Keine Angst vor Dükern

Wovor warnen in Ostfriesland die Schilder mit der Aufschrift »Vorsicht Düker!«? Gefährliche Tiere und giftige Pflanzen sind es jedenfalls nicht.

Vorsicht Düker? Was verbringt sich im Nüttermoorer Sieltief?

An ostfriesischen Gräben (die hier Schloote heißen) und Bächen (Bäken) wird gelegentlich durch ein Schild mit der Aufschrift »Vorsicht Düker!« vor etwas gewarnt. Hochdeutsche, die kein Plattdeutsch verstehen,  könnten eine ihnen unbekannte Gefahr vermuten. Lebt dort etwa ein gefährliches Tier oder sind Pflanzen am Ufer giftig? Aber keine Angst, wir sind nicht in Australien, wo die Menschen vor Krokodilen oder Haien gewarnt werden. Es ist alles ganz harmlos.

Der Warnhinweis ist nicht für ahnungslose Wanderer, Radfahrer oder gar Schwimmer (Aber wer schwimmt schon in einem Schloot?) gedacht, sondern zum Beispiel für Leute, die den Graben reinigen oder die Uferböschung mähen wollen. Als Düker werden Versorgungsleitungen für Strom, Gas oder Telefon bezeichnet, die unterhalb eines Fließgewässers verlaufen, also quasi darunter hindurchtauchen. Düker ist das plattdeutsche Wort für Taucher. Man soll also aufpassen, dass man nicht versehentlich beim Ausbaggern eine Leitung zerfetzt und den Bagger unter Strom setzt.

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Begegnung mit Juri Gagarin

In Erfurt ist dem ersten Menschen im Weltraum ein Denkmal gesetzt worden. Die Monumentalplastik ist ein Werk von Lew Kerbel.

Meine erste Begegnung mit Juri Gagarin in Erfurt.

Vor zwei Wochen (Ende Juni 2021) habe ich Juri Gagarin in Erfurt einen Besuch abgestattet. Natürlich nicht ihm persönlich, denn der erste Mensch im Weltraum kam bereits 1968 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. 1963 besuchte er Erfurt. Ihm zu Ehren wurde am 12. April 1986, am 25. Jahrestag seines Flugs, in der heutigen thüringischen Landeshauptstadt ein Denkmal aufgestellt. Zur feierlichen Enthüllung kam Siegfried Jähn, der erste Deutsche im All.

Das Denkmal steht in einer Grünanlage an der Ecke Juri-Gagarin-Ring und Krämpferstraße. Hinter ihm ragt ein großer Wohnkomplex elf Stockwerke hoch in den Himmel. Geschaffen wurde die überlebensgroße Büste von dem sowjetischen Bildhauer Lew Kerbel, Schöpfer heroisierender Monumental-Bronzeplastiken. Sein bei uns bekanntestes Werk dürfte der riesige, mehr als sieben Meter hohe Karl-Marx-Kopf in Chemnitz (ehemals Karl-Marx-Stadt) sein.

Wir logierten bei unserem zweiten Erfurt Besuch im gegenüberliegenden Radisson-Blu-Hotel. Mit 17 Etagen ist es das höchste weltliche Gebäude in der Stadt. Es wurde in den 1970er Jahren am Rande der Altstadt gebaut und hieß bis 1995 – wohl nicht von ungefähr – Hotel Kosmos. Es gab ein Restaurant »Galaxis«, und das Café hieß »Orbit«. Leider war davon im Hotel nichts mehr zu bemerken. Restaurant und Café konnten wir allerdings nicht besuchen, weil beide pandemiebedingt noch nicht wiedereröffnet worden waren.

Leider zu spät habe ich erfahren, dass es in Erfurt ein weiteres »Denkmal« für Gagarin gibt. An einem Haus am Juri-Gagarin-Ring gibt es ein großes Graffiti, das das schon fast ikonische Gagarin-Bild mit dem Raumhelm und der Aufschrift »CCCP« zeigt. Das sehen wir uns beim nächsten Erfurt-Besuch an.

Geschichtslektion mit ein paar Schönheitsfehlern

In »Kolumbus, der entsorgte Entdecker« geht es um den unfreiwilligen Jamaika-Aufenthalt des Seefahrers. Dabei spielt eine Mondfinsternis eine Rolle.

Wolfgang Wissler: Kolumbus, der entsorgte Entdecker.
Das Desaster des legendären Seefahrers.
Gebunden, 192 Seiten, 22 Euro
ISBN 978-3-7776-2916-2
S. Hirzel Verlag, Stuttgart

Einen Roman über ein bedeutendes historisches Ereignis wie die Entdeckung Amerikas zu schreiben ist immer eine Gratwanderung. Der Leser weiß meistens zumindest grob, was passiert ist und kann nicht wirklich überrascht werden, und häufig fehlt den Dingen, die sich im wirklichen Leben abspielen, das, was einen Roman ausmacht: Spannung. Da hilft nur Fiktionalisierung, der Autor muss etwas erfinden. Wer nah an der historischen Wirklichkeit bleiben will, beschränkt sich auf Dialoge, andere dramatisieren vorhandene Konflikte, und manchmal werden Personen und Ereignisse komplett erfunden oder weggelassen. Dem Konstanzer Journalisten und Schriftsteller Wolfgang Wissler ist in seinem als literarisches Sachbuch bezeichneten Roman »Kolumbus, der entsorgte Entdecker« eine gute Mischung gelungen, an der es nur wenig auszusetzen gibt.

Wissler erzählt nicht die Geschichte der Entdeckung. Er widmet sich einem der letzten Kapitel im Leben des Entdeckers. Ende Juni 1503 strandete Kolumbus mit 116 Männern auf Jamaika. Seine letzten verbliebenen zwei von elf Schiffen, die Capitana und die Santiago de Palos, waren vom Schiffsbohrwurm zerfressen und nicht mehr seetüchtig. Er schickte mehrere Besatzungsmitglieder unter Führung von Diego Méndez in zwei Indianerkanus los, um aus der Kolonie auf der Insel Hispaniola Hilfe zu holen, was Gouverneur Nicolás de Ovando monatelang hinauszögerte. Die Spanier auf Jamaika waren in dieser Zeit auf die Unterstützung der Eingeborenen angewiesen, was zu Spannungen führte. Ein Teil der Besatzung meuterte Anfang 1504 unter der Führung von Francisco de Porras und dessen Bruder Diego und zog marodierend über die Insel, nachdem es ihnen wegen schlechten Wetters nicht gelungen war, Hispaniola in Kanus zu erreichen. Erst Ende Juni 1504 kann Méndez ein Schiff organisieren, um seine Kameraden abzuholen.

Krank, einsam, desillusioniert

Von den Ereignissen erfährt der Leser abwechselnd aus der Sicht der verschiedenen Protagonisten, die davon betroffen sind, oft in längeren inneren Monologen. Allen voran ist das natürlich Kolumbus. Der von Krankheit gezeichnete, einsame und desillusionierte Entdecker ist die meiste Zeit damit beschäftigt, die Besatzungsmitglieder unter vier Augen in »Mitarbeitergesprächen« bei der Stange zu halten. Dass der Admiral so jovial auftrat, ist wenig glaubwürdig. Ein Mann, vor dem sich das Königspaar nach seiner ersten Reise erhoben hatte, wird sich nicht mit dem Fußvolk abgegeben haben. Dazu hatte er seine Offiziere. Deshalb nehme ich an, dass Wissler das ironisch meint.

Der Kazike Ameyro, das Oberhaupt der Eingeborenen, weiß nicht so richtig, wie er mit der Situation umgehen soll. Er sucht einerseits den friedlichen Kontakt mit den Spaniern und versorgt sie mit Lebensmitteln, andererseits fürchtet er sie und gerät wegen seiner Wankelmütigkeit bei seinen eigenen Leute in Schwierigkeiten.

Der Meuterer Francisco de Porras erkennt nach und nach, dass seine Lage aussichtslos ist, als seine Gefolgschaft in Scharmützeln mit den Indios schrumpft. Schließlich überfallen er und seine Leute die columbustreuen Spanier. Sie wollen sie umbringen, um für den Fall, dass Rettung kommt, als einzige Überlebende dazustehen. Der Überfall scheitert. Im Roman ist Columbus gnädig mit de Porras. In Wirklichkeit hat er ihn in Ketten gelegt.

Spanier kämpfen gegen Spanier: Die  Meuterei von Francisco de Porras wurde von Theodor de Bry in seinem monumentalen Werk über die »West-Indischen Reisen« (1590-1618) verewigt.

Der Venezianer Amerigo Vespucci, nach dem Amerika benannt wurde, kommt nach Hispaniola und versucht, sich bei Gouverneur  Ovando einzuschleimen. Beide haben ein Interesse daran, dass Kolumbus nicht zurückkehrt und auf Jamaika verreckt. Ovando weiß, dass Columbus ihm die Führung der Kolonie streitig machen würde, und Vespucci möchte gerne als der eigentliche Entdecker der Neuen Welt zu ewigem Ruhm gelangen.

Wissler tut Vespucci Unrecht, indem er ihm fast schon krankhaften Neid auf Kolumbus unterstellt. Die beiden Italiener waren seit 1492 zeitweise Geschäftspartner und tauschten sich über ihre Amerikareisen aus. Kolumbus hielt große Stücke auf ihn. »Er hat immer den Wunsch, mir Freude zu machen. Er ist ein sehr anständiger Mann«, schrieb er Anfang 1505 an seinen Sohn Diego. Vespucci war 1504 nicht auf Hispaniola, sondern nahm (möglicherweise) an einer portugiesischen Expedition teil, die die Küste Brasiliens erkundete. Zutreffend ist, das er zu Übertreibungen neigte. Geschäftstüchtig sorgte er dafür, dass sein Ruhm als Entdecker sich verbreitete, während Columbus damit beschäftigt war, seine vom spanischen Königshaus gewährten großzügigen Privilegien nicht zu verlieren.

Die Geschichte auf den Kopf gestellt

Schließlich ist da der Unberührbare, der in Ameyros Stamm lebt. Dieser nach einem Unfall querschnittgelähmte Europäer ist die einzige erfundene Hauptfigur in Wisslers Roman. Er heißt Gabriel und ist ein alter Freund von Kolumbus. Beide haben 1476 mit einem kleinen Schiff den Atlantik überquert und die Neue Welt entdeckt. Während Gabriel dort blieb, kehrte Kolumbus allein (!) zurück, um ganz offiziell auf Entdeckungsfahrt gehen zu können, weil ihm sonst niemand geglaubt hätte. Damit stellt Wissler die Historie auf den Kopf. Interessanter Ansatz.  Das Schicksal des Unberührbaren, einziger Zeuge dieses »Betrugs« bleibt in der Geschichte offen.

Interessant ist auch, welche Figuren Wissler in seinem Roman nicht auftreten lässt. Auf der vierten Reise wurde Columbus von seinem Bruder Bartolomeo und seinem 13 Jahre alten Sohn Fernando begleitet. Bartolomeo war dabei eine wichtige Stütze seines Bruders, während Fernando die Ereignisse später für die Nachwelt festhielt.

Das Buch ist sehr unterhaltsam und locker geschrieben, stellenweise sogar etwas flapsig. Da heißt es an einer Stelle: »[M]an gönnt den anderen nicht die Ananasscheibe auf dem Brot« (S. 21) und an anderer (S. 56): »Selbstverständlich braucht Amerigo Vespucci kein Gespräch mit irgendeinem Kanusportler, um sich eine Meinung zu bilden.« (S. 56). Aber der Autor lässt keinen Zweifel daran, dass die Europäer den Menschen in der Neuen Welt mit kaum zu überbietenden Selbstgefälligkeit und Grausamkeit ihren Willen aufgezwungen haben. Columbus und seine Kumpane sind keine glorreichen Entdecker, sondern gewissenlose, egoistische Eroberer.  Nur ein Beispiel für die von Wissler historisch korrekt geschilderten Grausamkeiten: Indios, die versuchten, in ein von Spaniern besetztes Kanus zu gelangen, um nicht im Meer zu ertrinken, wurden die Hände abgehackt.

Von Holzwürmern und einer Finsternis

Einige sachliche Fehler trüben den positiven Gesamteindruck. Harmlos ist noch, dass Wissler offenbar den Unterschied zwischen Schiffsbohrwurm und Holzwurm nicht kennt. Er schreibt ständig Holzwurm. So wird  die Larve des Gemeinen Nagekäfers (Anobium punctatum) genannt, die Gänge in totes Holz, gerne in Möbel, bohrt. Die Schiffe der Spanier wurden jedoch von der Schiffbohrmuschel Teredo navalis, die auch Schiffsbohrwurm genannt wird, befallen.

Peinlich ist Wisslers Darstellung der berühmten Mondfinsternis-Episode. Columbus, der die für die Seeleute seiner Zeit wichtige Ephimeriden-Tafeln des Regiomontanus mitführte, wusste, dass in der Nacht zum 1. März 1504 eine totale Mondfinsternis stattfinden würde. Weil die Eingeborenen sich weigerten, die Spanier weiter mit Lebensmitteln zu versorgen, kündigte Columbus den Eingeborenen an, dass sein Gott den Mond in dieser Nacht zur Strafe »im Zorn entflammen« und sein Licht verblassen lassen würde. Bei einer Mondfinsternis fällt der Erdschatten auf die hell leuchtende Scheibe des Vollmonds. Die Scheibe wird dunkler und schimmert am Ende in dunklem Rot, weil in der Erdatmosphäre gestreutes Licht dorthin reflektiert wird. Die Mondscheibe bleibt während der ganzen Finsternis sichtbar.

Die Mondfinsternis in einer Darstellung des 19. Jahrhunderts (aus: Astronomie Populaire von Camille Flammarion, 1879)

Als das tatsächlich passierte, drehten die Eingeborenen durch und erfüllten die Wünsche der Spanier. Dieses Ereignis wurde von Kolumbus‘ Sohn Fernando überliefert. Und was schreibt Wissler? Er lässt den Kaziken Ameyro zu Wort kommen: »Es war, als schöbe sich sich eine schwarze Scheibe vor sein geliebtes Angesicht. Größer und größer wurde die Scheibe, immer kleiner wurde der Mond und immer schwächer sein Licht.« Nur bei einer Sonnenfinsternis wäre eine schwarze Scheibe sichtbar, könnte man mit bloßem Auge hinsehen. Es handelt sich dabei um den Neumond, der sich zwischen Erde und Sonne schiebt.

Die Eingeborenen werden sich vermutlich gar nicht wegen der Verdunklung gefürchtet haben. Mondfinsternisse sind keine Seltenheit. Aber sie kannten die Ursache nicht und glaubten, dass Kolumbus seinen Gott dazu bewegen konnte, ihnen dieses Zeichen zu geben. Das machte ihnen Angst.