Retro-SF: 1976 erschien in der Terra-Astra-Heftromanreihe die Anthologie »Der Dreiköpfige«. Sie versprach die besten Stories junger deutscher Science-Fiction-Autoren.
Selbstbewusst, man könnte es aber auch großspurig nennen, hat Herausgeber William Voltz die 1976 erschienene Anthologie »Der Dreiköpfige« (Terra Astra 267) im Vorwort als die »erste[n] SF-Anthologie deutscher Nachwuchsautoren« bezeichnet. Die Betonung liegt wohl auf Nachwuchsautoren, denn selbstverständlich hat es bereits vorher Science-Fiction-Anthologien mit Kurzgeschichten deutscher Autorinnen und Autoren gegeben. Aber nicht so viele, wíe man vielleicht glauben könnte, wenn man nur die heutige Anthologie-Landschaft kennt. Deshalb ist »Der Dreiköpfige« schon etwas Besonderes.
Anfang der 1970er Jahre muss in der deutschen Verlagsszene ein Umdenken stattgefunden haben, denn nun erschienen erstmals in erwähnenswerten Umfang Anthologien mit SF-Kurzgeschichten deutscher Autoren und Autorinnen. Für diese Erzählform gab es bis dahin kaum reguläre Veröffentlichungsmöglichkeiten. Wer Kurzgeschichten veröffentlichen wollte, war auf Fanzines angewiesen oder musste auf einen Platz in einer genrefremden Publikation hoffen.
Das entscheidende Jahr war 1974. Im Januar erschien der erste von Wolfgang Jeschke herausgegebene »Heyne Science Fiction Story Reader« mit neun Kurzgeschichten – acht Übersetzungen und der Story »Mißverständnis oder Vorsicht mit Nichtrauchern« von Herbert W. Franke. Jeschke war selbst ein ausgesprochener Kurzgeschichten-Verfasser. Auch in den folgenden 20 Readern und anderen Heyne-Anthologien fanden die Leser Storys deutscher Autoren und Autorinnen. Der Fischer-Verlag schloss seine Fischer-Orbit-Reihe im Herbst ’74 mit einer Anthologie mit dem schnöden Titel »Science Fiction aus Deutschland« ab, die erste überhaupt (wenn man einmal von der Anthologie »Lockende Zukunft« von 1957 absieht, die für die Mitglieder des Science-Fiction-Clubs Deutschland gedacht war). 1975 wurde »Der Mann vom Anti« als erste SF-Anthologie in der DDR veröffentlicht.
Eine Chance für Rhodan-Leser
Da wollte wohl auch die Verlagsgruppe Pabel-Moewig, führend in Sachen SF-Heftromane, nicht hinten anstehen. Voltz hatte schon ab 1974 gelegentlich Leser-Storys auf der Leserbriefseite der Perry-Rhodan-Serie, die er betreute, veröffentlich. Womöglich griff er für die Anthologie auf solche Kurzgeschichten zurück. »Der Dreiköpfige«, der auf der Titelseite »[d]ie besten Stories junger deutscher SF-Autoren« verspricht, enthält sechs Kurzgeschichten. Die Titelstory ist vom Herausgeber selbst (der selbstverständlich kein Nachwuchsautor mehr war). Es handelt sich für alle Jungautoren um deren erste »ordentliche« Veröffentlichung außer bei Horst Hoffmann.
Auf die einzelnen Geschichten will ich nicht näher eingehen, die Anthologie hat nicht ohne Grund keine Spuren hinterlassen. »Silver« von Gerda Mott könnte man sich aber heute noch problemlos in einer Anthologie vorstellen. In der kurzen, humorvollen Geschichte lässt eine Familie sich eine mechanische Kuh andrehen, in der künstliche Organe wie bei einer richtigen Kuh Futter verwerten und Milch erzeugen. Die Kyro-Kuh, Silver genannt, ist dabei aber etwas eigenwillig. Milch produziert sie irgendwann nur noch, wenn eine Fliege im »Stall« ist.
Was aus den Nachwuchsautoren wurde
Ich habe mich gefragt, was aus den fünf Autorinnen und Autoren geworden ist.
Horst Hoffmann, das dürfte bekannt sein, hat Karriere gemacht und ist bis heute aktiv. Sein erster Roman »Sie warteten jenseits der Sterne« unter dem Pseudonym Neil Kenwood war bereits im Frühjahr 1976 als Band 5 in der Reihe Gemini Science Fiction erschienen. Die Anthologie ist im September herausgekommen. Hoffmann, Jahrgang 1950, hat danach zahlreiche Heftromane für verschiedene Serien und Reihen verfasst, unter anderem 133 Romane für Perry Rhodan.
Roland Rosenbauer, geboren 1956, schrieb ab 1977 unter eigenem Namen oder Pseudonym Kurzgeschichten und Heftromane in verschiedenen Genres, unter anderem für die Reihen Gespenster-Krimi (Bastei), Damona King (Bastei), Vampira (Bastei), Grusel-Krimi (Zauberkreis) oder Das Volk der Nacht (Zaubermond). Er verfasste auch Novelisationen von Fernsehserien, Hörspiele und Krimi-Drehbücher.
Henriette Ruttkay war mit damals 15 Jahren die jüngste in dieser Riege. Sie hat als Heny Ruttkay seit 1994 vier Romane veröffentlicht, alle ohne Phantastik-Bezug. Die Storys von Johannes Laskarides, der 17 Jahre alt war, und Gerda Mott sind Eintagsfliegen. Laskarides ist heute ein offenbar erfolgreicher Innenarchitekt. Von Mott, Jahrgang 1934, gibt es keine weiteren Spuren im Internet; nach den von ihr in der selbst verfassten Kurzbiografie erwähnten Romanen und Kurzgeschichten suchte ich vergeblich.
Versprechen nicht gehalten
»Das zweite Ich«, die zweite Terra-Astra-Anthologie mit Kurzgeschichten deutscher Autoren, erschien 1978.
Im Oktober 1978 erschien eine weitere Terra-Astra-Anthologie, »Das zweite Ich« (#374), mit zehn Storys von acht Autoren. Die Titelgeschichte stammt wieder von Voltz. Am bemerkenswertesten an dieser Anthologie sind die Versprechen, die Voltz im Vorwort machte und nicht halten konnte. »Ich möchte all den Ungeduldigen… schon hier und jetzt die dritte Anthologie ankündigen«, heißt es dort. Zu J. Leona Franzke, deren Story »Die verschlungenen Pfade der Liebe« er besonders lobt, schreibt Voltz: »In späteren Anthologien werden weitere Stories dieser Autorin erscheinen, in denen sie ihre Begabung erneut unter Beweis stellen soll.«
J. Leona Franzke war ein Pseudonym von Thomas le Blanc (heute Leiter der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar). Voltz müsste das gewusst haben. Leider fehlen in dieser Anthologie im Unterschied zur ersten die Kurzbiografien der Autoren. Außer le Blanc waren Manfred Weinland, Manfred Borchard, Helmut Ehls, Günter Zettl, Andreas Müller und Werner Albertsen beteiligt. Sie alle sind dem phantastischen Genre auf unterschiedliche Weise treu geblieben. Das gilt vor allem für Manfred Weinland, der seither mehrere Hundert Heftromane geschrieben hat, in jüngster Zeit etwa für Professor Zamorra und Maddrax (Bastei-Verlag). Erwähnenswert ist vielleicht noch, dass keiner der Autoren – abgesehen von Horst Hoffmann – bei Pabel-Moewig einen Fuß in die Tür bekam.
1985 wagte die Terra-Astra-Redaktion sich wieder an Anthologien mit Kurzgeschichten junger Autoren. Beide wurden von Horst Hoffmann herausgegeben. »Als die Menschen starben« erschien als Heft 630, »Spuren im Weltall« als Heft 643. Damit wurde Terra Astra eingestellt.