Ein cleveres Verwirrspiel

»Die Störung« von Brandon Q. Morris ist ein unterhaltsamer Roman für Freunde der Hard-SF. Auf die Leser wartet manche Überraschung.

Brandon Q. Morris: Die Störung.
Fischer Tor 2021. 384 S. 16.99 €
ISBN: 978-3-596-70047-9

Weil ich gerade nicht so richtig wusste, was ich lesen sollte, habe ich »Die Störung« von Brandon Q. Morris (Pseudonym von Matthias Matting) eher aus Verlegenheit vom Stapel ungelesener Bücher genommen. Meine Erwartung war nicht hoch, Hard-SF, in der Astronomen etwas entdecken, das die Menschheit bedroht, ist ja nichts Besonderes. Vor einiger Zeit hatte ich erst »Vakuum« von Phillip P. Peterson gelesen. Aber für zwei, drei unterhaltsame Nachmittag sollte es gut sein.

Ich bin überrascht worden. Es fing schon damit an, dass der Roman im Präsens geschrieben ist und dadurch eine ganz interessante Stimmung erzeugt wird. Dann spielt er an zwei Orten zu zwei Zeiten mit 15 Jahren Unterschied, aber als Leser merkt man schnell, dass die Ereignisse offenbar gleichzeitig ablaufen. Man weiß also, dass an dem ganzen Szenario, das vor einem ausgebreitet wird, etwas nicht stimmen kann. Der Autor lässt einen aber lange zappeln, die Auflösung ist clever und der Weg dorthin voller Überraschungen.

Das Raumschiff Sheperd-1 kreist in vier Lichttagen Entfernung um die Sonne. 20 Jahre war die Crew unterwegs. Mithilfe einer Schar einfacher Sonden, den Sheep (Schafe), und der Sonne als Gravitationslinse soll die vierköpfige Besatzung einen Blick auf den Beginn des Universums werfen. Als die Astronomin Christine Delrue die aufgefangenen Daten auswertet, erfährt sie etwas, das sie zu einer Verzweiflungstat verleitet. Das Raumschiff wird dabei schwer beschädigt, Christine kommt um. Dann macht sich an Bord die titelgebende Störung breit.

In der zweiten Handlungsebene bekommt es NASA-Mitarbeiterin Rachel Schmidt, die in Houston als CapCom den Kontakt zur Raumschiffcrew hält, mit dem Konzern Alpha-Omega von Ilan Chatterjee zu tun, der das ganze Unternehmen finanziert und lenkt. Sie kriegt mit, dass irgendetwas an der Mission faul ist. Als ihr plötzlich die oben angesprochene Datumsdiskrepanz auffällt – sie arbeitet im Jahr 2079, für die Crew scheint es aber 2094 zu sein – geht das Verwirrspiel, das mit dem Leser und den Raumfahrern gespielt wird, erst richtig los. Da taucht zum Beispiel auf der Sheperd-1 ein neues Besatzungsmitglied auf, und ein altes verschwindet, ohne dass der Rest der Crew das zu irritieren scheint.

Im Anhang gibt der Autor eine Einführung in die Quantenmechanik. Die spielt bei der »Störung« eine entscheidende Rolle. Man versteht die Handlung auch so, sollte aber schon ein Faible für Naturwissenschaft und Technik mitbringen, um an dem Buch Spaß zu haben. Sozial Relevantes oder Zwischenmenschliches kommt nicht vor. Dabei hätte Letzteres innerhalb der Shepherd-Crew spannend werden können, auch wenn der Ausdruck es nicht ganz träfe.

Was mich stört: Die Protagonisten sind etwas zu klischeehaft dargestellt (Ilan Chatterjee erinnert ein wenig an einen Bond-Bösewicht), und wie es Rachel gelingt, an der Nasa und Alpha-Omega vorbei Kontakt mit der Crew aufzunehmen, strapazierte meine Gutgläubigkeit erheblich.

Nova mal 30 = eine reife Leistung

Seit 18 Jahren gibt es das in Deutschland einmalige Science-Fiction-Magazin. Die Jubiläumsausgabe hat zu einer hitzigen Debatte in der SF-Szene geführt, aber nicht wegen der neun Storys.

Michael K. Iwoleit & Michael Haitel (Hrsg.)
NOVA Science-Fiction, Ausgabe 30
p.machinery, Winnert, März 2021, 252 Seiten, Paperback
ISBN 978 3 95765 233 1 – EUR 16,90 (DE)
E-Book: ISBN 978 3 95765 862 3 – EUR 8,49 (DE)

Das deutsche Science-Fiction-Magazin »Nova« hat die 30. Ausgabe im März mit einem Jubiläumsband gefeiert. Er enthält neun »Jubiläumsgeschichten«, einen SF-Klassiker, einen Sekundärteil, eine Reihe von Grußworten zum Jubiläum und Grafiken. Vor 18 Jahren kam Nova 1 heraus. Damit hatten Ronald M. Hahn, Michael K. Iwoleit und Helmuth W. Mommers den Grundstein für ein in Deutschland einmaliges Magazin gelegt, das trotz einer wechselvollen Geschichte seinem Anspruch, hochwertige und gehaltvolle SF-Kurzgeschichten zu bieten, immer gerecht wurde. Gelegentlich sorgt Nova auch für (hitzige) Diskussionen in der SF-Szene.

Die Storys

Karsten Kruschel, Dreckdrohnen und die Mathematik Mozarts | Die ersten viereinhalb von gut sieben Seiten wurden den hohen Erwartungen, die ich bei einem Kruschel-Text habe, gerecht. Wir begegnen einem durchgeknallten Künstler, der in einem nicht näher beschriebenen Institut mit Sachen um sich wirft und dabei Wörter wie »Dreck« oder »Archivieren« ruft, ohne sich um seine Umgebung zu kümmern. Wie sich herausstellt, hat er Drohnen so programmiert, dass sie zum Beispiel seine auf Wurstpappen aus der Kantine aufgekritzelten Notizen auffangen und abschreiben. Sehr skurril. Aber an diesem Tag werden alle Drohnen des Instituts für ein Projekt gebraucht, das etwas Licht in das Geheimnis für Mozarts Musik bringen soll, und die Wurstpappen landen auf dem Boden. Es folgt ein Kurzvortrag über Schwarmintelligenz, denn um die geht es bei dem Projekt. In einem Saal werden die programmierten Drohnen schließlich mit Mozart-Musik beschallt und beginnen zu tanzen. Der Künstler ist völlig platt und erkennt Figuren und Muster, die ihn an seinen Mathe-Unterricht erinnern. Leider verrät uns der Autor nicht, was der Künstler tatsächlich sieht. Formeln? Graphen? Matrizes? Und auch nicht, wie sich darin »die reine Mathematik Mozarts« manifestiert.

Horst Pukallus, Das lange Jahr der kurzen Tage | Katholische Kampfschiffe wollen einen freiheitliebenden Planeten angreifen, um die Kontrolle über wertvolle Rohstoffe zu bekommen. Der Anführer der »fortgeschrittenen Freiheitsfreunde« verwickelt den Anführer der »klerikalen Kosmifaschos« (S. 33) in ein philosophisches Streitgespäch, bis der Gegenangriff erfolgt. Der Autor unterstellt den Angreifern arrogante Dummheit, an der diese scheitern. Ein Wunschtraum, so doof sind die leider nicht. Die Story des alten Wortradikalen glänzt durch die üppige Verwendung von Adjektiven und Technobabbel – auf Sätze wie »Raumfahrzeuge bewegten sich trotz ultramoderner Neutron-Triebwerken, die virtuell-artifizielle polytachyonische Singularitätn n-dimensionaler Qualität erzeugten und die Stympaliden, gelenkt durch mit Neuroakzelerstoren ausgestattete Pavian-Biotron-Piloten und Plasmacomputer, quasi phasenperiodisch durchs Raumzeit-Kontinuum forcierten, langsamer als das DML.« (S. 21 f.) muss man erst einmal kommen. Pukallus, bekennender Atheist und Linker, gibt an, die Story »aus Feindschaft« (S. 32) geschrieben zu haben.

Norbert Stöbe: RITA flies at 5 p.m. | Die Geschichte ist ein Puzzle, in dem entweder ein paar Teile fehlen oder zu viel sind. Zuerst geht es um Pablo, eine medikamentensüchtige Reinigungskraft, der Geldsorgen und Stress mit seinem Chef hat, weil er bei der Arbeit in virtuelle Realität abtaucht, dann um einen internationalen Klimaschutzkongress, der zu scheitern droht, dann findet Pablo dort beim Saubermachen einen Zettel mit der Ankündigung eines Attentats, wird aber nach der Hälfte der Story von irgendwem vor Publikum auf Nimmerwiedersehen aus dem Verkehr gezogen, dann begleiten wir in China die Attentäter, deren Attentat von einem Pandabären-Paar verhindert wird, dann nehmen die Chinesen in der Nähe ein Fusionskraftwerk in Betrieb, um mit seiner Hilfe Kohlendioxid aus der Luft zu filtern, dann wird eine der Attentäterinnen, die offenbar eine Doppelagentin war (und das Attentat verhindern sollte?), von ihren Auftraggebern eliminiert, und dann ist die Geschichte zu Ende.

Markus Müller: Regenmädchen | Bei der Geschichte musste ich mich zusammenreißen, sie nicht im Lektoren-Modus zu lesen. Vielleicht lag es daran, dass ich in der siebten Zeile auf eine »Meatspace-Adresse« (S. 51) stieß und erst im Internet nachsehen musste, ob es das Wort gibt. Gibt es. Es ist unsere Welt, in der Menschen aus Fleisch (meat) und Blut leben, im Unterschied zum Cyperspace. Ein paar Zeilen weiter fehlten Kommata, und auf der nächsten Seite war ein ganzer Absatz aus Computerkauderwelsch überflüssig. Ich merkte da schon, dass der Autor (zu viel) Ahnung von Computern hat und verstand auch später manchmal nur Bahnhof. In der Story bekommt die Saari-Priesterin Karla einen mysteriösen Auftrag, der sie in ein abgewracktes Hotel führt. Dort stößt sie auf Leani, ein virtuelles Mädchen, das im Kern des Hotelservers lebt (wenn ich das richtig verstanden habe). Leanie ist aber keine KI, sondern das Substrat eines echten Mädchen, Tochter einer Zwangsprostituierten. Sie ist »eine Art Wolfskind« (S. 66), das vom Hauscomputer großgezogen wurde, ihr Bewusstsein in den Computer transferiert und sich anschließend vom Hoteldach im Regen in den Tod gestürzt hat. Die ganze Zeit habe ich mich gefragt, warum Karla, die eine Art Super-Systemadministratorin ist, als Priesterin einer mächtigen Hightech-Religion, die als solche überhaupt keine Rolle in der Geschichte spielt, daherkommt. Auf S. 70 fand ich die Antwort: Leani benötigt »die extrem hohen Privilegien« einer Saari-Priesterin, um »ihren Container-Code aus dem eingeschränkten Userspace in den Systembereich zu verschieben und anschließend sämtliche noch aktiven Sicherheitsmechanismen des Kernels kurzerhand zu deaktiveren«. Ach so. Aber insgesamt hat mir die Story gut gefallen. Computer-Nerds werden wahrscheinlich noch mehr davon haben.

Tom Turtschi: Neuromarketing | Tom Turtschi hat mich nicht enttäuscht. Schon sein Nova-Debüt »Don’t Be Evil« in Nummer 28 war beeindruckend und wurde mit dem Deutschen Science-Fiction-Preis ausgezeichnet. Die Geschichte stimmt einfach. In »Neuromarketing« geht es um Künstliche Intelligenz, um eine Software, die Kaufentscheidungen vorhersagt und Bestellungen aufgibt, bevor der Kunde weiß, dass er etwas bestellen wird (und damit als eine Art Unterbewusstsein fungiert, das als »predictiv mind« auch immer weiß, was wir machen wollen, bevor es uns bewusst wird). Kurz vor der entscheidenden Präsentation legt der Entwickler dieser Software die Server des Unternehmens in Schutt und Asche und erschießt sich, weil es die einzige Möglichkeit ist, die Nutzung der KI zu verhindern. Die Mittel dazu hat ihm die KI bei einem Testlauf bestellt. Turtschi wählt zwei abwechselnde Erzählperspektiven: die des Software-Entwicklers am Vorabend der Tat und die der Kommissarin, die die Hintergründe der Tat aufklären will. Auf der letzten Seite der Anthologie ist ein Formular abgedruckt mit der Frage »Welche Story nominiere ich für den Kurd-Laßwitz-Preis 2022?«. Ich würde den Haken wohl bei »Neuromarketing« machen. Leider gehöre ich nicht zu den Abstimmungsberechtigten.

Wolf Welling: »Zwei gehen rein …« | Ein klassisches, oft bis zum Klischee ausgereiztes Setting, ist der tödliche Zweikampf in einer Arena. Hier: Ein alter, dem Tode naher Mann namens Papa Zero lässt junge Kopien seiner selbst gegeneinander antreten, um einen würdigen Nachfolger für sich zu finden. Gäbe es da nicht bessere Auswahlkriterien als eine Prügelei? Erzählt wird die Geschichte eines Kampfes aus der Ich-Perspektive, es gibt also viel inneren Monolog. Irgendwann ist der Gegner tot, der Kampf zu Ende – aber es ist wie beim Fußball: Nach dem Kampf ist vor dem Kampf. Originell ist der Aspekt, dass die Kopien durch ein 4D-Druckverfahren erzeugt und mit Bewusstsein versehen werden, es sind also keine Klone.

Thomas A. Sieber: Die gute Fee von Proxima B | Ein namenloser, vermutlich männlicher Ich-Erzähler (er nennt sich selbst Idiot und nicht Idiotin) verpfeift in Hamburg vermeintliche jugendliche Attentäter, die er im Zug belauscht hat. Er wird, weil er Dutzende Sprache beherrscht und intuitiv neue lernt, vom US-Geheimdienst rekrutiert. In der berüchtigten Area 51 wird das Sprachgenie mit einem amorphen Alien konfrontiert und versucht, mit ihm zu kommunizieren. Das gelingt auf eine völlig unerwartete Art, und weil beide Gefahr laufen, von den Amis zum Schweigen gebracht zu werden, fliehen sie mit dem Alien-Raumschiff in Richtung Proxima B. Dort soll er das Geheimnis der STIMME lösen, die die Aliens – und irgendwann auch der Erzähler – hören, aber nicht verstehen. Der Mensch hat eine esoterische Version, während er den Planeten erkundet. Am Ende mäandert die Story ein wenig dahin, bis der Protagonist zur Erde zurückkehrt. Diese locker geschriebene First-Contact-Geschichte ist gut zu lesen und spricht einige elementare Fragen unser Existenz im Universum an.

Michael Schmidt: Faith Healer | Eine Posse, deren Sinn/Botschaft/Absicht sich mir nicht erschließt. Was will uns der Autor damit sagen? Dass er Boris Johnson blöd findet? Es muss wohl ein Gesetz geben, dass in jeder Anthologie eine Story steht, die ich nicht verstehe.

Uwe Post: Der automatische Depp | Uwes Story ist im Unterschied zu der davor wirklich lustig. Er schreibt über sein jugendliches Ich, das SF-Schriftsteller werden will, sich an die Schreibmaschine setzt und sich beim Schreiben in seiner eigenen Geschichte verheddert. Mehr will ich nicht verraten. Ein schöner Abschluss.

Zu jeder dieser Geschichten gibt es eine Vorbemerkung seitens der Herausgeber, ein Erklärstück des jeweiligen Autors sowie eine Grafik (aber nicht für alle. Merkwürdig.). Die Innenillustrationen sind von Michael Wittmann, Christian Günther, Victoria Sack, Nummer 85, Gerd Frey und Chris Schlicht.

Nach diesen neun Originalveröffentlichungen deutscher Autoren (keine Autorin) folgt eine Neuübersetzung aus dem Amerikanischen: In »Die Töpfer von Firsk« von Jack Vance erfahren wir, was es mit der gelben Schale, die auf dem Schreibtisch des Personalchefs des Amtes für Planetare Angelegenheiten steht, auf sich hat und was man mit Uran noch machen kann, außer Bomben zu bauen. Leider fehlen die bibliografischen Angaben. Deshalb mache ich das hier: »The Potter Of Firsk« erschien im Mai 1950 in Astounding Science Fiction.

Der Fall Dirk Alt und die Folgen

Der Sekundärteil bietet Nachrufe auf Thomas R. P. Mielke und Ben Bova, eine Jack-Vance-Kurzbiografie, eine Vorstellung des Projekts »Vance Integral Edition« sowie eine Reihe von Erinnerungen/Grußworten (ehemaliger) Nova-Macher und Weggefährten. Erwähnenswert erscheinen mir davon zwei Beiträge: Horst Pukallus (»Lob der Sturheit«) ätzt gegen »wirrhirnige[n], dystopische[n] Pseudo-Cyberpunk«, »ganz fleißige Fantasyautorinnen«, deren Kleinverleger und Wälzer, die »nichts als Gedächtnislücken« (S. 228) hinterließen. Einen Friede-Freude-Eierkuchen-Artikel hätte man von ihm auch nicht erwarten dürfen. Erstaunlich nur, dass er, der das Hohe Lied der Kurzgeschichte singt, nicht, wie andere seit Jahren immer wieder, gegen die angebliche Flut nichtssagender Kurzgeschichten-Anthologien austeilt.

Dirk Alts Rückblick auf »18 Jahre Nova – 18 Jahre Weltgeschichte« (und Michel K. Iwoleits Ankündigung, dass Alt Mitherausgeber von Nova werden soll) haben in Teilen der deutschen SF-Szene für Verwerfungen gesorgt und eine hitzige Debatte ausgelöst. In einem Post im Forum des SF-Netzwerks warf Norbert Stöbe Alt unter anderem »Perspektivverengung, selektive[r] Ausblendung und Umdeutung« und die Verwendung von Narrativen der extremen Rechten vor. Alt hatte unter anderen Ex-US-Präsident Donald Trump, der »in den westlichen Mainstreammedien permanent gescholten, geschmäht und dämonisiert wird«, für »eine ganze Reihe Friedensinitiativen« (S. 240) gelobt. Zugleich wies Stöbe darauf hin, dass Alt »in dem vom aktenkundigen Neonazi Kubitschek redaktionell betreuten ultrarechten Propagandaorgan Sezession publiziert«. Als Folge der daraus entstandenen Diskussion hat Alt die Nova-Redaktion verlassen, und Nova-Mitherausgeber und -Verleger Michael Haitel hat sein jahrzehntelanges ehrenamtliches Engagement im Science-Fiction-Club Deutschland eingestellt.

Das Ganze wäre vielleicht nicht so eskaliert, wenn Iwoleit nicht in seiner direkten Antwort auf Stöbes Post von »Massenmörder Obama« geschrieben, Kanzlerin Merkel eine »rücksichtslos opportunistische, verfassungsfeindliche Gesinnung« vorgeworfen und behauptet hätte, dass die demokratische US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton »spätestens sechs Monate nach Amtsantritt einen Weltkrieg vom Zaun gebrochen hätte«.

Die Diskussion kann hier verfolgt werden, allerdings hat Iwoleit das Forum verlassen und »von seinem Recht, die Löschung [seiner Beiträge] zu verlangen, Gebrauch gemacht«, heißt es dort.

Covermotiv (wie) aus den 70ern

Das Nova-30-Titelbild ist von Helmut Wenske. Älteren Progrock-Fans, denen der Stil irgendwie bekannt vorkommt, täuschen sich nicht. Wenske war Grafiker der Plattenfirma Bellaphon und hat in den 70er Jahren unter anderem Cover für die in Hamburg gegründete britische Band Nektar entworfen. Leider wird Wenkse in den »Vitae«-Auflistung am Ende des Bandes unterschlagen.

Fazit: Insgesamt der gewohnt starke Nova-Auftritt. Sprachlich und stilistisch gibt es nichts auszusetzen, da vergebe ich eine glatte »1«. Dass mir nicht alle Storys durchweg als perfekt erscheinen, liegt in der Natur der Sache. Sagte bzw. schrieb doch schon Damon Knight, vermutlich der SF-Kurzgeschichtenexperte schlechthin: »The words on paper are only instructions used by each reader to create a story.« Allerdings wird Nova 30 trotz aller guten Storys wohl vor allem wegen des Falls Alt in Erinnerung bleiben.

Ab der kommenden Ausgabe, die für den Herbst angekündigt wurde, trägt Nova den Untertitel »Magazin für spekulative Literatur«. Auf das Titelbild gibt es eine Vorschau.

Science-Fiction-Autor auf stählernen Abwegen

Schriftsteller George R. R. Martin hat in Santa Fe eine Eisenbahnstrecke gekauft. Mit SF wie Science-Fiction hat das nichts zu tun, auch wenn es um die SFSR geht.

1879 erreichte die Eisenbahn den kleinen Ort Lamy in Neumexiko. Das Gemälde von Willard Andrews ist aus der Mitte des 20. Jahrhunderts.

Science-Fiction und Eisenbahnromantik, passt das zusammen? Schon für Jules Verne, unbestritten der Pionier der technisch orientierten SF, gehörten Dampfloks und Zugfahrten zum Alltag und hatten nichts Phantastisches an sich. Die Beziehung zwischen SF und Eisenbahn besteht vielmehr auf der persönlichen Ebene. Ich kenne in der SF-Szene einige, die sich für große und kleine Loks begeistern können, mich eingeschlossen. Prominentester Fan dieser Sorte dürfte George R. R. Martin sein.

Martin, der mit »A Song of Ice and Fire« die Vorlage für die weltweit erfolgreiche Fernsehserie »Game of Thrones« schrieb, hat im Sommer 2020 zusammen mit zwei Partnern eine ganze Eisenbahnlinie gekauft – die Santa Fe Southern Railroad (SFSR). Ihr Ziel: Den 2012 zwischen Santa Fe, der Hauptstadt des US-Bundesstaats New Mexico, und der Ortschaft Lamy  eingestellten Zugverkehr zu reaktivieren und vor allem Erlebnistouren anzubieten.

Bis es soweit ist, müssen die neuen Eigentümer noch eine Menge Geld ausgeben. Dazu gibt es ein schönes Video auf der Homepage von George R. R. Martin. Fernseh-Junkies könnten die SFSR kennen. In der 51. Folge »Tödliche Fracht« der Serie »Breaking Bad« überfällt Walter White mit seinen Leuten einen Zug der Linie, um an eine Chemikalie zur Drogenherstellung zu kommen.

Als die Eisenbahn nach Neumexiko kam

Die Tatsache, dass Martin jetzt Eisenbahner ist, wäre an mir Eisenbahnerkind wohl vorbeigegangen, wenn ich nicht wegen eines Fotos recherchiert hätte, das mir vor ein paar Tagen in die Hände gefallen ist. Ich habe es 2013 in Santa Fe gemacht. Es ist die Aufnahme eines  Gemäldes von Willard Andrews (1899-1989), einem Historien- und Landschaftsmaler. Das Bild ist als »The Coming Of The Railway« bekannt und soll die Ankunft des ersten Zuges der Atchison, Topeka & Santa Fe Railroad in Lamy zeigen. Das war 1879. Das Gemälde selbst stammt aus den 1950er Jahren und ist im Parlamentsgebäude in Santa Fe ausgestellt.

Bisher ist es mir nicht gelungen, die Lok zu identifizieren. Dazu ist zu wenig zu erkennen. Sie ist eine »American Type«-Lok mit dem charakteristischen großen, trichterförmigen Schornstein und dem Kuhfänger, wie man sie etwa aus dem Film »The General« mit Buster Keaton aus dem Jahr 1926 kennt. Dieser Lok-Typ wurde von mehreren Firmen gebaut und speziell für die jeweilige Eisenbahngesellschaft ausgestattet.

Ein Gemälde des Bahnhofs von Santa Fe hing dort in meinem Hotelzimmer.

Santa Fe – ein Sehnsuchtsort

Santa Fe war für mich eine Art Sehnsuchtsort. Als Zwölf-, 13-Jähriger habe ich im Fernsehen die Westernserie »Westlich von Santa Fe« (Originaltitel »The Rifleman«) geschaut. Auch in anderen Western kam die Stadt vor, denn dort endete eine wichtige inneramerikanische Handelsroute, der Santa Fe Trail.

Am meistern aber war ich von den gelb-rot-silbernen amerikanischen Dieselloks, die mit etwas Glück zu Weihnachten auf der Modellbahnanlage im Spielwarenladen ihre Runden drehten, fasziniert. Die Züge sahen so ganz anders aus, als das, was auf unseren Schienen fuhr. Ganz groß prangte auf der Stirnseite mit den beiden bulligen Scheinwerfern der Name »Santa Fe«. Aus dem Märklin-Katalog erfuhr ich, dass die Loks für die Bahngesellschaft AT&SF – Atchison, Topeka & Santa Fe Railroad – fuhren. Leisten konnte ich sie mir damals von meinem Taschengeld nicht. Das reichte gerade mal für Science-Fiction-Hefte.

Die charakteristische Farbgestaltung der Santa-Fe-Loks wird „Kriegsbemalung“ (warbonnet) genannt. Foto: Roger Puta/gemeinfrei

Viele Jahre habe ich nicht mehr an Santa Fe und die AT&SF gedacht, bis ich 2013 die Gelegenheit hatte, die Stadt zu besuchen. Vielleicht, war meine Hoffnung, würde ich dort auf eine Spur der bulligen Loks (Es handelt sich um die zwischen 1949 und 1953 gebaute F7 der General Motors Electro-Motive Division) stoßen. Schon die erste Internet-Recherche sorgte für Enttäuschung: Diese Loks und die Fernzüge der AT&SF sind nie nach Santa Fe gefahren. Die transkontinentale  Strecke, die Kansas mit dem wilden Westen verbinden sollte, wurde wegen der schwierigen Geländeverhältnisse südlich an der Stadt vorbei nach Albuquerque und weiter in Richtung Pazifikküste geführt.

Die AT&SF baute 1880 lediglich eine knapp 30 Kilometer lange, von der Stadt Santa Fe bezahlte kurvenreiche Nebenstrecke, die am kleinen Bahnhof Lamy abzweigt. Sie wurde 1992 von der Santa Fe Southern Railroad übernommen, die dort 20 Jahre lang vor allem Güter transportierte und touristische Fahrten anbot. Eine weiter westlich verlaufende Strecke verbindet Santa Fe seit 2006 mit Albuquerque, der größten Stadt Neumexikos. Endstation ist Belen. Dort verkehrt der New Mexican Rail Runner Express, ein Nahverkehrszug. Der nördliche Teil der Strecke wurde dafür neu gebaut. Beide Strecken sind einspurig und wie die meisten in den USA nicht elektrifiziert.

Diesellok-Parade am Bahnhof Santa Fe:  Die EMD GP 15 der Santa Fe Southerrn Railway steht neben zwei Motive Power 36PH-3C-Loks des New Mexico Road Runner.

Eine Anekdote über den Bahnhof Lamy vermittelt zumindest ein bisschen Science-Fiction-Flair. Als die Wissenschaftler, die während des Zweiten Weltkriegs an der Entwicklung der US-Atombombe im »Manhattan Project« beteiligt waren, mit ihren Familien aus dem ganzen Land mit dem Zug nach Neumexiko kamen, mussten sie in Lamy »in the middle of nowhere« aussteigen. Von dort wurden sie zuerst nach Santa Fe und dann an ihre Arbeitsplätze im National Laboratory in Los Alamos, eine gute Autostunde von Santa Fe entfernt, gebracht.

Ein unscheinbarer Bahnhof und ein Kino

Der Kopfbahnhof von Santa Fe, immerhin die Hauptstadt eines US-Bundesstaats, ist seiner früheren und heutigen Bedeutung entsprechend enttäuschend klein. Er hat nur einen Bahnsteig und insgesamt vier kurze Gleise. Dort kann man nicht nur die modernen Doppelstockzüge des Rail Runners, gezogen von  Motive Power 36PH-3C-Loks, sehen, sondern auch die seinerzeit einzige fahrbereite Lok der Santa Fe Southern Railroad. Es handelt sich dabei um eine EMD GP 15 der General Motors Electro-Motive Division, die in den 1980er Jahren gebaut wurde. Inzwischen ist eine zweite Lok dieses Typs mit einem neuen Motor ausgestattet worden, meldete George R. R. Martin in seinem Blog. Auch ein paar historisch anmutende Personenwagen der Linie stehen dort herum – und tatsächlich einer der Aussichtswagen der AT&SF-Fernzüge aus Aluminium, auf dem die Aufschrift »Santa Fe« prangt.

Der Bahnhof von Santa Fe hat nur einen Bahnsteig.

Gleich hinterm Bahnhof liegt das Jean Cocteau Cinema. Das kleine Kino war zu der Zeit, als ich in Santa Fe war, gerade von Martin gekauft worden. An das Gebäude kann ich mich wegen einer mit blauen Glasplättchen umhüllten Säule am Eingang gut erinnern; das Kino war damals geschlossenen. Leider habe ich davon  kein Foto gemacht. Dort gibt es inzwischen einen Phantastik-Buchladen, in dem unter anderem ein Modell der schwebenden Kampfmaschinen aus dem Film »The War of the Worlds« von 1953 von der Decke hängt. Zumindest bei George R. R. Martin gehören Science-Fiction und Eisenbahn zusammen.