Das Ost-Fandom ist anders

Im November trafen sich Science-Fiction-Fans in gemütlicher Runde in Dresden. Ein – etwas verspäteter – Nachruf auf den Pentacon.

Ralf P. Krämer (rechts) gehörte Ende der 1960er Jahren zu den »Vätern« des Science-Fiction-Fandoms in der DDR. Hier lauscht er Axel Kruse (Essen-Kettwig) bei dessen Lesung.

Die deutsche Science-Fiction-Szene ist um eine Perle ärmer. Am ersten Novemberwochenende 2021 war das Palitzsch-Museum in Dresden zum letzten Mal Treffpunkt zum Pentacon, der Convention des örtlichen SF-Klubs TERRAsse. Klub-Chef Ralf P. Krämer, genannt RPK, hatte das Ende bereits vor zwei Jahren angekündigt. Er ist nicht mehr der Jüngste, und vor allem seine Familie konnte die Arbeit nicht mehr stemmen. Denn der Pentacon war praktisch ein Familienbetrieb: Während sich RPK um den Programmablauf kümmerte, sorgte seine Frau Bärbel, unterstützt von weiteren Familienmitgliedern, von morgens bis spät abends für die Bewirtung der durstigen und hungrigen Gäste. Legendär war die dort servierte Soljanka.

Der Pentacon und das Engagement RPKs fußen auf einer langen Tradition im SF-Fandom der DDR. Krämer, damals Physik-Student an der Technischen Universität Dresden, war 1969 einer der Gründer der Interessengemeinschaft wissenschaftlich-phantastische Literatur, die ab 1970 Stanislaw-Lem-Klub hieß. Der SLK war anfangs politisch wohlgelitten (Krämer wurde 1970 sogar in die Stadtverordnetenversammlung gewählt), aber das änderte sich 1972. Eines der SLK-Mitglieder, Krämers Kommilitone Rolf Krohn, hatte sich den Zorn einer Parteisekretärin zugezogen. Bei ihrem erfolgreichen Versuch, Krohn von der Uni zu schmeißen, bekam auch Krämer Probleme. Der Disziplinarausschuss der TU warf ihm vor, er habe es zugelassen, dass es im SLK »zu schweren politisch-ideologischen Fehlern« kam. Man unterstellte dem Klub und seinen Mitgliedern »sowjetfeindliche Auffassungen«, und dass dort »feindliche Ideologie« in Form von westlicher Literatur verbreitet wurde. RPK bekam als SED-Mitglied eine Rüge der Parteileitung. Damit war seine Hochschulkarriere zu Ende. In der Folge dieser Affäre wurde der Stanislaw-Lem-Club praktisch liquidiert und dümpelte noch einige Jahre vor sich hin.

Zu jedem Pentacon gibt es ein individuell gestaltetes Badge sowie ein Begleitheft mit Storys und Aufsätzen.

Con-Tradition seit 1996

Nach der Wende wurden das SF-Fandom in Dresden wiederbelebt und 1994 der SF-Club TERRAsse gegründet, erst unter dem Dach der Urania – Gesellschaft zur Vermittlung wissenschaftlicher Kenntnisse und nach deren Ende 2015 als Abteilung der Palitzsch-Gesellschaft, einem soziokulturellen Verein mit Schwerpunkt Astronomie. 1996 veranstaltete die TERRAsse den ersten Pentacon, damals im sogenannten Pentacon-Gebäude, Sitz des gleichnamigen Kameraherstellers. Daher der Name des Fan-Treffens, das ihn nach dem Umzug ins Palitzsch-Museum beibehielt.

Neben dem Elstercon in Leipzig, der im Herbst 2022 wieder veranstaltet werden soll, war der Pentacon die einzige langjährige Convention in den neuen Bundesländern. Der Bezug zur DDR-SF war offensichtlich. Dauer-Ehrengästen waren das Berliner Schriftsteller-Ehepaar Angela und Karlheinz Steinmüller sowie der Autor und Herausgeber Erik Simon aus Dresden; alle drei gehörten in der DDR zur Crème de la Crème des SF-Literaturbetriebs. Simon war unter anderem SF-Lektor des Belletristikverlags Das Neue Berlin und einst Mitglied im SLK. Der DDR-Bezug spiegelte sich im Programm wider. Beim Pentacon 2019 hielt Karlheinz Steinmüller beispielsweise einen Vortrag mit dem Titel »Und ewig grüßt der Generalsekretär. Wie die DDR zur Alternativgeschichte wurde«.

In diesem Jahr war das Programm westlicher. Unter anderem stellte Hans Frey sein Buch »Optimismus und Overkill«, den dritten Teil seiner Literaturgeschichte der deutschen SF, vor. Darin geht es um die westdeutsche SF in den ersten Nachkriegsjahrzehnten. Im nächsten Band, der nicht vor 2023 erscheinen wird, wird Frey die DDR-SF behandeln. Karlheinz Steinmüller sprach über SF und Humor, wozu die DDR nicht so viel beizutragen hatte. Einige Lesungen, ein Vortrag über »Frauen und SF« von Theresa Hannig (den sie auch bei »Hinterm Mond« in Leer gehalten hatte) und die Verleihung sowohl des Deutschen Science-Ficton-Preises als auch des Kurd-Laßwitz-Preises rundeten die Veranstaltung ab.

West-Ost-Geplauder über Generationengrenzen hinweg: Theresa Hannig (links) unterhält sich mit Angela und Karlheinz Steinmüller.

Man kam in Dresden wie in Leipzig immer leicht mit langjährigen ostdeutschen SF-Fans ins Gespräch. Mein selbstverständlich rein subjektiver Eindruck ist, dass das ostdeutsche Fandom sich deutlich vom West-Fandom unterscheidet. Es ist viel stärker in seiner eigenen Tradition verwurzelt, die von ganz anderen Verhältnissen und Erfahrungen bestimmt war als das West-Fandom. Viele heutige Aktive wie RPK, Erik Simon, die Steinmüllers, Wolfgang Both (Berlin), Hardy Kettliz (Berlin) oder Thomas Braatz (Leipzig) haben sich schon in den DDR engagiert und setzen diese Tradition fort. Schade, dass es jetzt etwas ruhiger wird.

Eine Bildergalerie

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Ein Griff in die SF-Mottenkiste

Die wiederbelebte TERRA-Romanreihe soll im Blitz-Verlag im Mai starten – mit einem Roman aus dem Jahr 1952. Drei Titel wurden für dieses Jahr angekündigt.

Das sollen die ersten drei Titel in der Reihe »TERRA Science Fiction« des Blitz-Verlags sein.

Vor Kurzem hat der Blitz-Verlag eine Vorschau auf seine geplante Wiederbelebung der Reihe »Terra Science Fiction« bekanntgegeben. Es soll im Mai mit »Dunkles Schicksal« von Dwight V. Swain losgehen, im November sollen »Die Stadt am Ende der Welt« von SF-Altmeister Ronald M. Hahn und »Die Wächter des Alls« von Peter Dubina folgen. Ursprünglich war der Serienstart mit Hahns Roman für November 2021 angekündigt worden.

Im vergangenen Jahr habe ich in meinem Blog unter dem Titel TERRA kehrt zurück ins Bücherregal über das Projekt berichtet. Seinerzeit hatte Verleger Jörg Kaegelmann davon gesprochen, in der Reihe sollten neue Werke deutscher Autoren erscheinen, und er sei auf der Suche nach guten Texten. Wörtlich heißt es in einem Facebook-Post: »Wir legen hier keine Nachdrucke neu auf.« Daraus ist wohl nichts geworden. Stattdessen greift er in die Mottenkiste der SF. Abgesehen von Hahns Roman handelt es sich bei den anderen beiden Romanen um olle Kamellen: »Dunkles Schicksal« («Dark Destiny«) ist von 1952, »Die Wächter des Alls« von 1960.

Dwight V. Swain (1915-1992) war ein amerikanischer Schriftsteller, der vor allem in den 1940er und 1950er Jahren SF-, Western- und Abenteuer-Romane für diverse Magazine schrieb. Drei davon erschienen auch auf Deutsch – übersetzt von Ronald M. Hahn. »Dark Destiny« ist in den USA gemeinfrei; man bekommt den Roman kostenlos beim Project Gutenberg. Übersetzt hat ihn nach Verlagsangaben Alfons Winkelmann.

Innenillustration zur Originalausgabe von »Dark Destiny« in der Ausgabe März 1952 von Imagination. Stories of Science and Fantasy. Der Künstler ist unbekannt.

Peter Dubina (1940-1990) war ein ebenso vielseitiger wie produktiver Autor von Leihbüchern und Heftromanen. Seine Western als G. F. Barner gehören noch immer zum Programm des Kelter-Verlags. »Wächter des Alls« erschien 1960 unter dem Verlagspseudonym Wayne Coover als Leihbuch bei der Dörnersche Verlagsgesellschaft. Wiederveröffentlicht wurde der Roman 1981 in der W.-D.-Rohr-Reihe »Utopia Bestseller aus Raum und Zeit« im Erich Pabel-Verlag Rastatt und 2015 bei BookRix München.

Ronald M. Hahn (Jahrgang 1948) ist eine feste Größe in der deutschen SF. Er wirkt seit Jahrzehnten als Autor (unter eigenem Namen und zahlreichen Pseudonymen), Herausgeber und meinungsfreudiger Kritiker und kann auf eine beeindruckend lange Liste von Veröffentlichungen zurückblicken.

Zu allen drei Titeln gibt es auf der Verlagsseite kurze Inhaltsangaben, und Band 1 ist bereits vorbestellbar. Auch ein Abo kann man abschließen. Die Titelbilder und Innenillustrationen sind von Rudolf Sieber-Lonati. Der Österreicher war neben Johnny Bruck der produktivste Titelbildmaler für Heftromane aller Genres.

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Hilfe, Außerirdische an jeder Ecke

»Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten…« ist ein schönes Buch. Als Buch. Der Inhalt ist etwas für Ufo-Gläubige.

Arthur M. Lahn: Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten und bisher nicht zu fragen wagten. Golkonda-Verlag, München 2021. 256 Seiten. ISBN 978-3-96509-045-3. 24 Euro. Gibt’s auch als E-Book.

Der Golkonda-Verlag hat sich in der Vergangenheit einen Namen mit anspruchsvoller Science-Fiction-Literatur gemacht. Unter anderem brachte er die Kurzgeschichten von Ted Chiang und die Rosewater-Romane von Tade Thompson auf Deutsch heraus und sorgte für eine ansehnliche Captain-Future-Gesamtausgabe. Jetzt kam das in München ansässige Haus mit einem Sachbuch auf den Markt: »Was Sie schon immer über Aliens wissen wollten und bisher nicht zu fragen wagten« von Arthur M. Lahn.

Zuerst das unzweifelhaft Positive dieses Sachbuchs: Es überzeugt mit seiner Ausstattung. Das Hardcover liegt gut in der Hand,  der Text ist typografisch schön umgesetzt, und Romina Birzer hat mit ihren Illustrationen Akzente gesetzt. Mit der Farbe Rot, in der einem schon das Wort ALIENS vom Titelbild ins Auge springt, wird nicht gespart (allerdings ist das Vorwort mit weißer Schrift auf rotem Grund gewöhnungsbedürftig). 

Das war’s aber schon mit dem unbestritten Positiven. Schon im Vorwort wird nämlich deutlich, dass es auf den folgenden etwa 240 Seiten bei der Beantwortung von 30 Fragen, die wir »nicht zu stellen wagten« nicht wirklich »offen und vorurteilsfrei« um ein »wichtige[s] Zukunftsthema« geht, wie es die Verlagswerbung suggeriert. Denn der Autor ist nicht nur fest davon überzeugt, dass es Ufos gibt, sondern auch, dass wir nicht mehr lange warten müssen, bis die Wahrheit enthüllt wird: »Langsam tut sich etwas. Der Alien-Komplex wird immer stärker hinterfragt. Fast überall auf der Welt.« Ähnlich enthusiastisch bewertet Lahn die Aussagen von Haim Eshed, dem ehemaligen Chef der israelischen Weltraumsicherheit, der 2020 in einem Interview der Tageszeitung »Yedioth Ahronoth« davon sprach, dass es schon lange ein Geheimabkommen zwischen der US-Regierung und einer Galaktischen Föderation gebe. Für Lahn ist das »nur ein weiterer Höhepunkt eines anschwellenden Klangs, der gefüllt ist mit immer mehr Tönen über eine mögliche außerirdische Präsenz auf der Erde«. »Offen und vorurteilsfrei« versucht er, in jedem Unsinn ein Körnchen Wahrheit zu finden.

Durchatmen statt nachfragen

Dass dem Autor die Distanz zu seinem Thema fehlt, wird an vielen Stellen offensichtlich. Da erzählt der frühere kanadische Verteidigungs- und Verkehrsminister Paul Hellyer dem Autor, er habe in seinem Büro Besuch von zwei unsichtbaren Außerirdischen gehabt, die zum Schluss ihre Hände auf seinen Kopf legten und ihn segneten. »Ich konnte förmlich den Druck ihrer Hände spüren«, steht da. Kritische Nachfrage? Fehlanzeige. Derselbe Ex-Minister behauptet, dass Deutsche und Amerikaner in der Antarktis Ufos bauen und auf dem Mars einen Stützpunkt haben. Wie reagiert Lahn auf solche »Tatsachen«? Er schreibt: »Erst einmal durchatmen.« Das passe ja überhaupt nicht zusammen »mit dem, was in den Geschichtsbüchern steht«. Wenn es ein Ex-Minister behauptet, muss doch etwas dran sein. Dabei hat Hellyer, Jahrgang 1923, in dem Interview gesagt, dass er sich während seiner Amtszeit gar nicht mit dem Thema beschäftigt habe, erst seit 2005. Minister war er von 1963 bis 1969. Ein schöner Gewährsmann.

Überhaupt hat der Autor einen Deutschland-Komplex. Schon im Vorwort wundert er sich darüber, dass die deutschen Politiker und Medien sich nur wenig um den aktuellen Ufo-Hype in den USA kümmern (dort hatte der Geheimdienst im vergangenen Jahr einen Bericht über Ufo-Sichtungen abgegeben, und kürzlich beschloss der Kongress auf Betreiben ufogläubiger Politiker, viel Geld für ein Ufo-Untersuchungsbüro auszugeben). Er widmet der Frage ein ganzes Kapitel – bietet aber keine Antwort, sondern er landet schnell bei den sogenannten Reichsflugscheiben der Nazis und deren geheimen Stützpunkte in der Antarktis.

Das Buch enthält – angefangen mit dem sogenannten Roswell-Vorfall von 1947 – eine Fülle von Geschichten über angebliche Ufo-Sichtungen, Entführungen, unerklärliche Phänomene und wilde Verschwörungstheorien. Eine der Fragen, die wir angeblich nicht zu stellen wagten, lautet: »Wollten John F. Kennedy und Marilyn Monroe das UFO-Geheimnis lüften?« (und kamen deshalb ums Leben?), eine andere – »Ist der Kunstbetrieb Teil eines offiziellen Alien-Narrativs?« – dreht sich um die Vermutung, dass in Science-Fiction-Filmen von der US-Regierung oder gar den Außerirdischen selbst geheime Informationen lanciert werden. Erich von Däniken, der seit mehr als 50 Jahren mit der Geschichte von prähistorischen Alien-Besuchen hausieren geht, kommt ausführlich zu Wort, und selbst dem Löffelverbieger Uri Geller, der sich als Freund des Autors bezeichnet, wird in Form eines Nachworts Platz eingeräumt. Was sie und andere zu berichten haben, hat man in der einen oder anderen Form schon hundertfach gelesen, gesehen und gehört. Durch ständige Wiederholung wird es nicht besser. Gegenstimmen kommen nicht zu Wort.

Keine Treffer bei Google

Über den Autor gibt es keine konkrete Information, bei Arthur M. Lahn handelt sich vielleicht um ein nur für dieses Buch gewähltes  Pseudonym (eine Google-Suche bringt außer dem Buch keinen Treffer, das will schon was heißen). In Golkondas Werbetext steht, er sei Rheinländer, lebe in einer Großstadt und interessiere sich für die große Menschheitsfrage, ob der Lauf des Lebens auf der Erde von außerirdischen Zivilisationen beeinflusst worden sein könnte, seit er im Bücherregal seiner Großeltern Erich von Dänikens »Erinnerungen an die Zukunft« entdeckte. 

Wegen des Titels, der auf den Film »Was Sie schon immer über Sex wissen wollten…« von Woody Allen anspielt, hatte ich mit einem ironischen oder sarkastischen Unterton gerechnet. Davon findet sich keine Spur. Alles ist ernstgemeint. Wer überzeugt ist, dass die Aliens längst unter uns sind, wird an dem Buch seine Freude haben. Alle anderen dürfen mit mir zusammen den Kopf schütteln und sich fragen, was man sich bei Golkonda dabei gedacht hat.

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