich nicht achtlos vorbeigehen, denn es vereint gleich zwei Interessen von mir in einem Roman: Zeitreisen und die Entdeckung Amerikas durch die Europäer. Dass »Zeitreise in Technicolor« von Harry Harrison von einer Zeitreise handelt, verrät der Titel. Dass es in dem Buch um die Entdeckung Amerikas geht, habe ich irgendwo gelesen, wodurch ich erst auf das Buch aufmerksam geworden bin. Die Story erschien 1967 zunächst als dreiteilige »The Time-Machine Saga« im SF-Magazin Analog, dann im selben Jahr mit dem Titel »The Technicolor® Time Machine« als Buch. Die deutsche Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch kam 1970 und 1979 als Terra-Taschenbücher 172 und 315 mit unterschiedlichen Titelbildern bei Moewig bzw. Pabel heraus. Harrison (1925-2012) war ein sehr produktiver Autor. Sein Roman »Make Room! Make Room!« von 1966 (dt. »New York 1999«, 1969) war die Vorlage für den Film »Soylent Green«.

L. M. Greenspan, Chef der Climactic-Filmstudios in Hollywood, steht kurz vor der Pleite. Ein Kassenschlager muss her. Sein mittelmäßiger Regisseur Barney Hendrickson macht ihn mit Professor Hewett bekannt. Der Wissenschaftler hat eine Zeitmaschine erfunden, die er Vremeatron nennt. Vreme ist das serbokratische Wort für Zeit ( eine seiner Großmütter war Kroatin). Hewett braucht ebenfalls Geld. Sie machen einen Deal: Mit Hilfe des Vremeatrons soll Hendrickson einen »milieugetreuen, realistischen, billigen, langen und hochwertigen Breitwandschinken« an Originalschauplätzen drehen. Greenspan verlangt »[e]ine vollkommen neue Version der Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger«. So blauäugig, großspurig und selbstgefällig, wie alle an die Sache rangehen, ist von Anfang an klar, dass Harrison sich über Hollywoods Filmindustrie lustig macht.

Ohne groß nachzudenken, aber geradezu virtuos setzt Barney das Vremeatron ein, um durch allerhand Zeitsprünge in die Vergangenheit und wieder zurück den Film innerhalb weniger Tage fertigzustellen. Der Drehbuchautor zum Beispiel wird vorübergehend auf eine urzeitliche Insel versetzt, um in Ruhe und ohne Ablenkung schreiben zu können. Für ihn vergehen Wochen, aber in der Gegenwart ist es nur eine Stunde. Man gibt sich praktisch selbst die Türklinke in die Hand. Ebenso verfährt der Regisseur mit dem Wikinger-Häuptling Ottar, der Anfang des 11. Jahrhunderts auf einer Orkney-Insel lebt. Der wird zunächst, ganz in der Manier europäischer Eroberer der frühen Neuzeit, gekidnappt, in Hollywood mit Jack Daniel’s Whiskey abgefüllt und geködert und anschließend mit einem Sprachlehrer zurückgeschickt, damit er bis zum Beginn der Dreharbeiten Englisch kann. Er wird gebraucht, damit seine Leute als billige Statisten mitspielen.

Die Dreharbeiten gehen natürlich nicht reibungslos über die Bühne. So wird Ottars kleine Siedlung gleich von einem feindlichen Wikingerstamm überfallen, es kommt zum Kampf, und es gibt Tote. Zum Glück hat der furchtlose italienische Kameramann Gino alles auf Film. Dann stolpert der Hauptdarsteller über ein Schaf, bricht sich ein Bein und quittiert den Job. In seiner Not macht Hendrickson Ottar zu dessen Nachfolger. Mit viel gutem Zureden und noch mehr Whiskey macht der Wikinger seine Sache halbwegs ordentlich.

Nach diesem Vorgeplänkel auf den Orkneys soll es nach Amerika gehen, nach Neufundland, das im Mittelalter bei den Wikingern als Vinland bekannt war. Ottar sticht mit einem Boot, einem Knorr, in See, während die Filmcrew die mehrwöchige Reisezeit mit dem Vremeatron überbrückt. Auf Neufundland kommt es zu ersten Begegnungen mit eingeborenen Dorset-Indianern. Schließlich, so steht es

im Drehbuch, suchen sich die Wikinger einen Platz zum Siedeln und bauen mehrere Häuser. Es gibt weitere Zwischenfälle mit den Dorsets, die schließlich die Siedlung überfallen, genauso wie es das Drehbuch bzw. Hendrickson gewollt hat.

Wer sich mit den Wikingerfahrten um das Jahr 1000 nach Amerika auskennt, wird recht früh merken, worauf die Geschichte hinausläuft. Eine Reihe von Ereignissen – da bricht beispielsweise ein Stier aus der Wikingersiedlung aus und versetzt die Eingeborenen, die solche Tiere nicht kennen, in Angst und Schrecken – und viele Namen ähneln verblüffend dem, was in den isländischen Sagas über Vinland berichtet wird. Der erste Wikinger, der Neufundland sichtete, hieß laut der Grönland-Saga Bjarni Herjólfsson, der Rollenname der Hauptdarstellerin Slithey Tove, Gudrid, taucht in den Sagas ebenso auf wie der ihres Sohnes Snorey (sie hatte wegen eines Schäferstündchens mit Ottar das Vremeatron verpasst und musste ein Jahr in der Wikingersiedlung bleiben).

Barney geht ein Licht auf: »Der einzige Grund für die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger ist unser Entschluß, einen Film zu drehen, der die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger zeigt.« Das juckt ihn aber nicht weiter. Der Film ist fertig, Greenspan ist gerettet und der nächste Film in Planung. Diesmal soll es ein biblisches Thema sein.

Fazit: Ein turbulentes Buch mit überzeichneten Figuren, mit 160 Seiten gut für ein paar unterhaltsame Lesestunden. Schade, dass wir nicht mehr über Barney und das Vremeatron lesen können.

Hat dir der Beitrag gefallen? Es würde mich freuen, wenn du mir ein Feedback gibst und dafür die Kommentarfunktion am Ende des Beitrags nutzt.

Skurriles Personal und irrwitzige Wortschöpfungen

»Cutter ante portas« – Bücher von Michael Marrak zu lesen ist immer ein Vergnügen

Michael Marrak: Cutter ante portas – Ein Kanon-Roman. Amrun-Verlag 2022. ISBN 9783958694910. 12,90 € (Taschenbuch) | 15,90 € (Hardcover).

Seitdem ich vor rund 20 Jahren »Lord Gamma« gelesen habe, gehört Michael Marrak zu meinem Lieblingsautoren, und ich kann es kaum erwarten, dass ein neues Buch von ihm erscheint. Ich habe ihn inzwischen mehrmals getroffen, zuletzt beim Buchmesse-Con im Oktober in Dreieich, und lasse mir die Neuerscheinungen möglichst von ihm signieren. Sein jüngstes Werk »Cutter ante Portas«, signiert beim ElsterCon 2022 in Leipzig, habe ich an zwei Nachmittagen gelesen (bei 240 Seiten kein Kunststück) und dabei live auf Twitter kommentiert.

»Cutter ante portas« ist ein Roman aus Marraks bunten Kanon-Universum, einer Welt weit in der Zukunft, die von Maschinen und anderen beseelten Dingen bevölkert wird. Cutter, der schon im Hauptwerk »Der Kanon mechanischer Wesen« eine wichtige Rolle spielte, ist der personifizierte Tod, der Schnitter, gekleidet in einen schwarzen Umgang und ausgestattet mit der Sense und dem Stundenglas, das ihm allerdings verlustig gegangen ist, wo er es doch jetzt gut brauchen könnte. Als Cutter in die unterirdische Stadt Solicia kommt, erfährt er, dass eine einst vertriebene große Gefahr für die ganze Welt zurückgekehrt ist: die Maschine, die alle Probleme löst und unsere Sprache spricht. Er macht sich auf die Suche.

Das alles erzählt Michael Marrak mit einem skurrilen Personal und einem bunten Feuerwerk an kuriosen Wortschöpfungen, mit Sprachwitz, verdrehten Zitaten, Anspielungen und Verweisen. Das fängt schon mit dem Titel des Romans an: Wer dächte dabei nicht an »Pappa ante portas«? Noch überdrehter als in diesem Film von Loriot geht es in der Kanon-Welt zu, in der sprechende Ortsschilder Stadttore bewachen, ein Sehnsuchtsgeysir im Untergrundgrund döst, Spiegelbilder ihrer eigenen Weg gehen und ein Wenigerchen sich akkusativ in den Augen bohrt. Das erzeugt so viele merkwürdigen Bilder im Kopf und macht so viel Spaß, dass man den eher konventionellen Plot gerne hinnimmt.

Ich freue mich schon auf die im Buch angekündigte Fortsetzung, wenn es auf »Die Insel der Kyberiaden« geht und Cutter die Welt rettet. »Kyberiade« ist übrigens der Titel eines Buches von Stanislaw Lem mit »Fabeln zum kybernetischen Zeitalter«. Der polnische Schriftsteller ist ebenfalls für seine kreativen Neologismen bekannt, und es würde mich nicht wundern, wenn sich eines seiner kuriosen mechanischen Geschöpfe in Marraks Roman verirrt hätte.

Wie beim »Kanon« üblich, stammen sowohl das Covermotiv als auch die Innenillustrationen von Michael Marrak selbst.

Hat dir der Beitrag gefallen? Es würde mich freuen, wenn du mir ein Feedback gibst und dafür die Kommentarfunktion am Ende des Beitrags nutzt.

Es ist mir eine Ehre

Das neue Exodus ist mit einer Story von mir erschienen. Zu »Nach dem Heldentod« gehört eine ganz besondere Grafik.

Jetzt in Exodus: Meine Story »Nach dem Heldentod«.

Dieser Tage, Anfang November 2022, lag mein Belegexemplar von »Exodus 45« im Briefkasten. Das renommierte »Magazin für Science Fiction Stories & phantastische Grafik« enthält eine Kurzgeschichte von mir zu einem topaktuellen Thema. In »Nach dem Heldentod« geht es um die Rückkehr der Amerikaner auf den Mond. Während ich diesen Text schreibe, bereitet die Nasa gerade zum vierten Mal den Jungfernflug ihrer neuen Mondrakete vor.

Ich fühle mich geschmeichelt, in den illustren Kreis der »Exodus«-Autoren – von Hans-Joachim Alpers bis Rainer Zubeil reicht die Liste – aufgenommen worden zu sein, und das gleich bei meinem ersten Versuch. Ich habe sogar eine eigene Autorenseite 🙂. Tatsächlich hatte ich lange gezögert, die Story anzubieten, zu groß war die Ehrfurcht. Aber dann habe ich mich an einen Spruch von Marilyn Monroe erinnert: »Ist Ihnen je aufgefallen, dass ›Ach, was soll’s?‹ immer die richtige Entscheidung ist?«

Um so größer war die Freude, als mir Mit-Herausgeber René Moreau vor anderthalb Jahren schrieb: »Ja, Deine Geschichte wäre was für EXODUS… Ich kann sie frühestens in der 44 unterbringen.« Nun, es ist die 45 geworden. Was soll’s. Zu dem Zeitpunkt wusste ich aber gar nicht, welche Auszeichnung diese Zusage wirklich darstellte. Beim ElsterCon im September in Leipzig habe ich mich mit René, den ich schon ein paar Jahre kenne, natürlich über die Veröffentlichung unterhalten und dabei erfahren, dass er einen großen Stapel von eingesandten Storys vor sich herschiebt. Meine ist nicht in dem Stapel gelandet.

Illustriert von Hubert Schweizer

So stellt sich Hubert Schweizer »meine« Mondlandung vor.

Es ist bei Exodus üblich, dass jede Story exklusiv illustriert wird. Es ist mir eine besondere Ehre, dass die Grafik für meine Kurzgeschichte von Hubert Schweizer ist. Nicht nur, weil er ein seit Jahrzehnten bekannter Illustrator ist, der gerade in diesem Jahr mit dem Kurd-Laßwitz-Preis – für »Refugium«, das Titelbild von Exodus 43 – ausgezeichnet wurde. Die Illustration zu »Nach dem Heldentod« ist möglicherweise seine letzte Zeichnung. Hubert Schweizer ist Mitte 70 und kann krankheitsbedingt nicht mehr so zeichnen, wie er das gewohnt ist. Die Zeichnung ist also etwas ganz besonderes, womöglich der Abschluss seines Lebenswerks.

Außer meiner Geschichte gibt es Storys von Christian Endres, Thomas Grüter, Vladimir Hernández, Marco Rauch, Alexa Rudolph, Peter Schattschneider, Uwe Schimunek, Michael Siefener, Leszek Stalewski, Angela und Karlheinz Steinmüller, Norbert Stöbe und Wolf Welling. Das ist wirklich eine illustre Runde. Illustrationen steuerten Uli Bendick, Mario Franke, Thomas Franke, Gerd Frey, Jan Hoffmann, Detlef Klewer, Kostas Koufogiorgos, Hubert Schweizer, David Staege und Michael Vogt bei. In der üppigen Grafikgalerie wird Michael Böhme vorgestellt.

Jetzt drücken wir den Amis mal die Daumen, dass sie ihre Rakete ins All bekommen und das bei der in wenigen Jahren anstehenden Mondlandung nichts schief geht. Sonst mache ich noch als Hellseher Karriere.

Alle wichtigen Infos über die Ausgabe einschließlich der Bezugsbedingungen gibt es auf der Exodus-Website.

Hat dir der Beitrag gefallen? Es würde mich freuen, wenn du mir ein Feedback gibst und dafür die Kommentarfunktion am Ende des Beitrags nutzt.