Geniale Kurzgeschichten zum Staunen

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© by Golkonda Verlag 🔗

Ted Chiang: Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes. Golkonda-Verlag 2012, 182 Seiten, 14,90 Euro. ISBN 978-3-942396-12-7

Ted Chiang: Das wahre Wesen der Dinge. Golkonda-Verlag 2014. 284 Seiten. 16,90 Euro. ISBN 978-3-944720-17-3

Es bleibt einem kaum etwas anderes übrig, als in die Lobeshymnen 🔗 auf Ted Chiang einzustimmen. Er ist einfach gut. Nachdem ich zwei, drei verstreute Geschichten von ihm gelesen hatte, mussten es jetzt die Anthologien aus dem Golkonda-Verlag 🔗 sein.

Chiang schreibt völlig unprätentiös, sein Stil ist einfach, aber alles andere als schlicht. Er verwendet kein Wort mehr als nötig; Beschreibungen sind nicht sein Ding, die lenken nur ab. Wenn in seinen Geschichten eine Person einen neuen Raum betritt, dann steht das auch einfach so da. Es bleibt dem Leser überlassen, sich die Umgebung vorzustellen.

Chian ist ein genialer Weltenerfinder, der dem oft Erzählten ganz neue Perspektiven verleiht und Verbindungen zieht, die man noch nicht gesehen hat. Nehmen wir sein erste Kurzgeschichte »Der Turmbau zu Babel«, die 1990 mit dem Nebula Award ausgezeichnet wurde.

Darin treibt Chiang die biblische Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes auf die Spitze. Sein Protagonisten, ein Bergmann, muss auf einen wochenlangen Marsch den unendlich hohen Turm von Babylon erklimmen, um das Himmelsgewölbe zu knacken. Als er den Durchbruch geschafft, landet er dort, von wo er aufgebrochen ist. In der Geschichte geht es wie im biblischen Vorbild um Hybris. Aber während der biblische Gott selbst eingreifen muss, um das Vorhaben zum Scheitern zu bringen, ist bei Chinang die Welt gleich so erschaffen, dass die Hybris ins Leere läuft und das ganze Bemühen nur sinnlos ist.

Ein starkes Stück ist die Erzählung »72 Buchstaben«. Das ist Steampunk der edelsten Sorte. Da bringt Chiang die jüdische Buchstabenmystik, mit deren Hilfe in der Legende der Golem zum Leben erweckt wurde, mit der entwicklungstheoretischen Präformationslehre, die im 19. Jahrhundert ernsthaft diskutiert wurde, aber längst überholt ist, zusammen. Diese ging davon aus, dass jedes Lebewesen schon bei der Zeugung komplett entwickelt war und nur noch im Mutterleib wachsen musste. Chiang lässt seinen Protagonisten Robert durch einen genialen Einfall die »heute übliche« epigenetische Fortpflanzung erfinden. Auch wenn man als Leser früh ahnt, worauf die Geschichte hinausläuft – man staunt einfach nur über so viel Einfallsreichtum.

Ich kann die beiden Erzählbände von Ted Chiang aus dem Golkonda-Verlag nur empfehlen (übersetzt wurden sie von Molosovsky 🔗 und Karin Will 🔗). Hoffentlich gibt’s bald mal was Neues von ihm auf dem deutschen Büchermarkt.

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