Hört auf die Stimme aus Afrika

Zwei Bücher, ein Appell von Vanessa Nakate und Kim Stanley Robinson: Es muss sich etwas grundlegend ändern, so kann es nicht weitergehen.

Vanessa Nakate: A Bigger Picture: My Fight to Bring a New African Voice to the Climate Crisis. London 2021. Gibt es als gebundenes Buch, als Taschenbuch und als Hörbuch (und auch auf Deutsch). | Kim Stanley Robinson: Das Ministerium für die Zukunft. Heyne-Taschenbuch. 720 Seiten. 17 Euro. ISBN 978-3-453-32170-0.

Anlässlich des Weltklimagipfels COP26 Anfang November 2021 in Glasgow habe ich mir zwei ganz unterschiedliche Bücher zugelegt und gelesen: »A Bigger Picture« von Vanessa Nakate und »Das Ministerium für die Zukunft« von Kim Stanley Robinson. Das eine ist ein Sachbuch, das andere wird als »Roman« vertrieben. Beide Bücher sind ein dringender Appell an die Weltöffentlichkeit: Es muss sich etwas grundlegend ändern, so kann es nicht weitergehen. Nakate und Robinson waren auf Einladungen von Nichtregierungsorganisationen in Glasgow.

Vanessa Nakate ist eine junge Klimaaktivistin aus Uganda in Ostafrika. International wurde man zum ersten Mal auf sie aufmerksam durch ein Foto, auf dem sie nicht zu sehen war. Nach einem Treffen von jungen Aktivistinnen und Aktivisten am Rand des Weltwirtschaftsforums im Januar 2020 in Davos hatte die Nachrichtenagentur AP ein Foto der Gruppe, darunter Greta Thunberg (Schweden) und Luisa Neubauer (Deutschland), verbreitet, von dem Nakate abgeschnitten worden war. Man sieht nur vier weiße junge Leute und am Bildrand ein Stück von ihrer Jacke. Die Fotos – original und beschnitten – und Nakates Reaktion auf Twitter sehen so aus:

Dieses Foto ist der Aufhänger für ihr Buch »A Bigger Picture«. Sie will damit Afrika eine Stimme geben, denn der Kontinent ist mit am meisten von den Auswirkungen des Klimawandels betroffen, wird aber weitgehend ignoriert. Dabei tragen alle afrikanischen Länder zusammen dazu kaum mehr bei als etwa Deutschland allein (D ist der sechstgrößte CO₂-Emittent).

Nakate schildert schnörkellos und eindringlich, wie sie innerhalb kurzer Zeit zur Klimaaktivistin wurde, nachdem Uganda 2018 von schweren Überschwemmungen und Dürre heimgesucht worden war. Sie erzählt von ihrem ersten naiven »Klimastreik« in ihrer Heimatstadt Kampala, der Hauptstadt Ugandas, von ihren ersten Auslandsreisen zu Klimakonferenzen, ihren Einsatz für den Regenwald im Kongo, ihre Aufklärungsarbeit in Schulen und vielem mehr.

Zwischendurch klärt sie in leicht verständlicher Art über die Ursachen und Folgen des Klimawandels auf, nennt Zahlen und Fakten, die jeder dank zugehöriger Quellenangaben leicht überprüfen kann. Das Buch richtet sich vor allem an junge Leute, an solche, die Antworten suchen, die wissen wollen, was sie selbst machen können, um ihre Zukunft zu sichern. Denn die, die bis jetzt dafür verantwortlich sind, scheitern, weil sie offenbar die Tragweite ihres Handels bzw. Nichthandelns nicht begreifen wollen. Nakate klagt nicht an, wird auch nicht moralisierend oder gar ausfallend (was sie wohltuend von vielen anderen Menschen unterscheidet, die sich bedingungslos für eine Sache engagieren). Sie verlangt Klimagerechtigkeit und dass der globale Süden gehört wird.

Wer halbwegs gut Englisch kann, sollte mit dem Buch keine Schwierigkeiten haben. Das gibt es aber auch auf Deutsch als Rowohlt-Taschenbuch (»Unser Haus steht längst in Flammen: Warum Afrikas Stimme in der Klimakrise gehört werden muss«. ). Lest es!

Wer ist die dritte Person? Der Kerzenständer?

Den Fauxpas mit einem beschnittenen Foto – wenn man nicht sogar Absicht unterstellen will – leisteten sich übrigens zum Beginn der Weltklimakonferenz auch britische Medien. Vanessa Nakate und Greta Thunberg trafen sich mit der schottischen Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon. Und wie lautete die Schlagzeile?

Gute Frage: Wer ist die Person rechts neben Nicola Sturgeon?

Mehr als ein SF-Roman

Der Amerikaner Kim Stanley Robinson ist durch seine Mars-Trilogie bekanntgeworden, in der es um das Terraforming unseres Nachbarplaneten geht. Das Klima ist schon lange ein zentrales Thema in seinem Werk. »Das Ministerium für die Zukunft« ist kein Roman im üblichen Sinne. Es erzählt keine durchgehende Handlung, sondern bietet eine Collage aus erzählerischen, reflektierenden, anekdotischen oder informativen Abschnitten. Wer einfach nur eine spannende, unterhaltsame Story lesen möchte, kommt nicht auf seine/ihre Kosten. Es gibt zahlreiche Kapitel, die einiges an Ausdauer erfordern, aber einen schlauer machen.

Die beiden zentralen Figuren sind der junge Arzt Frank, der in Indien eine katastrophale Hitzewelle mit Millionen Toten nur zufällig überlebt hat, und Mary. Frank geistert schwer traumatisiert durch Zürich. Dort trifft er auf Mary. Sie ist Chefin einer internationalen Behörde, die geschaffen wurde, um die Interessen zukünftiger Generationen zu vertreten, aber weder mit den erforderlichen Mitteln noch der notwendigen Macht ausgestattet wurde. Weil das »Zukunftsministerium« kein normaler Roman und erst recht kein Hollywood-Schinken ist, bedient diese Begegnung selbstverständlich keine trivialen Erwartungshaltungen.

»Das Ministerium für die Zukunft« ist ein höchst politisches Buch. Robinson fabuliert nicht einfach als SF-Autor darüber, wie die Welt sich entwickeln könnte, und warnt damit vor den Folgen des Klimawandels. Er macht viele sehr konkrete Vorschläge, wie Wirtschaft und Politik umgebaut werden müssen, damit es nicht noch schlimmer kommt. In der Welt seines Romans besteht Anlass zum Optimismus. Leider hat der gerade zu Ende gegangene Klimagipfel mit seiner Wischi-waschi-Abschlusserklärung gezeigt, dass wir in der realen Welt noch nicht so weit sind.

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Mit SF die Welt retten

Das Jahr ist noch lange nicht zu Ende, aber das Science Fiction Jahr 2021 ist schon da. Schwerpunktmäßig befasst sich der Jahresband mit dem Klima. Aber es kommen auch andere Themen zur Sprache.

Melanie Wylutzki/Hardy Kettlitz (Hrsg.): Das Science Fiction Jahr 2021. Hirnkost-Verlag Berlin. 28 Euro. ISBN: 978-3-949452-12-3 (auch als E-Book erhältlich).

Die Herausgeber Melanie Wylutzki und Hardy Kettlitz haben sich echt ins Zeug gelegt. Das Science Fiction Jahr 2021 ist superfrüh erschienen und wieder hochinteressant. Einmal aufgeschlagen, konnte ich das voluminöse Jahrbuch kaum weglegen und habe an einem Wochenende fast jede freie Minute damit verbracht. 

Der Schwerpunkt »Klima in der SF« war aufschlussreich, informativ und inspirierend. Er hat mir mehr gebracht als die Schwerpunkte vergangener Jahre; ich muss doch den einen oder anderen Aldiss- oder Ballard-Roman, den ich vor Jahrzehnten gelesen habe, wieder in die Hand nehmen. Passenderweise ist dieses Mal die Erde auf dem Cover zu sehen. Das Klima und der Klimawandel betreffen uns alle unmittelbar.

Manches fand ich allerdings zu verkopft, zu elitär. Wenn in dem Beitrag »Solarpunkt oder Wie SF die Welt retten will« von Wenzel Mehnert die Frage aufgeworfen wird, »ob Solarpunk nicht selbst als präemptive Kommodifizierung kapitalistischer Eskapismus-Phantasien zu lesen ist«, komme ich mir vor wie in einem literaturwissenschaftlichen Seminar. 

Aus der Seele gesprochen hat mir Simon Spiegel mit seiner Kritik an Dietmar Daths monumentaler »Niegeschichte«. Es hat mich sehr amüsiert, wie er einige Sätze daraus auseinandergenommen hat, um den Grad ihrer Verschwurbelung offenzulegen. Wenn Dath von SF erzählt, das habe ich bei einigen Gelegenheiten erlebt, redet er ganz verständlich. Warum schreibt er bloß immer so anstrengend?

Als langjähriger Lem-Leser haben mir die Würdigungen zu dessen100. Geburtstag natürlich gut gefallen, allen voran Karlheinz Steinmüllers Schilderung, wie er 1976 in Krakau eine polnische Ausgabe der  »Summa Technologiae« erstand. Solche Erlebnisse sind das Salz in der Suppe jedes SF-Liebhabers.  Ganz im Sinne des Polen setzt sich ein zweiter Beitrag mit dem »IV. Inter-Intelligenz-Symposium zur Lemologie im Jahr 2171« auseinander. Sehr amüsant.

Mehr Iwoleit, bitte

Beeindruckt hat mich mal wieder Udo Klotz’ umfassende Rückschau auf die deutschen SF-Romane des vergangenen Jahres. Von ihm werde ich regelmäßig daran erinnert, was ich alles noch lesen sollte, aber nie schaffen werde. Seine Kritik könnte aber ruhig etwas pointierter ausfallen. Etwas mehr Iwoleit, sozusagen. Ehrlich gesagt, ein wenig vermisse ich Michael K. Iwoleits Kurzgeschichten-Reviews schon (aber nicht, weil er mich darin mal als talentierten Hobbyautor und meine Sprache als »sauber, schörkellos und präzise« gelobt hat). Seine gnadenlosen apodiktischen Rundum- und Tiefschläge waren immer höchst lesenswert und forderten Widerspruch heraus (und oft hatte er recht, oder?). Ein wenig Orientierung im Anthologie-Wust wäre schon hilfreich.

Wie immer ist das SF-Jahr randvoll mit Buch-, Film-, Comic- und Game-Besprechungen, und auch die Liste der wichtigsten SF-Preise einschließlich der russischen fehlt nicht. Der traurigen Pflicht, in Nachrufen an die Gestorbenen zu erinnern, kommen die Herausgeber ebenfalls nach. Umfangreich wie immer (70 klein bedruckte Seiten) ist die Aufzählung der Neuerscheinungen. Hier wünsche ich mir allerdings, dass auf den ersten Blick zu erkennen ist, ob es sich um eine deutsche Originalausgabe oder um eine Übersetzung handelt. 

Das Jahrbuch sollte bei jedem engagierten SF-Fan im Regal stehen, keine Frage. Mich stört nur eins: dass ich jetzt so lange auf die Ausgabe 37warten muss. Zum Glück werden genügend gute Bücher vorgestellt, die das Warten erträglich machen. 

Übrigens: Wer das SF-Jahr abonniert, hilft nicht nur mit, dieses Projekt am Leben zu erhalten, sondern spart auch noch (Infos auf der Verlagsseite).

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Die letzten Menschen in New York

Retro-SF: Beim Stöbern im Internet bin ich auf die SF-Kurzgeschichte »The Comet« gestoßen. Der schwarze Bürgerrechtler W. E. B. Du Bois schrieb sie 1920.

»The Comet« von W. E. B. Du Bois erschien 1920.

Für die schnelle Lektüre zwischendurch, etwa wenn es sich gerade nicht lohnt, noch ein neues Buch anzufangen, oder um Wartezeiten zu überbrücken, habe ich immer einen kleinen Vorrat an Kurzgeschichten auf dem E-Book-Reader. Überwiegend handelt es sich um englischsprachige Storys, die es kostenlos im Internet gibt. Das Angebot ist groß und interessant. Manche Seiten besuche ich regelmäßig. Manchmal finde ich, vor allem bei älteren Storys, auch nur einen Hinweis und muss ein wenig suchen. 

Obwohl sie für die schnelle Lektüre gedacht sind, mache ich mir sogar die Mühe, die Storys in ordentliche E-Books umzuwandeln, und gestalte eigene Titelbilder. Mit der richtigen Software ist das kein großer Aufwand, außerdem macht es Spaß, und man bleibt in der Übung.

Eine dieser Storys, die ich aufgrund eines Hinweises des Bloggers James W. Harris (Classic of Science Fiction) gefunden und gelesen habe, ist »The Comet« von W. E. B. Du Bois (1868-1963). Der Afroamerikaner war Historiker, Sozialist, Bürgerrechtler, Schriftsteller und vieles mehr. Er war 1909 Mitbegründer der National Association for the Advancement of Colored People. Ende des 19. Jahrhunderts hat Du Bois an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, der heutigen Humboldt-Universität, gelehrt. Ende 2018 war ihm anlässlich des 150. Geburtstags eine dreitägige Veranstaltungsreihe am Theater Hebbel am Ufer in Berlin gewidmet. In dem Tagungsband gibt es eine deutsche Übersetzung der Kurzgeschichte (Danke für den Hinweis, @metaphernpark).

»The Comet« spielt in New York. Die Erde gerät in den giftigen Schweif eines Kometen. Alle Menschen sterben, bis auf den Afroafrikaner Jim und die reiche weiße Julia.  Jim war im Keller einer Bank, für die er als Laufbursche arbeitete, von der Außenwelt abgeschottet, die junge Weiße in ihrem Appartement in einer Dunkelkammer, in der sie Fotos entwickelte. Jim hört ihre Hilferufe, als er durch die mit Leichen übersäte Stadt irrt. Anschließend machen sie sich im Auto der Frau gemeinsam auf die Suche nach Überlebenden. Angesichts der Katastrophe, die über die Stadt hereingebrochen ist, und der Hoffnungslosigkeit kommen sie sich näher und bauen gegenseitige Vorbehalte ab. Aber dann, im Haus von Julias Eltern, wo der Butler und die Hauswirtschafterin tot im Treppenhaus liegen, hören sie Motorgeräusche.  Julias Vater und ihr Verlobter sind von einer längeren Ausfahrt mit dem neuen Auto des Verlobten zurückgekehrt. Nur New York selbst war von dem tödlichen Gas getroffen worden. Julia, die nicht undankbar Jim gegenüber ist, fällt in die Arme ihres Verlobten, der Vater drückt dem Schwarzen zum Dank Geld in die Hand, und eine plötzlich aufgetauchte Menschenmenge kann gerade noch davon abgehalten werden, ihn zu lynchen. Denn ein Schwarzer als vermeintlich letzter überlebender Mann in New York, das geht gar nicht.

»Darkwater« ist eine Kollektion von Kurzgeschichten, in denen es um Rassismus geht.

Die Story erschient 1920 im Sammelband »Darkwater« , in der auch die Geschichte »Jesus Christ in Texas« enthalten ist. Wegen dieser fantastischen Themen gilt Du Bois als einer der Wegebereiter dessen, was 70 Jahre später Afrofuturismus genannt wird. Das Hauptthema der Sammlung ist der Rassismus in den USA.

Pillen gegen giftigen Kometendunst

»The Comet« ist stilistisch sicher erzählt und zeigt, dass Du Bois zu den führenden afroamerikanischen Schriftstellern seiner Zeit gehörte. Die Story lässt sich noch immer gut lesen und überstrahlt Genre-Storys mit ähnlichen Plots aus der Pulp-Ära der späten 1920er und den 1930er Jahren bei Weitem. Das apokalyptische Setting ist typisch SF und für seine Zeit plausibel: Dass Kometenschweife giftige Gase enthalten könnten, galt als möglich. Diese Annahme geht wohl auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück, und noch 1910 wurden bei der Rückkehr des Halleyschen Kometen Pillen gegen den giftigen Kometendunst verkauft. Wahrscheinlich ist Du Bois von diesem Himmelsereignis zu seiner Kurzgeschichte inspiriert worden. Das Thema »Letzter Mensch auf Erden« ist so alt wie die Science Fiction, denn schon Mary Shelley hat mit »The Last Man« 1826 einen postapokalyptischen Roman veröffentlicht, auch wenn in diesem Fall die Katastrophe durch die Pest und nicht durch Gift ausgelöst wurde.

Allerdings ist der Schluss von »The Comet« enttäuschend. Jim und Julia dürfen die Rassengegensätze nicht überwinden und zu neuen Adam und Eva werden. Stattdessen löst sich die Geschichte im Nichts auf, und alles bleibt, wie es war. Wahrscheinlich war die Zeit für mehr als eine Andeutung noch nicht reif.

Dennoch, die Lektüre hat gelohnt. Ich habe wieder etwas über eine interessante Persönlichkeit gelernt und meinen Horizont erweitert. Kann man von einer Kurzgeschichte mehr erwarten?