3000 Wochen PR – Eindrücke von der Jubiläumsveranstaltung einer Heftromanserie
Es sind beeindruckende Namen, die uns auf den Wänden im Münchner Literaturhaus ins Auge fallen, während wir die knarzenden breiten Treppenstufen ins Obergeschoss hinaufschreiten: T. C. Boyle, Peter Härtling, Josef von Westphal, Richard Ford, Nadime Gordimer, Martin Walser, Orhan Pamuk, alles Schriftsteller von Format, und viele mehr waren schon hier. Ausgerechnet in diesem Tempel der Hochliteratur wird Band 3000 der Groschenheftserie PERRY RHODAN, der Inbegriff der deutschen Trivialliteratur, gefeiert? Müsste sich Kritikerpapst Marcel Reich-Ranicki, der ebenfalls unter diesem Dach weilte und Science-Fiction verachtete, da nicht im Grab umdrehen?
Aber selbst als Zeremonienmeisterin Uschi Zietsch alias Susan Schwartz bei der Begrüßung vor 300 Fans, die im Saal im dritten Obergeschoss voller Erwartung die Ohren spitzen und ihre Kameras zücken, von »diesem Ort, an dem alles begonnen hat« (was geografisch nur grob stimmt, denn »dieser Ort« war der Moewig-Verlag in der Türkenstraße) spricht, bleibt es ruhig. Kein Beben erschüttert dem imposanten Renaissancebau am Salvatorplatz, kein Blitz zuckt vom weiß-blauen Literatenhimmel herab, und nicht einmal die Technik macht Probleme. Alles gut. Auch eine Form von Anerkennung, oder? PERRY RHODAN nimmt nach 3000 Wochen, in denen seit September 1961 an jedem Freitag ein neuer Heftroman am Kiosk wartet, längst selbst einen festen Platz im Literaturuniversum ein – als längste Fortsetzungsgeschichte zwischen »Unternehmen Stardust« und »Mythos Erde« nicht nur der Science-Fiction.
Der Saal ist voll
Um Band 3000 zu feiern, kamen also die Fans nach München. Die Veranstaltung am 9. Februar 2019, organisiert vom Team um PR-Marketingchef Klaus Bollhöfener, war schnell ausverkauft, aber sogar drei Perry-Leser aus Japan haben eine Karte ergattert. Alle Plätze Saal sind längst besetzt, als es losgeht. Das Programm unterscheidet sich grundsätzlich kaum von dem einschlägiger Cons, die einzelnen Punkte haben aber – ganz ohne den Geist der Hochkultur – durchweg ein hohes Niveau. Die Themen sind vielfältig und interessant, die Referenten gut ausgesucht, die Moderatoren und ihre Gesprächspartner gut vorbereitet und aufgelegt. So hält sich unsere Enttäuschung darüber in Grenzen, dass ein richtiges Highlight fehlt, über das die Fans noch in zehn Jahren reden würden.
Nach der Begrüßung tritt Chefredakteur Klaus N. Frick ans Mikrofon. Es sind zum Teil pathetische Worte, wenn er von der Vision der Serie spricht, der Vision einer geeinten Menschheit als ein Element im Kosmos. Man merkt, wie stolz er auf seine liebste Raketenheftchenserie ist. Wer weiß, was aus der Serie ohne ihn geworden wäre? Trotzdem musste er im Saal mit einem Stehplatz vorlieb nehmen.
Danach rückt kurz ein anderes Jubiläum, das dieses Jahr gefeiert wird, in den Fokus: der 50. Jahrestag der ersten wirklichen Mondlandung. Alan Bean, der mit Apollo 12 als vierter Mensch auf dem Mond war, kommt in einem Videoeinspieler zu Wort, und der Perry lesende Physiker Götz Röderer erklärt uns, warum Δv wichtig und es gar nicht so einfach ist, zum Mond zu fliegen und dort eine Station aufzubauen. Nach diesem Intermezzo in der wirklichen Welt geht’s zurück ins Perryversum: Der Überall-zugleich-Schreiber Kai Hirdt und Chefredakteur Klaus Frick stellen die ab Juni erscheinende Miniserie um das legendäre Fernraumschiff SOL vor, Stammgastautor Robert Corvus muss sich beim Gespräch über sein perryfreies »Imago-Projekt« einer allerdings von ihm provozierten Mausbiber-Attacke erwehren, und, bevor die Mittagspause eingeläutet wird, gibt Hans Greis einen Einblick in die PERRY RHODAN-Hörbuchproduktion.
Die Pause ist willkommen. Endlich ist ein wenig Zeit, mit alten Bekannten zu quatschen oder die Vitrinen mit PERRY RHODAN-Exponaten im Foyer zu bestaunen, die von Mitgliedern des Münchner PR-Stammtisches bestückt wurden und manche Rarität zu bieten haben. Und die Luft im leer gewordenen Saal hat die Chance, ihren Sauerstoffgehalt zu normalisieren.
Zurück vom Donisl
Durch eine Münchner Würstlpfandl mit Kartoffelsalat und ein Helles vom Holzfass beim Donisl gestärkt geht’s zurück ins Literaturhaus. Dort dreht sich eine halbe Stunde lang alles um PERRY RHODAN Neo und den Ausblick auf das, was ab Band 200 kommt (wobei wir mangels Interesse nicht richtig zugehört haben; aber es werden bis dahin wohl viele offene Fragen geklärt und anschließend neue aufgeworfen). Dann tritt Johannes Rüster auf die Bühne und erklärt dem staunenden Publikum die Erfolgsformel: Donald (oder Dagobert?) Duck+Forest Gump+Saturn V=Perry Rhodan. Und er macht mit seinen tiefsinnigen und kurzweiligen Überlegungen zur »Biographie einer Legende« Lust auf den großen Perry-Rhodan-Roman von Andreas Eschbach (der in einer kurzen Videogrußbotschaft zu Wort kommt). Was er zu sagen hatte, kann man demnächst im PERRY RHODAN-Report nachlesen.
Dann wird doch noch der Geist von Marcel Reich-Ranicki heraufbeschworen, in Form des »Phantastischen Quartetts« aus München (Reich-Ranicki gehörte zum »Literarischen Quartett« des ZDF): Ralf Bodemann, Christian Hoffmann, Udo Klotz und Stefan Kuhn stellen unter diesem Namen auf Convents und anderen Veranstaltungen immer wieder mal »Perlen der Science Fiction« vor. Auf der Bühne des Literaturhauses erzählen sie zusammen mit Perryfandom-Urgestein Hermann Urbanek über ihren Erstkontakt mit PERRY RHODAN. Im Foyer schmeckt das nicht jedem: Die Perryfandom-Aktivisten vom Münchner Stammtisch »Ernst Ellert« in ihren blauen T-Shirts sind als Helfer (bei Cons nennt man solche Leute Gopher) für das Event unentbehrlich, kontrollieren die Eintrittskarten und mehr, aber auf der Bühne sitzen jetzt Leute, von denen mancher im Perryfandom noch nie gehört hat.
Zurück auf die Bühne. Dort präsentiert Ben Calvin Hary ein witziges Video aus seinem Youtube-Kanal. Wie spricht man eigentlich die Namen aus? Johannes Rüster hatte vorher schon darauf verwiesen, dass Perry Rhodan einfach zu deutsch ist, um nicht deutsch ausgesprochen zu werden (auch wenn’s die Marketingabteilung englisch lieber mag). Ob deutsch oder amerikanisch, das ist gar nichts gegen Zungenbrecher wie Cheborparczete Faynybret oder Uldormuhecze Foelybeczt. Warum die Taschenbuch-Trilogie um die Dunkelwelten, die im Sommer erscheinen und von Michael Marcus Thurner, Robert Corvus und Madeleine Puljic geschrieben wird, trotz ihrer Titel »Schwarze Saat«, »Schwarze Frucht« und »Schwarze Ernte« nichts mit Gartenbau zu tun hat, erläutern Klaus Frick und Robert Corvus vor der nächsten kurzen Pause.
Die Spannung steigt
Jetzt wird es aber Zeit für den eigentlichen Anlass dieses Tages, Leute: Band 3000. Die Spannung steigt. Arndt Drechsler unterhält sich mit Uschi Zietsch darüber, wie das wegen seiner Rhodan-Darstellung nicht unumstrittene Titelbild entstanden ist. Wir sehen verschiedene Stadien des Werkes auf der großen Leinwand hinter der Bühne und erfahren, warum Rhodans Haare einen Rotstich haben und nicht blond sind.
Eine Audioeinspielung mit einem Orginalton von K. H. Scheer von 1977 erinnert noch mal an die Anfänge der Serie, dann kommen endlich die Expokraten Hartmut Kasper alias Wim Vandemaan und Christoph Dittert alias Christian Montillon auf die Bühne und plaudern mit Johannes Rüster über den Jubiläumsband. Christian hat einen dabei, gibt ihn aber nicht aus der Hand. Wie immer wird viel geredet und wenig verraten. Wie immer ist es ein Genuss, Wim zuzuhören. Wie kein anderer hat er den Geist der Serie verinnerlicht und kann detailliert und überzeugend darlegen, warum es sich bei PERRY RHODAN um ein vielschichtiges Werk handelt. Er hätte damit bestimmt auch Reich-Ranicki beeindruckt.
Nun haben wohl die meisten im Saal gehofft, dass sie Band 3000 in den Händen halten, wenn sie das Literaturhaus am Abend verlassen würden, vielleicht sogar in einer besonderen Aufmachung. Pustekuchen! Damit alle Leser, die nicht in München dabei sein können und Band 3000 deshalb erst ein paar Tage später kriegen, nicht benachteiligt werden, ist die Begründung.
Fazit
Das Jubiläum im Literaturhaus war sicher kein glamouröses Ereignis, aber im Großen und Ganzen eine gelungene Veranstaltung in einem gediegenen Ambiente. Für manch einen mag der zeitliche und finanzielle Aufwand, um nach München zu kommen, sehr groß gewesen sein und »das Jubiläum« nicht den Erwartungen entsprochen haben (unabhängig davon, worauf diese Erwartungen beruht haben mögen; es war eben kein WeltCon oder so was).
Mehr Bilder vom Event gibt es hier.
Für mich hat sich der Ausflug gelohnt, denn außer einen abwechslungsreichen Tag für mein liebstes Hobby zu verbringen, habe ich jede Menge Freunde und Bekannte getroffen und ein paar neue Leute kennengelernt. Die Begegnung und der Austausch – das ist immer das Entscheidende, nicht das Programm. Deshalb soll auch der der Stammtisch »Ernst Ellert« noch einmal lobend Erwähnung finden: Das Münchner Team hatte extra sein monatliches Treffen um einen Tag und in ein anderes Lokal als üblich verlegt, damit auswärtige Fans daran teilnehmen konnten. Das Angebot haben wir gerne angenommen; rund 60 Fans sorgten bei Pizza, Salat, Wein und Bier für eine unterhaltsamen Abend.
Was nicht so gelungen war
Im weitläufigen, lichtdurchfluteten Foyer des Saals mit Blick auf das Dominikanerkloster und die Theatinerkirche herrschte gähnende Leere, während die Programmpunkte liefen. Nur ein Büchertisch drückte sich in den etwas dunklen Durchgang zum Treppenhaus (aber dort gab es abends zumindest den Eschbach). Hätte sich auf der großen, freien Fläche nicht der eine oder andere Fanclub präsentieren oder eine Auswahl von Werken der Titelbild-Künstler gezeigt werden können?
Sehr schöner Artikel!
Es war eine sehr intensive und tolle Veranstaltung, meine Erwartungen wurden mehr als erfüllt!
Auch diesmal machte der persönliche Kontakt zu vielen Fans, Autoren und der Redaktion diese Veranstaltung für mich zu einem ganz besonderen Erlebnis!
Und: Merci für das interessante Foto mit mir!
In diesem Sinne: bis zum nächsten Event!