Schriftsteller George R. R. Martin hat in Santa Fe eine Eisenbahnstrecke gekauft. Mit SF wie Science-Fiction hat das nichts zu tun, auch wenn es um die SFSR geht.
Science-Fiction und Eisenbahnromantik, passt das zusammen? Schon für Jules Verne, unbestritten der Pionier der technisch orientierten SF, gehörten Dampfloks und Zugfahrten zum Alltag und hatten nichts Phantastisches an sich. Die Beziehung zwischen SF und Eisenbahn besteht vielmehr auf der persönlichen Ebene. Ich kenne in der SF-Szene einige, die sich für große und kleine Loks begeistern können, mich eingeschlossen. Prominentester Fan dieser Sorte dürfte George R. R. Martin sein.
Martin, der mit »A Song of Ice and Fire« die Vorlage für die weltweit erfolgreiche Fernsehserie »Game of Thrones« schrieb, hat im Sommer 2020 zusammen mit zwei Partnern eine ganze Eisenbahnlinie gekauft – die Santa Fe Southern Railroad (SFSR). Ihr Ziel: Den 2012 zwischen Santa Fe, der Hauptstadt des US-Bundesstaats New Mexico, und der Ortschaft Lamy eingestellten Zugverkehr zu reaktivieren und vor allem Erlebnistouren anzubieten.
Bis es soweit ist, müssen die neuen Eigentümer noch eine Menge Geld ausgeben. Dazu gibt es ein schönes Video auf der Homepage von George R. R. Martin. Fernseh-Junkies könnten die SFSR kennen. In der 51. Folge »Tödliche Fracht« der Serie »Breaking Bad« überfällt Walter White mit seinen Leuten einen Zug der Linie, um an eine Chemikalie zur Drogenherstellung zu kommen.
Als die Eisenbahn nach Neumexiko kam
Die Tatsache, dass Martin jetzt Eisenbahner ist, wäre an mir Eisenbahnerkind wohl vorbeigegangen, wenn ich nicht wegen eines Fotos recherchiert hätte, das mir vor ein paar Tagen in die Hände gefallen ist. Ich habe es 2013 in Santa Fe gemacht. Es ist die Aufnahme eines Gemäldes von Willard Andrews (1899-1989), einem Historien- und Landschaftsmaler. Das Bild ist als »The Coming Of The Railway« bekannt und soll die Ankunft des ersten Zuges der Atchison, Topeka & Santa Fe Railroad in Lamy zeigen. Das war 1879. Das Gemälde selbst stammt aus den 1950er Jahren und ist im Parlamentsgebäude in Santa Fe ausgestellt.
Bisher ist es mir nicht gelungen, die Lok zu identifizieren. Dazu ist zu wenig zu erkennen. Sie ist eine »American Type«-Lok mit dem charakteristischen großen, trichterförmigen Schornstein und dem Kuhfänger, wie man sie etwa aus dem Film »The General« mit Buster Keaton aus dem Jahr 1926 kennt. Dieser Lok-Typ wurde von mehreren Firmen gebaut und speziell für die jeweilige Eisenbahngesellschaft ausgestattet.
Santa Fe – ein Sehnsuchtsort
Santa Fe war für mich eine Art Sehnsuchtsort. Als Zwölf-, 13-Jähriger habe ich im Fernsehen die Westernserie »Westlich von Santa Fe« (Originaltitel »The Rifleman«) geschaut. Auch in anderen Western kam die Stadt vor, denn dort endete eine wichtige inneramerikanische Handelsroute, der Santa Fe Trail.
Am meistern aber war ich von den gelb-rot-silbernen amerikanischen Dieselloks, die mit etwas Glück zu Weihnachten auf der Modellbahnanlage im Spielwarenladen ihre Runden drehten, fasziniert. Die Züge sahen so ganz anders aus, als das, was auf unseren Schienen fuhr. Ganz groß prangte auf der Stirnseite mit den beiden bulligen Scheinwerfern der Name »Santa Fe«. Aus dem Märklin-Katalog erfuhr ich, dass die Loks für die Bahngesellschaft AT&SF – Atchison, Topeka & Santa Fe Railroad – fuhren. Leisten konnte ich sie mir damals von meinem Taschengeld nicht. Das reichte gerade mal für Science-Fiction-Hefte.
Viele Jahre habe ich nicht mehr an Santa Fe und die AT&SF gedacht, bis ich 2013 die Gelegenheit hatte, die Stadt zu besuchen. Vielleicht, war meine Hoffnung, würde ich dort auf eine Spur der bulligen Loks (Es handelt sich um die zwischen 1949 und 1953 gebaute F7 der General Motors Electro-Motive Division) stoßen. Schon die erste Internet-Recherche sorgte für Enttäuschung: Diese Loks und die Fernzüge der AT&SF sind nie nach Santa Fe gefahren. Die transkontinentale Strecke, die Kansas mit dem wilden Westen verbinden sollte, wurde wegen der schwierigen Geländeverhältnisse südlich an der Stadt vorbei nach Albuquerque und weiter in Richtung Pazifikküste geführt.
Die AT&SF baute 1880 lediglich eine knapp 30 Kilometer lange, von der Stadt Santa Fe bezahlte kurvenreiche Nebenstrecke, die am kleinen Bahnhof Lamy abzweigt. Sie wurde 1992 von der Santa Fe Southern Railroad übernommen, die dort 20 Jahre lang vor allem Güter transportierte und touristische Fahrten anbot. Eine weiter westlich verlaufende Strecke verbindet Santa Fe seit 2006 mit Albuquerque, der größten Stadt Neumexikos. Endstation ist Belen. Dort verkehrt der New Mexican Rail Runner Express, ein Nahverkehrszug. Der nördliche Teil der Strecke wurde dafür neu gebaut. Beide Strecken sind einspurig und wie die meisten in den USA nicht elektrifiziert.
Eine Anekdote über den Bahnhof Lamy vermittelt zumindest ein bisschen Science-Fiction-Flair. Als die Wissenschaftler, die während des Zweiten Weltkriegs an der Entwicklung der US-Atombombe im »Manhattan Project« beteiligt waren, mit ihren Familien aus dem ganzen Land mit dem Zug nach Neumexiko kamen, mussten sie in Lamy »in the middle of nowhere« aussteigen. Von dort wurden sie zuerst nach Santa Fe und dann an ihre Arbeitsplätze im National Laboratory in Los Alamos, eine gute Autostunde von Santa Fe entfernt, gebracht.
Ein unscheinbarer Bahnhof und ein Kino
Der Kopfbahnhof von Santa Fe, immerhin die Hauptstadt eines US-Bundesstaats, ist seiner früheren und heutigen Bedeutung entsprechend enttäuschend klein. Er hat nur einen Bahnsteig und insgesamt vier kurze Gleise. Dort kann man nicht nur die modernen Doppelstockzüge des Rail Runners, gezogen von Motive Power 36PH-3C-Loks, sehen, sondern auch die seinerzeit einzige fahrbereite Lok der Santa Fe Southern Railroad. Es handelt sich dabei um eine EMD GP 15 der General Motors Electro-Motive Division, die in den 1980er Jahren gebaut wurde. Inzwischen ist eine zweite Lok dieses Typs mit einem neuen Motor ausgestattet worden, meldete George R. R. Martin in seinem Blog. Auch ein paar historisch anmutende Personenwagen der Linie stehen dort herum – und tatsächlich einer der Aussichtswagen der AT&SF-Fernzüge aus Aluminium, auf dem die Aufschrift »Santa Fe« prangt.
Gleich hinterm Bahnhof liegt das Jean Cocteau Cinema. Das kleine Kino war zu der Zeit, als ich in Santa Fe war, gerade von Martin gekauft worden. An das Gebäude kann ich mich wegen einer mit blauen Glasplättchen umhüllten Säule am Eingang gut erinnern; das Kino war damals geschlossenen. Leider habe ich davon kein Foto gemacht. Dort gibt es inzwischen einen Phantastik-Buchladen, in dem unter anderem ein Modell der schwebenden Kampfmaschinen aus dem Film »The War of the Worlds« von 1953 von der Decke hängt. Zumindest bei George R. R. Martin gehören Science-Fiction und Eisenbahn zusammen.