Sie bewundern einen Stern

Der Teppich von Bayeux ist ein fantastisches Werk spätmittelalterlichen Kunsthandwerks. Er erzählt in gestickten Bildern von einem historischen Ereignisse.

1066 war der Halleysche Komet zu sehen. Die Darstellung auf dem Teppich von Bayeux ist die älteste bekannte Abbildung des Kometen.

Der Teppich von Bayeux ist ein Meisterwerk des spätmittelalterlichen Kunsthandwerks. Auf einer Länge von fast 70 Metern erzählt er in einer grandiosen Bildergeschichte von der Eroberung Englands durch die Normannen im Jahr 1066. Diese spektakuläre Sehenswürdigkeit war ein Grund für die Auswahl unseres diesjährigen Urlaubs.

Der Teppich ist allerdings kein Teppich, denn er wurde nicht geknüpft oder gewebt, sondern es ist eine Stickerei auf einem Leinentuch. Was für eine Arbeit! Auch von Eroberung kann eigentlich nicht die Rede sein. Mit dem Sieg des Normannenherzogs Wilhelm über den Angelsachsen Harold Godwinson, den Earl of Wessex, am 14. Oktober 1066 in der Schlacht bei Hastings endete der Streit über die englische Thronfolge und begann die endgültige Normannisierung Englands, die bereits unter King Edward begonnen hatte. Wilhelm legte sich den Beinamen »der Eroberer« zu, die unterlegenen Angelsachsen nannten ihn »William the Bastard«.

Die Ereignisse in den Jahren 1064 bis 1066 rund um den Tod des englischen Königs Edward, seinen Schwager und Nachfolger Harold und den Normannenherzog, einem Verwandten Edwards zweiten oder dritten Grades, werden auf dem Teppich wie in einem Ur-Comic in 58 gestickten »Panels« lebendig und mit erstaunlicher Dynamik erzählt. Dank schriftlicher Quellen und der lateinischen Beschriftung ist ziemlich genau bekannt, was und wer dargestellt ist. Ober- und unterhalb dieses Hauptfrieses verlaufen zwei Randborten, die zum Teil dekorativen Charakter haben, zum Teil Bezug zum Hauptfries nehmen oder Alltagsszenen zeigen, bei denen unwahrscheinlich ist, dass ein Zusammenhang mit den dargestellten Ereignissen besteht. Die Abbildungen von Waffen, Trachten, Werkzeugen, Schiffen, Alltagsszenen etc. sind eine wichtige Quelle für Wissenschaftler.

Rakete und Komet

Als jemand, der an Science-Fiction interessiert ist, habe ich bei einem Besuch in Bayeux besonders auf phantastische Elemente geachtet – und in Szene 14 eine Rakete entdeckt! Raumfahrt im Mittelalter, so ein Unsinn, höre ich euch sagen, und natürlich ist das Abgebildete ein Gebäude, dem Text nach zu urteilen, ein Wachturm vor dem Palast von Wilhelm in der normannischen Hauptstadt Rouen. Aber die Ähnlichkeit mit einer Ariane-5-Rakete mit den beiden seitlichen Bustern ist doch nicht zu leugnen.

Das Design ähnelt sich: links ein Turm, rechts die Ariane 5.

Assoziationen ins fantastische Genre weckt auch das Panel 18. Es zeigt den Angriff der Normannen auf die bretonische Stadt Dol. Wir sehen einen Mann, der sich offenbar von einem Gebäude abseilt. Der Text erläutert das Geschehen: ET VENERUNT AD DOL ET CONAN FVGA VERTIT REDNES (und sie kamen nach Dol und Conan floh nach Rennes). Conan II. war von 1040 bis1066 Herzog der Bretagne, aber nicht Namensgeber von Conan dem Barbar, dem von Robert E. Howard 1931 erfundenen Urtyp des »Sword and Sorcery«-Helden. Conan ist ein alter gälischer Männername und bedeutet »kleiner Wolf«.

Nicht meiner Phantasie entsprungen ist dagegen die Darstellung eines Kometen in Bild 32. Mehrere Männer, die gerade noch dem neuen König Harold zugejubelt haben, stehen vor einem Gebäude und zeigen mit den Finger auf einen Stern mit einem gezackten Ende. ISTI MIRANT STELLA lautet die Textzeile, »Sie bewundern einen Stern.« Es handelt sich um den später zu Ehren des britischen Astronomen Edmond Halley (1656–1742) so genannten Halleyschen Kometen. Er ist etwa alle 75 Jahren in Erdnähe und war im Frühjahr 1066 in der Normandie und in England zu sehen. Bevor ihre wahre Natur bekannt wurde, galten Kometen als böses Omen. Die Darstellung auf dem Teppich von Bayeux ist die älteste bekannte Abbildung des Kometen.

Auf den beiden Randborten sind einige Fabelwesen zu finden. In Panel 2 stehen sich zwei geflügelte Zentauren, Mischwesen aus Mensch und Pferd, gegenüber (in der Regel treten Tiere auf den Randborten paarweise auf), in Szene 10 oben sogar eine Zentaurin, erkennbar an den langen Haaren. Auf vielen Panels sind Greife, mystische Mischwesen aus Löwe und Vogel, abgebildet, und im Übergang von Szene 12 und 13 und in Szene 39 feuerspeiende Drachen. Solche Fabelwesen gehören zur Bildwelt des Mittelalters. Man findet sie als sogenannte Konsolfiguren in Kirchen. Der Drache symbolisiert den Teufel. Der Kampf des Erzengels Michael mit dem Drachen (Offb 12,7 EU) ist ein beliebtes Motiv in der religiösen bildenden Kunst.

Jagdszenen und Erotik

Viele Elemente der beiden Randborten stellen Alltagsszenen dar. Man sieht Bauern beim Pflügen, Eggen und bei der Saat (Szene 9), Nutztiere wie Schafe sind abgebildet. In Szene 10 macht ein Landmann Jagd auf Vögel, und in Panel 11 greift ein Ritter mit Schwert und Schild einen an einen Baum gebundenen Bären an.

Dass das Mittelalter alles andere als prüde war – immerhin wurde der Teppich zu besonderen Anlässen in der Kathedrale von Bayeux aufgehängt – zeigen einige erotische Szenen. In Panel 13 ist ein nackter Mann mit erigiertem Penis zu sehen, der beide Arme einer nackten Frau entgegenstreckt. Zwei ähnliche Szene zeigt Panel 48. Welchen Zweck diese Abbildungen hatten, muss offen bleiben. Spekuliert wird unter anderem, dass sie ein Verhalten im Hauptfries abgebildeten Personen kommentieren

Zum Ende der Bildergeschichte, ab Szene 51, ändert sich die Bebilderung des unteren Nebenfries. Dort sind jetzt außer vorrückenden normannischen Bogenschützen durch Lanzen, Pfeile oder Schwerthiebe Gefallene der Schlacht von Hastings zu sehen, zum Teil mit abgeschlagenen Köpfen und Körperteilen. In einigen Fällen werden ihnen die Kettenhemden ausgezogen, und sie bleiben nackt liegen.

Sich selbst ein Bild machen

Datiert wird der Teppich von Bayeux in die späten 1070er Jahre. Auftraggeber war vermutlich Wilhelms Bruder Odo, damals Bischof von Bayeux. Wer mehr über den Teppich wissen will, kann sich bei Wikipedia schlau machen. Das Museum in Bayeux bietet online ein hochauflösendes Digitalisat des Teppichs an, so dass man sich selbst ein Bild machen und die Feinheiten studieren kann.

Begegnet ist uns Wilhelm der Eroberer noch einmal, in Caen. In der von ihm dort gestifteten Klosterkirche Saint-Étienne wurde er 1087 beigesetzt. Das Grab wurde allerdings Mitte des 16. Jahrhunderts durch Calvinisten und später während der Französischen Revolution gestört. Es enthält heute angeblich nur noch einen Beinknochen. Das Grab vor dem Hauptaltar ist durch eine Marmorplatte gekennzeichnet. Sie trägt die lateinischen Inschrift HIC SEPULTUS EST | INVICTISSIMUS | GUILLELMUS | CONQUESTOR | NORMANNIÆ DUX | ET ANGLIÆ REX | HUJUS CE DOMUS | CONDITOR | QUI OBBIT ANNO | MLXXXVII (Hier ist der unbesiegbare Wilhelm begraben, Eroberer, Herzog der Normandie und König von England, der Gründer dieses Hauses. Er starb im Jahr 1087“.

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Ein Heimatroman des Grauens

»Das Gangrän« spielt in Luxemburg. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird in diesem Roman von Maxime Weber unscharf.

Maxime Weber: Das Gangrän. Kremart Edition, Luxemburg. 2021. ISBN 978-2-919781-40-9. 300 Seiten, 18 Euro.

Gangrän – was für ein seltsames Wort. Weil der Roman »Das Gangrän« des Luxemburgers Maxime Weber in Luxemburg spielt, habe ich es für ein luxemburgisches Wort gehalten. Aber weit gefehlt: Gangrän kommt aus dem Griechischen und ist ein medizinischer Ausdruck für die Verwesung oder Selbstverdauung von Gewebe. Es verheißt nichts Gutes für die Protagonisten, dass Gangrän dem Buch den Titel gegeben hat.

Die junge Luxemburgerin Jeanne hört auf dem Weg von Paris, wo sie studiert, zu ihrem fiktiven Heimatort Pardange, wo sie die Semesterferien verbringen will, von einem verstörenden Vorfall in Indien mit hunderten Toten und einem ähnlichen Ereignis in Algerien. Dort ist wie aus dem Nichts ein bläulich leuchtendes Geflecht erschienen. Bei der Berührung mit ihm zersetzt sich alles Organische, egal ob Pflanze, Tier oder Mensch, als ob es in Sekundenschnelle verwelkt oder verwest.

Das Phänomen berührt Jeanne zunächst nur am Rande; es ist unheimlich, aber weit weg. Sie freut sich, ihre Familie und ihre Freunde wiederzusehen, geht mit ihnen feiern und hat eine gute Zeit. Weber gibt diesem Ferienalltagsleben viel Raum und auch Jeannes Versuchen mit luziden Träumen, ein Thema, das den ganzen Roman bis zur letzten Seite durchzieht (Ich musste mich erst einmal schlau machen, was das ist.). So betulich und einfach wie das Leben in dem 700-Seelendort ist an einigen Stellen aber auch die Sprache des Buchs. Es gibt stilistische Schwächen, Unbeholfenheiten. Etwa wenn es heißt: [Sie konnte] »all diese Erlebnisse durchleben« (2 x »leb«) oder »Als ihr Großvater merkte, dass sie auf ihn zukam …« (banal und unmotivierter Perspektivwechsel, Perspektivfigur ist immer Jeanne.)

Auf solche Banalitäten folgen aber immer wieder tiefgründige, fast schon poetische Formulierungen wie: »Dass die vertrautesten Gesichter Räume hinter sich verbargen, zu denen nie jemand Zutritt hatte; unkartografierte Inseln des radikal Anderen, die immer wieder im eigentlich familiären Ozean aufblitzten.«

Maxime Weber

Das Grauen kommt näher

Irgendwann dringt das Gangrän in Jeannes Welt ein, anfangs indirekt: Während einer Fernsehübertragung der Tour de France wird live nach Paris geschaltet, die Stadt, in der Jeanne lebt. Das inzwischen Gangrän getaufte Phänomen überwuchert in Nullkommanix die ikonische, 111 Meter hohe Grande Arche im Hochhaus-Stadtteil La Défense. Die Fernsehzuschauer erleben dabei mit, wie ein Mensch vom Gangrän »verwest« wird: »Seine Haut verfärbte sich plötzlich zu einem bläulichen Purpur, ehe sie in ein orangenes Rot überging. Dann fing der Körper an zu schrumpfen und nach und nach lösten sich die Gliedmaßen vom Rumpf wie Blätter von einem leblosen Baum. Zurück blieb nur die Kleidung.«

Während das Gangrän, gegen das es kein Mittel zu geben scheint, sich unaufhaltsam ausbreitet und das öffentliche Leben weltweit zusammenbricht, grenzt sich Jeannes Leben immer weiter auf Pardange ein. Ihre beste Freundin Caroline, die im Nachbarort wohnt, zieht bei ihr ein. Eines Tages machen sie sich auf, um Jeannes Großeltern, die in der Stadt Luxemburg leben, in ihr Dorf zu holen. Die Hauptstadt des Großherzogtums ist fast menschenleer, wer konnte, ist vor dem schon sehr nahen Gangrän geflohen.

Hier gelingt Weber die wohl eindringlichste Szene des Buches: Jeanne und Caroline beobachten, versteckt in einem liegengebliebenen Straßenbahnwagon, wie ein Mann und eine Frau von einer Gruppe sogenannter Gangränisten verfolgt und gestellt wird. Als die Frau sich wehrt, wird sie erschossen. Anschließend wird der Mann gezwungen, sich in eine bizarre Prozession einzureihen. Angeführt von einem »Hohepriester« genannten Mann ist es das Ziel dieser Menschen, sich in das Gangrän zu stürzen, um Erlösung zu finden.

Nahe an der Realwelt

Die Szene lässt Weber an einer Stelle spielen, die fast jedem Luxemburger etwas sagen dürfte (und nicht Ortskundige problemlos bei Google Maps finden können). Das rückt die fiktiven Ereignisse nahe an unsere Realwelt, was diese noch bedrohlicher wirken lässt. Genauso funktioniert die Wahl der Grande Arche. Wer schon mal dort war, kann sich das Ungeheuerliche des Vorgangs erschreckend bildhaft vorstellen. Dem Roman ist außerdem eine Karte von Pardange vorangestellt, als deren Autoren zwei Romanfiguren genannt werden (was man aber erst im Laufe der Lektüre bemerkt). Das macht den fiktiven Ort und die Ereignisse dort erfahrbarer. Die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit wird unscharf.

Wie der Roman zu Ende geht, ob das Gangrän die Welt überwuchert oder – im übertragenenen Sinne – im letzten Moment die Kavallerie anrückt, um dem Spuk ein Ende zu bereiten (wie z. B. im Film »Shaun of the Dead«), lasse ich hier offen.

So unglaublich es klingt: Webers schöner Debütroman verbreitet sogar ein wenig Optimismus (wenn auch nicht für die Romanfiguren, so doch für die Leserinnen und Leser): Auch in der bedrohlichsten Krise muss nicht alles den Bach runtergehen, ist die Botschaft. Jeanne, die ohne ein klares Ziel im Leben war, kann ihre Fähigkeit des luziden Träumens weiterentwickeln, entdeckt ihre Stärken, übernimmt Verantwortung für die selbstbewusst gewordene Dorfgemeinschaft und vergnügt sich, wenn auch nur sehr kurz, mit einem jungen Franzosen (zum Glück macht den Autor nicht den Fehler, die Story mit einer Liebesgeschichte zu überfrachten).

Weber bezeichnet seinen Heimatroman als Weird Fiction. Mit dem Gangrän hat er ein übernatürliches, unergründbares Phänomen geschaffen, das nicht von dieser Welt zu sein scheint. Der junge, noch nicht einmal 30 Jahre alter Autor weiß, in welcher Tradition er damit steht. Es gibt Verweise auf den Cthulhu-Mythos von H. P. Lovecraft und Mary Shelleys »Frankenstein«. Denn Jeannes Mutter ist Literaturprofessorin mit Schwerpunkt Science-Fiction. Es kommt sogar ein Raumschiff vor – wenn auch nur in einem luziden Traum.

  • 2023 wurde »Das Gangrän« vom altehrwürdigen Institut Grand-Ducal de Luxembourg mit dem »Prix Arts et Lettres« ausgezeichnet. Dieser Förderpreis wird alle zwei Jahren an einen jungen Künstler verliehen.

Die Rezension erschien erstmals in Ausgabe 278 der Andromeda Nachrichten, dem Mitgliedermagazin des Science-Fiction-Clubs Deutschland.

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Wikinger, Whiskey, Vremeatron

In der turbulenten »Zeitreise in Technicolor« macht Harry Harrison sich über Hollywood lustig. Er schickt eine Filmcrew zu den alten Wikingern.

Links das Titelbild der ersten deutschen Ausgabe von »Zeitreise in Technicolor« mit Wikinger, Drachenboot und Kameramann, also passend zum Thema des Romans. Es ist von Karl Stephan. Für das Cover der Neuausgabe wurde ein Bild von Peter Jones (für den Roman »Synaptic Manhunt« von Mick Farren von 1976) verwendet.

An so einem Buch konnte ich nicht achtlos vorbeigehen, denn es vereint gleich zwei Interessen von mir in einem Roman: Zeitreisen und die Entdeckung Amerikas durch die Europäer. Dass »Zeitreise in Technicolor« von Harry Harrison von einer Zeitreise handelt, verrät der Titel. Dass es in dem Buch um die Entdeckung Amerikas geht, habe ich irgendwo gelesen, wodurch ich erst auf das Buch aufmerksam geworden bin. Die Story erschien 1967 zunächst als dreiteilige »The Time-Machine Saga« im SF-Magazin Analog, dann im selben Jahr mit dem Titel »The Technicolor® Time Machine« als Buch. Die deutsche Übersetzung von Birgit Reß-Bohusch kam 1970 und 1979 als Terra-Taschenbücher 172 und 315 mit unterschiedlichen Titelbildern bei Moewig bzw. Pabel heraus. Harrison (1925-2012) war ein sehr produktiver Autor. Sein Roman »Make Room! Make Room!« von 1966 (dt. »New York 1999«, 1969) war die Vorlage für den Film »Soylent Green«.

L. M. Greenspan, Chef der Climactic-Filmstudios in Hollywood, steht kurz vor der Pleite. Ein Kassenschlager muss her. Sein mittelmäßiger Regisseur Barney Hendrickson macht ihn mit Professor Hewett bekannt. Der Wissenschaftler hat eine Zeitmaschine erfunden, die er Vremeatron nennt. Vreme ist das serbokratische Wort für Zeit ( eine seiner Großmütter war Kroatin). Hewett braucht ebenfalls Geld. Sie machen einen Deal: Mit Hilfe des Vremeatrons soll Hendrickson einen »milieugetreuen, realistischen, billigen, langen und hochwertigen Breitwandschinken« an Originalschauplätzen drehen. Greenspan verlangt »[e]ine vollkommen neue Version der Entdeckung Nordamerikas durch die Wikinger«. So blauäugig, großspurig und selbstgefällig, wie alle an die Sache rangehen, ist von Anfang an klar, dass Harrison sich über Hollywoods Filmindustrie lustig macht.

Ohne groß nachzudenken, aber geradezu virtuos setzt Barney das Vremeatron ein, um durch allerhand Zeitsprünge in die Vergangenheit und wieder zurück den Film innerhalb weniger Tage fertigzustellen. Der Drehbuchautor zum Beispiel wird vorübergehend auf eine urzeitliche Insel versetzt, um in Ruhe und ohne Ablenkung schreiben zu können. Für ihn vergehen Wochen, aber in der Gegenwart ist es nur eine Stunde. Man gibt sich praktisch selbst die Türklinke in die Hand. Ebenso verfährt der Regisseur mit dem Wikinger-Häuptling Ottar, der Anfang des 11. Jahrhunderts auf einer Orkney-Insel lebt. Der wird zunächst, ganz in der Manier europäischer Eroberer der frühen Neuzeit, gekidnappt, in Hollywood mit Jack Daniel’s Whiskey abgefüllt und geködert und anschließend mit einem Sprachlehrer zurückgeschickt, damit er bis zum Beginn der Dreharbeiten Englisch kann. Er wird gebraucht, damit seine Leute als billige Statisten mitspielen.

Die Dreharbeiten gehen natürlich nicht reibungslos über die Bühne. So wird Ottars kleine Siedlung gleich von einem feindlichen Wikingerstamm überfallen, es kommt zum Kampf, und es gibt Tote. Zum Glück hat der furchtlose italienische Kameramann Gino alles auf Film. Dann stolpert der Hauptdarsteller über ein Schaf, bricht sich ein Bein und quittiert den Job. In seiner Not macht Hendrickson Ottar zu dessen Nachfolger. Mit viel gutem Zureden und noch mehr Whiskey macht der Wikinger seine Sache halbwegs ordentlich.

Nach diesem Vorgeplänkel auf den Orkneys soll es nach Amerika gehen, nach Neufundland, das im Mittelalter bei den Wikingern als Vinland bekannt war. Ottar sticht mit einem Boot, einem Knorr, in See, während die Filmcrew die mehrwöchige Reisezeit mit dem Vremeatron überbrückt. Auf Neufundland kommt es zu ersten Begegnungen mit eingeborenen Dorset-Indianern. Schließlich, so steht es

im Drehbuch, suchen sich die Wikinger einen Platz zum Siedeln und bauen mehrere Häuser. Es gibt weitere Zwischenfälle mit den Dorsets, die schließlich die Siedlung überfallen, genauso wie es das Drehbuch bzw. Hendrickson gewollt hat.

Wer sich mit den Wikingerfahrten um das Jahr 1000 nach Amerika auskennt, wird recht früh merken, worauf die Geschichte hinausläuft. Eine Reihe von Ereignissen – da bricht beispielsweise ein Stier aus der Wikingersiedlung aus und versetzt die Eingeborenen, die solche Tiere nicht kennen, in Angst und Schrecken – und viele Namen ähneln verblüffend dem, was in den isländischen Sagas über Vinland berichtet wird. Der erste Wikinger, der Neufundland sichtete, hieß laut der Grönland-Saga Bjarni Herjólfsson, der Rollenname der Hauptdarstellerin Slithey Tove, Gudrid, taucht in den Sagas ebenso auf wie der ihres Sohnes Snorey (sie hatte wegen eines Schäferstündchens mit Ottar das Vremeatron verpasst und musste ein Jahr in der Wikingersiedlung bleiben).

Barney geht ein Licht auf: »Der einzige Grund für die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger ist unser Entschluß, einen Film zu drehen, der die Besiedlung Vinlands durch die Wikinger zeigt.« Das juckt ihn aber nicht weiter. Der Film ist fertig, Greenspan ist gerettet und der nächste Film in Planung. Diesmal soll es ein biblisches Thema sein.

Fazit: Ein turbulentes Buch mit überzeichneten Figuren, mit 160 Seiten gut für ein paar unterhaltsame Lesestunden. Schade, dass wir nicht mehr über Barney und das Vremeatron lesen können.

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